Seite:Die Gartenlaube (1879) 619.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Ich soll nun einmal schuldig sein – aber der alte Gott –“

„Lassen Sie den alten Gott aus dem Munde, King!“

King hatte die Unterbeinkleider mit den verdächtigen Schürfungen wieder ablegen müssen und warf sich nun in die Kleider. Er stand bald angezogen vor Kern. Aengstlich hatten sich die Lehrlinge in die Thür gedrängt und der Scene in King’s Zimmer zugesehen. Kern sprach jetzt leise zu dem einen der Diener, welche hinter den Lehrlingen standen. Der Diener entfernte sich rasch, und Kern trat wieder zu King.

„An den Beinkleidern, die Sie tragen, sind Blutflecke, hier, hier.“ Er zeigte sie King. „Woher stammen diese?“

„Ich trug vorhin doch die Leiche mit herauf.“

„In diesen Beinkleidern? Hark, Barth, ist das richtig?“

„Ja, die hat er angehabt.“

„Zeigen Sie mir einmal Ihr Taschentuch, King!“

King griff in die hinteren Rocktaschen. Er suchte. „Ich habe gerade keines eingesteckt,“ sagte er.

„So?“ meinte der Amtsrichter wieder. „Aber gewöhnlich tragen Sie doch eins?“

„Natürlich,“ erwiderte King gereizt.

„Trugen Sie diesen Rock in der Ressource?“

„Jawohl.“

„Und Sie hatten kein Taschentuch darin?“

„Wie es scheint, nicht; ich habe es nicht vermißt.“

„Wir werden sehen. – Kennen Sie dieses Licht hier?“ Kern zeigte King das in einen Papierbogen eingeschlagene Licht.

„Nein,“ sagte King, „doch – es sieht aus wie Hark’s Licht.“

„Es ist mein Licht,“ sagte Hark bestimmt. „Nur etwas kürzer, als es war, da ich’s zuletzt brauchte. Und so schmutzig!“

„Ja, es klebt Sand und Blut daran, King. Wissen Sie nicht, wie das daran gekommen sein mag?“

„Nein, durchaus nicht.“

„Zeigen Sie mir einmal Ihren Hausschlüssel, King!“

King griff in die Tasche und überreichte den Schlüssel.

„Auch an diesem Schlüssel klebt Blut,“ sagte Kern bestimmt.

„Das kann sein,“ erwiderte King gelassen. „Ich hatte den Schlüssel und auch dieses Taschenmesser – sehen Sie, es ist gleichfalls blutig – als ich auf das Geschrei hinunter eilte, in der Tasche und habe nachher mit den blutigen Fingern, die ich vom Hinauftragen der Leiche bekam, diese Gegenstände angefaßt, ehe ich mich reinigte.“

„Also gereinigt haben Sie sich auch?

Kern trat an den Waschtisch King’s. Das Waschbecken war leer, das Handtuch sehr blutig.

„Habt Ihr gehört, daß er sich gewaschen?“ fragte Kern die Lehrlinge.

„Jawohl!“ riefen diese. „Als wir von unten wieder heraufkamen.“

„Das Handtuch ist sehr blutig, King. Wohin haben Sie Ihr Waschwasser gegossen?“

„Hier zum Dachfenster hinaus.“

„Warum?“

„Weil mich das blutige Wasser anwiderte.“

„Das kann ich mir denken,“ sagte Kern.

Das Messer, welches King dem Richter übergeben, war in die Hand des Arztes gewandert. Dieser gab es jetzt an Kern mit dem Bemerken zurück, daß mit diesem Messer der Mord keinesfalls ausgeführt sei. Die Mordwaffe mußte viel breiter, stärker und zweischneidig geschliffen sein.

„Diese Dolchscheide zu kennen, haben Sie schon im Keller unten verneint – nicht wahr?“ fragte Kern den Gesellen, indem er ihm noch einmal die beim Todten gefundene Scheide vorwies.

„Ich kenne sie nicht,“ erwiderte King bestimmt.

„Nun nur noch eine Frage,“ sprach Kern, indem er ein Licht ergriff und es auf den Boden hielt. „Herr King, können Sie mir vielleicht diese Blutspur erklären?“ Dabei ließ er den Diener beinahe von King’s Bett an durch die Lehrlingskammer hindurch bis auf den Vorflur die blutigen Tropfen beleuchten, während King und alle Uebrigen folgten. Kern’s Auge heftete sich dabei fortwährend durchdringend auf King’s Züge.

Beim Anblicke dieser Spur war King einen Augenblick erblaßt – offenbar sah er die Spur zum ersten Mal; denn er war vorhin mit den Lehrlingen im Dunkel heraufgekommen.

„Herr Amtsrichter,“ sagte er in völlig verändertem Tone, weich und einschmeichelnd, „ich kann diese Spur nicht erklären, wenigstens nicht so, daß Sie mir glauben würden. Aber ich bitte Sie um Verzeihung wegen jedes harten Wortes, das Ihre Anklage mir entlockt hat. Ich gestehe Ihnen, daß ich – stünde ich an Ihrer Stelle und Sie an meiner – gehandelt haben würde, wie Sie. Hätten Sie mir früher davon gesagt, ich hätte Alles ruhig über mich ergehen lassen.“

Diese Worte erweckten bei Kern einen leisen Zweifel an der Schuld King’s. So etwa hätte die angeklagte Unschuld auch sprechen können – das mußte er zugestehen.

„Nun, wollen Sie nicht wenigstens eine Erklärung dieser Blutspur versuchen, Herr King?“ fragte Kern.

„Ich werde es thun, sobald ich von Ihnen gehört habe, Herr Amtsrichter, inwiefern Sie diese Spur mit dem Morde, mit Ihrer Vermuthung, ich sei der Thäter, in Verbindung bringen. Ich möchte Sie herzlich bitten, mir zu sagen, wie Sie sich die Entstehung dieser Spur denken?“

Auch diese Worte waren in bescheidenem, zuletzt beinahe in innigem, flehendem Tone gesprochen. Aber dem Amtsrichter entging ihre verborgene Ironie nicht. Das war ja die einzige Frage, auf welche er selbst bis jetzt noch keine Antwort wußte.

King war zweifellos zu der gestellten Frage berechtigt, denn er konnte sich durch eine Erklärung nicht bloßstellen, und Kern mußte sich gestehen, daß er hauptsächlich aus dieser Absicht die Frage an King gestellt hatte. Er hatte gehofft, King würde antworten: auch die Spur rühre von dem Blute her, mit dem er sich beim Tragen der Leiche besudelt haben wollte. Dann würde er dem Angeschuldigten erwidert haben, daß die Spur für diesen Anlaß viel zu viel Blut aufweise, sich bis zum Keller in gleicher Stärke fortsetze und gegen die Hof- und Hausthür abzweige, also in Richtungen, wo King nach dem Tragen der Leiche gar nicht hingekommen sei. Aber King war dieser Gefahr – wenn es für ihn eine war – auf die geschickteste Weise ausgewichen, sodaß dem Richter nichts übrig blieb, als zu sagen:

„Gut. Wenn Sie nicht antworten wollen, ich kann Sie nicht dazu zwingen. Die Folgen Ihrer Verschlossenheit werden Sie sich aber freilich selbst zuzuschreiben haben.“

Er gebot die Abführung des Gefangenen, indem er mit dem Arzt voranging; dann folgte King; hinter ihm hatte der Amtsdiener blank gezogen. Zögernd schlossen sich die Lehrlinge an, und auf der oberen Treppe kam auch der entsendete zweite Amtsdiener dem Richter entgegen. Er meldete, daß die Patrouille in dem Hausflur warte, und man hörte in der That von unten das Klirren und Absetzen von Gewehren, wodurch die Aufmerksamkeit Aller einen Augenblick von dem Gefangenen abgelenkt wurde. Dieser stützte die Rechte auf das Ende des hölzernen Geländers, das längs der steilen, obern Treppe hinlief. Früher war das Geländer durch eine große, kugelförmige hölzerne Rosette abgeschlossen worden. Aber die Rosette war längst abhanden gekommen. Jetzt starrte an ihrer Stelle nur der rostige, zackige eiserne Stift, der sie ehedem festgehalten. Er blickte spähend um sich. Aus dem Dunkel des obern Vorflurs sah er zwei Augen auf sich gerichtet – er brauchte keine Erklärung, wem diese Augen gehörten. Er wandte seinen Blick nach den beiden Augen mit dem Ausdruck eines so unversöhnlich wilden Hasses, daß selbst Margret’s tapferes Herz eine Secunde erbebte. Dann senkte er das Haupt, schob die Hände in die Taschen, stieg die Treppe ruhig hinab und ließ sich drunten, wortlos und ungefesselt, den sechs Musketieren überliefern, die ihn mit geladenem Gewehr und aufgestecktem Bajonnet abführten, als den muthmaßlichen Mörder seines Herrn, des Kürschnermeisters Wolf.

Der Tag graute schon leise im Osten, als endlich auch Kern und Doctor Ammann den Heimweg antraten, nachdem der Amtsrichter in Verbindung mit dem Arzt noch kurze Notizen über die bisherigen Erörterungen aufgenommen hatte. An der nächsten Straßenecke gingen ihre Wege aus einander, und sie gaben sich eben die Hand zum Abschied, als ein Unterofficier an ihnen vorübereilte.

„Sind Sie nicht der Herr Bezirksarzt?“ sagte er, plötzlich seinen Lauf hemmend und zum Doctor Ammann zurückkehrend.

„Zu dienen!“

„Kommen Sie rasch auf die Wache, Herr Bezirksarzt; der Geselle King ist in Gefahr sich zu verbluten. Er ist bereits ohnmächtig.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_619.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)