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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Ihn sah sie nicht wieder, und sie durfte das auch nicht wünschen, weil sie ihrer Fassung und Selbstbeherrschung den blauen, ehrlichen durchdringenden Augen gegenüber nicht sicher war. Aber sein letztes, sein Lieblingswerk, die greise Hugenottin, mußte sie noch einmal sehen, ehe es, in die dunkle Haft der Kiste eingeschlossen, seinen Triumphzug in die Welt begann.

Inzwischen war es Abend geworden. Die letzten Gluthstreifen der Abendsonne waren längst auf den Berggipfeln verglommen; dafür floß die blaßgoldene Lichtfluth des Vollmondes fast tageshell vom Himmel und ließ es nicht dunkel werden auf Erden. Vollbeleuchtet, wie in Silber getrieben, ragte die reliefgeschmückte Gartenfronte des Säulenhauses in die flimmernden Lüfte; auf dem kleinen raschen Bach, der die Wiesen durchrauschte, hüpften und sprühten Lichtfunken, als zöge ein juwelenglitzerndes Elfenvolk die Wasserstraße entlang, und das weiße Atelier stand glanzüberströmt.

Donna Mercedes ging scheuen Schrittes durch die Boscage und quer über die Wiesen; in dem weichen Gras versank unhörbar ihr Fuß. Hannchen hatte zwar gesagt, daß Baron Schilling fortgeritten sei – er that das häufig in schönen Mondscheinnächten – und die Gnädige habe sich seit Nachmittag in ihrem Schlafzimmer eingeschlossen, um dem wüsten Lärme des Einpackens aus dem Wege zu gehen. Der Gärtner war auch längst durch den Vorgarten nach dem Bierhause gegangen, und nur in der Stube über den Ställen brannte ein einsames Licht; der Stallknecht mußte zu Hause sein, aber der war Donna Mercedes noch nie im Garten begegnet. Sie durfte also hoffen, nicht beobachtet zu werden; und doch erschrak sie über jeden Kiesel, der unter ihren Füßen knirschte, als gehe sie auf Diebeswegen.

In der Nähe des Ateliers horchte sie plötzlich befremdet auf; dort vom Wintergarten klang ein Rauschen und Plätschern herüber, als stürze ein Waldbach von einer Höhe herab; sie brauchte nicht mehr zu befürchten, daß man ihre eiligen Schritte auf dem Kiesplatz höre – das Geräusch verschlang jeden andern Laut.

Der Mondschein fiel hell durch das unverhüllte Glasdach; beim Näherkommen sah sie die Gloxiniengruppen, die Magnolien- und Orangenblüthen aufleuchten – sie hätte jede einzelne Zacke der gefiederten, an die Glaswand gedrückten Farrenwedel nachzeichnen können, aber sie sah auch, daß alle Fontainen sprangen. Das schwirrte und zischte und flog silberfunkelnd, wie von hartgespannten Bogen abgeschnellt, zwischen den Palmenkronen und Drachenbäumen, unermüdlich und scheinbar immer stärker anschwellend, als seien die Wasseradern der Tiefe zum Bersten gefüllt. Cascadenartig stürzte sich das Wasser über den Steinrand des großen Bassins; einige der kleinen Steinmulden, aus denen vereinzelte Strahlen steil aufstiegen, strömten gleichfalls über.

Donna Mercedes stand einen Augenblick erschrocken an der Glasthür, die sie verschlossen fand. Die Abzugsröhren des Wasserwerkes mußten verstopft sein. Schon schwamm der größte Theil des Asphaltbodens, und die unten aufgestellten Blumentöpfe rollten umgerissen durch einander.

Die Thür nach dem Atelier stand weit offen; der Velourvorhang war zurückgezogen, und weder eine erhöhte Schwelle noch die kleinste Stufe trennte die Mosaik des Malersaales von dem Fußboden des Wintergartens. Auf dem musivischen Boden aber standen und lagen viel kostbare Gegenstände der Alterthumsammlung, und Skizzen und angefangene Bilder von Baron Schilling’s eigener Hand lehnten an den Wänden. Das Alles war verloren, wenn das Wasser heranschwemmte.

Sie eilte nach der Thür, die direct aus dem Garten in das Atelier führte – auch sie wich nicht unter ihrer rüttelnden Hand, aber die dort, hinter welcher die Treppe in den Oberbau stieg, zeigte einen klaffenden Spalt; sie stieß dieselbe zurück und flog die Stufen hinauf. Nur schwach erhellte das schräg hereinfallende Mondlicht einen engen, dumpfen Vorplatz, auf den eine einzige Thür mündete; Donna Mercedes öffnete auch diese und eilte durch Baron Schilling’s Vorzimmer.... „Die Gnädige“ hatte Recht gehabt, es war schwül, erdrückend schwül in diesem niedrigen Raume, in welchen sich der Herr des Schillingshofes freiwillig verbannt hatte, um der prüden Schwester seines verstorbenen Freundes willen, die mit ihm nicht unter einem Dache wohnen wollte.

Dort hing die Gobelingardine, die das Zimmer vom Arbeitslocal des Künstlers schied. Donna Mercedes schob sie mit hastigen Händen zur Seite und trat hinaus auf die Gallerie.

In voller Mondbeleuchtung lag das mächtige Viereck des Ateliers unter ihr, himmelweit verschieden von dem farbenglühenden Gesammtbild, das sie in dem lebendigen Goldglanze der Nachmittagssonne gesehen – blaß und schemenhaft.

Hier oben sah man den Wintergarten sich hinter der Glaswand hinbreiten; es war als ob die herrlichen Pflanzerbilder des Meeresbodens unter dem grünlichen Wasser heraufdämmerten. Der brausende Lärm der entfesselten Springbrunnen klang stark herüber, und drunten durch die Thüröffnung kam es hereingeschwemmt, in breiter Straße laufend und vereinzelte lange, silberne Zacken gleich tastenden Fühlern vorstreckend.

Das Alles mit einem Blicke umfassend, wandte sich Donna Mercedes nach der Wendeltreppe, um hinabzueilen – da schlug ein Lachen an ihr Ohr, ein halb unterdrücktes und doch frohlockendes Auflachen. Unwillkürlich fuhr sie zurück – ein tiefes Grauen überschlich ihr tapferes Herz. Wem gehörte diese wunderliche, hochklingende Stimme? War ein Kind da unten, oder lachte ein Wahnwitziger?

Sie bog sich über das Geländer und sah hinab. Wohin der Mond schien, war kein lebendes Wesen zu sehen; nur da auf den untern Treppenstufen, im tiefen Dunkel der Ecke, hockte ein zusammengekauerter Gegenstand – ein hingeworfenes Bündel sei es, meinte Donna Mercedes beim ersten Hinsehen. Aber je breiter und rascher das Wasser über die Steinmosaik hinschoß, desto lebendiger wurde es in der Treppenecke, und plötzlich reckte es sich empor und sprang in die helle Mondlichtfluth hinein. Es war ein Weib – die Frau aus der Beletage, die Herrin des Schillingshofes.

Sie schien in der dunklen Ecke auf das Herankommen des Wassers gewartet zu haben, und nun lief sie an den Wänden hin und warf die hingelehnten Bilder um; sie schleuderte die Schriften, die Bücher und Skizzenmappen von den Tischen klatschend auf den Steinboden nieder, und schließlich an den großen, runden Tisch tretend, der in der Nähe der Staffelei stand, nahm sie das Dolchmesser auf, mit welchem Baron Schilling neulich das Bild aus dem Rahmen geschnitten.

Mit hochgehobenem Arme ließ sie die glänzende Klinge im Mondlicht blitzen. Ihre starken blonden Haare sanken ihr vom Kopfe und fielen über den Rücken hinab; das beachtete sie nicht; wohl aber bemühte sie sich, mit der linken Hand die grauseidene Schleppe aufzuraffen, um sie vor dem Naßwerden zu schützen, denn das Wasser netzte ihr bereits die Füße.

So stand sie einen Moment zwischen dem Tisch und der Staffelei, den Blick auf das Bild gerichtet, das morgen in die Welt hinausgehen sollte.

„Ueber das Gesicht hin, bis in die schamlose Brust hinein – dann wird er erst wissen, was Haß ist, was Haß vermag“ – murmelte sie vor sich hin, aber ihre Worte wurden verstanden.

Donna Mercedes war lautlos die Treppe hinabgeschlüpft und stand hinter ihr, und in dem Augenblick, wo sie den langen, hagern Leib schlangenhaft hinüberwarf, um mit raschen Dolchschnitten die rührende Mädchengestalt neben der Matrone zu zerfetzen, wurde sie erfaßt und zurückgerissen.

Aber Donna Mercedes hatte diese Gegnerin unterschätzt. In dem meist müde vorgebeugten Körper wohnte eine stets verleugnete, fast männliche Kraft. Im ersten entsetzensvollen Schrecken brach die Baronin allerdings in sich zusammen; wilden Blickes warf sie den Kopf herum nach dem unbekannten Wesen, das sie mit weichen, aber kräftigen Armen umschnürte, dann aber stieß sie ein lautes Hohngelächter aus, als sie das zarte, mädchenhafte Gesicht hinter sich erblickte.

„Ah, die Pflanzerprinzessin! Was haben Sie hier zu suchen in eines verheiratheten Mannes Wohnung, keusche Donna?“

Mit einem jähen, elastischen Aufspringen versuchte sie zunächst sich von ihrer Feindin loszumachen – ihr rechter Arm rang sich frei, und nun strebte sie abermals wie eine Rasende nach dem Bilde hin und stieß wiederholt nach der Leinwand.

Donna Mercedes mühte sich, ihr das Messer zu entreißen – es war unmöglich. Sie verletzte sich selbst die Hand und fühlte, wie ihr die Schneide tief in das Fleisch ging und gleich darauf das Blut heiß über den hochgehobenen Arm den Ellenbogen hinunterströmte.

Verzweiflungsvoll rief sie nach Hülfe. Ihre volle, klingende Stimme hallte von den Steinwänden wider.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_626.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)