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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

sämmtlich in Spahnkörbe oder besser in Körbe von dünnem in einander verflochtenem Holze packt und durch seine Leute den Käufern zuschickt. Der Consum solcher Körbe ist enorm; beim geringsten Einkauf gehört das Transportmittel dazu, das dann in der Küche zum Anfeuern verwendet wird.

Es ist kaum nöthig hier zu erwähnen, daß eine Stadt, die, wie Petersburg, einen Umfang von vier Meilen zählt, viele Marktstellen wie die oben besprochene aufzuweisen hat. Flott gehandelt und eingekauft wird an jeder, denn ist der Russe im kurzen heißen Sommer mit einer frischen Gurke zu seinem Brode zufrieden, so erfordert das nördliche Klima im Winter eine besonders kräftige und nahrhafte Kost.




Aus vergessenen Acten.

Eine Criminalgeschichte von Hans Blum.

(Fortsetzung.)


Man fand die Mordwaffe, im Hause des Gemordeten selbst – eine Entdeckung, zu der die Lehrlinge auf Kern’s Anfrage schüchtern den Weg gewiesen hatten. Sie kamen erst mit der Sprache heraus, als sie hörten, daß King im Gefängniß sitze und wohl nicht sobald wieder losgelassen werde. Daß ihnen King immer ein unerklärliches, unbezwingliches Grauen eingeflößt habe, versicherten Beide auf das Bestimmteste.

„Ich würde nie gewagt haben, ihn, so lange er frei war, zu verrathen,“ bekräftigte Hark.

„Nun, habt Ihr denn etwas zu verrathen?“ fragte Kern eindringlich.

Beide nickten. Aber Beide sahen sich auch jetzt noch scheu um, als ob sie argwöhnten, der Gefangene könne plötzlich mit seinen großen, kalten, grauen Augen zum Fenster hineinschauen und sich merken, was sie dem Richter gestanden.

„Nun, was denn?“ fragte Kern ermunternd.

„Ich,“ meinte Hark stockend, während sein Blick wieder nach der Thür wanderte, „ich war zuerst wach von uns Beiden, als die Margret im Hofe um Hülfe schrie. Und ich möchte darauf schwören, Herr Amtsrichter“ – hier sank seine Rede zu einem stotternden Geflüster herab – „daß ich in diesem Augenblicke eine Gestalt wie die King’s durch unsere Kammer huschen und in King’s Schlafkammer verschwinden sah.“

„Also von außen kommend?“ betonte Kern.

„Ja wohl, draußen von der Treppe her. Ich schlief aber wieder ein, weil drunten einen Augenblick Ruhe war, und meinte, ich hätte im Traume die Margret ‚Mörder’ schreien hören.“

„Nun war ich aber wach geworden,“ fuhr Barth freiwillig fort. „Und ich hörte deutlich Margret’s Stimme. Ich hörte aber auch King in seiner Kammer herumarbeiten, namentlich an der losen Diele.“

„An der losen Diele?“ fragte Kern mit einer Art von Begeisterung. „Wo ist denn die? Könnte man unter der vielleicht einen Dolch verstecken?“

Als die Lehrlinge bejahten und die Stelle zeigten, wurde die Mordwaffe gefunden. Sie paßte genau in die Lederscheide mit silbernen Beschlägen, die im Keller bei der Leiche gelegen hatte. Sie paßte auch genau in die Wunden des Unglücklichen.

„Habt Ihr denn jemals diesen Dolch bei King gesehen?“ fragte Kern die Lehrlinge, die Hausbewohner insgesammt.

Alle verneinten, auch Margret.

Der Angeklagte behauptete, als ihm der Dolch von Kern plötzlich vergehalten wurde, mit größter Ruhe und Bestimmtheit, daß ihm derselbe völlig unbekannt sei. Er leugnete mit derselben Entschiedenheit, zu wissen, auf welche Weise die Klinge über und über mit geronnenem Blute sich bedeckt habe und wie Sandkörner an die Parirstange gekommen seien. Auch in der ganzen Stadt war Niemand, der die Waffe kannte.

Das war ein Geheimniß, an dem sich der Scharfsinn des geübten Inquirenten vergeblich abmühte. Es schien, als sollte es für immer unenthüllt bleiben. Denn der einzige Mund, der darüber reden konnte, war für immer stumm. – –

In derselben Stunde, auf demselben Kirchhofe, wenige Schritte von einander, wurden Wolf und Bahring, von der ganzen Bevölkerung des Städtchens zur letzten Ruhestätte geleitet, in die Erde eingesenkt. Das furchtbare Schicksal, das über Beider letzten Lebensstunden gewaltet, kam an ihren offenen Gräbern zu ergreifendem Ausdrucke. Allgemein brachte man Beider Tod in Wechselwirkung. Bahring, so urtheilte die Volksstimme, hat ja selbst in seinen letzten Zeilen die That eingestanden; er suchte die ungetreue Geliebte in’s Herz zu treffen, indem er ihren Bräutigam mordete; dann gab er sich selbst den Tod. – Wenige wollten an King’s Schuld glauben, Wenige aber kannten auch die Schwere der Indicien, die gegen ihn zeugten; denn Kern hielt streng auf sein Amtsgeheimniß.

Den einen Einwand aber, den Alle gegen King’s Schuld erhoben, mußte der Richter selbst gelten lassen: Welches sollte bei King das Motiv der That gewesen sein? Aus welcher Absicht konnte er den Mord seines Meisters geplant, vollführt haben?

Und dennoch brachte eine höhere Hand Licht auch in dieses dunkle Räthsel.




Eines Morgens meldete der Diener dem Amtsrichter, daß Fräulein Natalie Becker ihn zu sprechen wünsche.

„Sie verzeihen, Herr Amtsrichter, wenn ich Sie störe!“ sagte sie bebend, als sie vor dem verwunderten Beamten saß, „aber mein Gewissen läßt mir keine Ruhe. Ich muß Ihnen etwas offenbaren –“

„Mein Fräulein!“ sprach Kern fast ängstlich und mitleidig, indem er ihr in die klaren Augen blickte, die eine reine, edle Seele widerzuspiegeln schienen. „Was sollte Ihnen Ihr Gewissen vorwerfen?“

„Ich fürchte, ich bin schuld – an Wolf’s Tode –“

„Sie – an Wolf’s Ermordung?“ fragte Kern. Er brauchte das Wort, das sie nicht über die Lippen gebracht hatte.

„Ja, ich, Herr Amtsrichter,“ wiederholte sie gefaßt. „Freilich ohne daß ich an dem Morde irgendwie betheiligt war – ohne daß ich nur eine Ahnung davon hatte, daß er geschehen werde.“

„Wie soll ich Sie verstehen?“

„Ich meine“ – fuhr sie eindringlich und stockend fort – „daß King seinen Meister um’s Leben gebracht hat –“

„Dieser Meinung bin ich auch, mein Fräulein – aber die Meinung reicht nicht aus. Beweise müssen erbracht werden.“

„Eben diese Beweise drängt es mich zu bieten. Sie wissen, wie die Stadt über King und mich redete. Wir sollten ein Paar sein, nur aus Trotz oder Hochmuth unser Verlöbniß in Abrede stellen. Herr Amtsrichter – ich kann heilig versichern: ich bin nie mit King verlobt gewesen.“

„Niemals?“ wiederholte Kern verwundert. „Niemals, trotz alle dem, was man gemunkelt – merkwürdig. Auch nicht so zu sagen im Stillen, Fräulein Becker, hm?“

„Auch nicht im Stillen,“ entgegnete Natalie bestimmt. „Ich bin fest überzeugt, daß King selbst die öffentliche Meinung über dieses Verhältniß immer von Neuem irre geführt hat. Er selbst wußte genau, wie ich über diesen Punkt dachte; denn er hatte sich mir zu Pfingsten erklärt, er hatte, um mein Jawort zu erhalten, mir seine Familienverhältnisse sehr rosig ausgemalt, mir versichert, daß er, als einziger weit herumgekommener Kürschner, in seiner ostpreußischen Vaterstadt eine glänzende Zukunft habe. Ich wollte ihn nicht geradezu abweisen, denn ich glaubte, er liebe mich aufrichtig, und – ich fürchtete ihn. Sein kaltes, funkelndes graues Auge hatte so etwas entsetzlich Unheimliches.“

„Und was gaben Sie ihm auf seinen Antrag zur Antwort?“

„Ich sei zu jung. Er möge noch ein paar Jahre warten.“

„Ein paar Jahre? Das war doch so gut wie ein Korb.“

„Ich sagte ihm auch noch, daß ich ihm niemals in seine ostpreußische Heimath folgen würde, da ich meine leidende Mutter nicht verlassen wolle.“

Dem Untersuchungsrichter blitzte bei diesen Worten ein Licht auf; begierig und gespannt lauschte er auf das Folgende.

„‚Inzwischen gelingt es Ihnen gewiß, hier selbstständiger Meister zu werden, Herr King,’ sagte ich ihm weiter, Herr Amtsrichter. ‚Sie sind ja so tüchtig und fleißig.’

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_638.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)