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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„unsere Reise ist ja durchaus noch nicht abgemacht, und ich kann doch nicht zurückkehren, wenn ich gar nicht fortgegangen war.“

„Wäre das noch möglich?“ rief er mit einem wahren Jubelton. „Ist irgend ein Hinderniß in Aussicht? Welches Hinderniß? Haben Ihre lieben guten, süßen Verwandten kein Zimmer mehr übrig, verreisen sie selbst, war irgendwo ein Wolkenbruch? Mein Gott, davon sprechen Sie nun so nebenbei! Wie gleichgültig muß Ihnen Gehen und Bleiben sein!“

„Und wenn ich von vornherein für das Bleiben gestimmt hätte?“

„Sie? Sie könnten –“

Josephine, die im Laubgang hinter ihnen die nahenden Tritte der Cousine gehört, wandte sich um und rief, Pranten hastig unterbrechend:

„Nicht wahr, Adelheid, ich habe keine besondere Lust nach Sonneck zu gehen?“

„Leider! Darum wird wohl auch nichts daraus werden,“ antwortete diese, indem sie Josephinens Arm nahm.

„Warum leider?“ fragte Pranten nach einer Pause mißmuthig, „gefällt es Ihnen bei uns nicht mehr? Sie schwärmten doch für Cleebronner Stillleben?“

„Das thue ich auch heute noch!“ versetzte Frau Ballingen. „Aber der Wunsch einer Abwechselung nach beinahe halbjährigem Daheimsitzen hat doch am Ende nichts zu Sanguinisches an sich, besonders da wir zur Weinlese eingeladen wurden und ich es liebe, gerade diese Zeit in meiner Heimath zu verleben. Solch ein Ausflug, bevor man sich zum Winter einkapselt, hat für mich ganz dasselbe Erfrischende, wie eine Fahrt in die Baumblüthe. Ja, ja! Ob auch Widerspruch auf beiden poetischen Gesichtern, ich kann nicht helfen; gesunder, kräftiger Herbstsegen ist mir sogar mehr werth, als die ganze Maienpracht.“

Josephine trat für den Frühling ein; Pranten unterstützte ihre Behauptungen; die Assessorin erzählte dagegen eine Menge anmuthiger Einzelheiten, die sie während der Weinlese schon erlebt; so zog sich das Gespräch länger und länger, bis es für die Damen Zeit wurde hinaufzugehen und Pranten scheiden mußte.

Er war höchst unzufrieden mit sich; nun die Thür hinter ihm in’s Schloß gefallen, fühlte er die Kraft, sogleich vor Josephine zu treten, um aller Ungewißheit ein Ende zu machen. Wahrhaft unbegreiflich erschien es ihm, daß er die seltene Gelegenheit so langen Alleinseins nicht besser benutzt hatte – um so unbegreiflicher, da er einmal schon das rechte, das erlösende Wort auf der Zunge gehabt. Daß er’s nicht ausgesprochen! Jetzt hätte er sich um dieses Kleinmuths willen verachten müssen, wenn – wenn solch ein Hangen und Bangen nicht so reizvoll wäre, daß es sich leicht daran weiter trägt! O, so glückselig leicht!

(Fortsetzung folgt.)




Ein Liebling des alten Berlin.

Iffland, der berühmte Director des einstmaligen Berliner „Nationaltheaters“, saß an einem grauen Herbsttage des traurigen Jahres 1807 in dem Arbeitszimmer seines neuerbauten Gartenhauses (Thiergartenstraße 29), das Haupt sorgenschwer gesenkt. Die Zeiten waren schlecht; die Kriegsläufe schmälerten den Theaterbesuch, und die Haltung von Publicum und Kritik, namentlich wie die letztere von Julius von Voß, Ludwig Robert und Anderen gehandhabt wurde, gegenüber der Leitung der Bühne machten diese nicht gerade zu einer erfreulichen Sache. Bei der Mißstimmung, die ihn Angesichts dieser Verdrießlichkeiten wieder einmal quälte, war es fast natürlich, daß Iffland ein genügend lautes Klopfen nicht vernahm und daher etwas verwundert aufschaute, als die Thür in Hast aufgerissen wurde und der beliebte Opernsänger Gern mit einem ganz absonderlichen Gebahren zu ihm eintrat. Nicht gerade liebreich und väterlich schob Gern seinen Sohn Albert vor sich her, sodaß der junge Mann mehr stolperte als ging und ihm die Röthe der Scham ob solcher Behandlung auf die Wangen trat.

Ehe Iffland noch zu fragen und aufzustehen vermochte, polterte der Vater, dessen Stimme heute weniger sanft und einschmeichelnd als auf der Bühne klang:

„Da haben Sie den Ungeratenen! Nun sehen Sie zu, ob etwas an ihm ist!“

Und als Iffland ob dieser Anrede aufschaute und Vater und Sohn fragend ansah, fuhr Ersterer immer heftiger fort:

„Es ist und bleibt himmelschreiend, förmlich lächerlich, wenn es nicht bittere Wahrheit wäre. Kostet mich der Mensch bereits ein Heidengeld, hat sein Examen als Feldmesser gut absolvirt – und nun, wo Alles glatt und eben vor ihm liegt, schleicht er sich jeden Abend heimlich wie ein Vagabond in’s Theater; er ist und bleibt auf’s Komödiespielen versessen; er will partout Schauspieler werden.“

„Und das möchten Sie hindern?“

„Gewiß! Wenn ich es nur könnte,“ polterte Vater Gern und stieß den Sohn noch einen Schritt näher dem Director zu. „Läßt er sich denn halten? Nimmt er Raison an? – Mag er denn in sein Unglück rennen! – Aber ehe er die Bretter betritt, muß er zeigen, weß Geistes Kind er ist, ob er einen Funken von Talent hat. – Nein! er soll sie gar nicht betreten! Lesen Sie dem Menschen die Leviten, sagen Sie ihm, daß er in sein Unglück rennt, halten Sie ihn ab von dem unsinnigen Schritt! Er kann, er darf nicht auf die Bretter!“

„Und um dies zu hindern, kommen Sie zu mir?“ rief Iffland jetzt, während ein eigenthümlicher Glanz von Hoheit und Freude in seinen Augen aufleuchtete. „Haben Sie vergessen, daß ich auch wider Willen der Eltern Schauspieler geworden bin?

Wollen Sie den Bock zum Gärtner stellen? Und dann, lieber Gern, ist denn Ihrem Gedächtnisse ganz entschwunden, daß Sie von Hause aus auch nicht für die Bühne bestimmt waren, daß Sie den Priesterornat mit der Kleidung des Schauspielers vertauschten?“

„Ja – das – das –“ stotterte der alte Gern, sichtbar ein wenig verlegen, während Iffland, schalkhaft lächelnd, fortfuhr:

„Sie wollen sagen, daß es mit Ihnen doch ein Bissel anders gewesen sei. Gewiß! Wir finden ja auch für unser eigenes Thun und Handeln immer eine Entschuldigung und bürden zuletzt dem Blute oder der Vorsehung alle unsere Sünden und Fehltritte auf. Sie sangen im Chor, in der Messe. Ihr Kurfürst vernahm Ihre Stimme, wurde durch dieselbe auf Sie aufmerksam – und der zukünftige Priester bildete sich zum Opernsänger aus. Nicht wahr? Es war eine herrliche Zeit im schönen Mannheim, im heiteren München! Sie gedenken jener Tage mit Freuden, wie ich. Haben Sie damals, oder jemals, sich nach Ihrem dumpfen Priesterseminar zurück gesehnt? – Und dann, lieber Gern: möchten Sie aus Ihrem Leben jene Stunden streichen, wo Sie an der Seite des großen Mozart standen, wo der hohe Meister Ihnen die Rollen einübte und Ihnen das kleine, in ein Stäbchen zusammenzulegende Pult verehrte[1], damit Sie auf dasselbe Ihre Noten beim Singen legen könnten? Wird nicht in Ihrem Hause jenes Pult noch wie ein Heiligthum aufbewahrt? Und Sie wollen dem Sohne wehren, in die Fußstapfen des Vaters zu treten? Sie sagen, Ihr Sohn Albert sei bereits wohlexaminirter Feldmesser. Haben Sie vergessen, daß wir im vorigen Jahre bei Jena und Auerstädt geschlagen wurden, und daß, wenn Napoleon so fort siegt, was der Himmel verhüten möge, es für uns bald nicht viel Land mehr zur Vermessung geben möchte? – Gemach also, lieber Gern! Will Ihr Sohn sich nun einmal der Bühne widmen, so werden Sie und ich ihn nicht davon zurückhalten können. Darum ist es besser, wir versuchen es mit ihm. Vorläufig also lassen Sie mir den jungen Mann einmal hier! Das Uebrige wird sich finden. Auf Wiedersehen, lieber Gern!“

Was war zu machen? Vater Gern ging – und der Sohn blieb. Iffland erkannte in ihm den vollen Ernst eines wahrhaft künstlerischen Dranges, nahm sich väterlich seiner an – und Albert Gern betrat in den „Indianern in England“ zum ersten Male die Bühne. Ein großes und besonderes Talent schien er nicht zu besitzen. Man verwendete den jungen Mann zumeist für kleine, ernste Rollen. Sein Fleiß aber und seine Ausdauer wurden bald anerkannt – und endlich, endlich war auch der große Wurf gelungen: Albert Gern wurde fest angestellt und zwar mit einem

  1. Das Mozart-Museum zu Salzburg soll dasselbe gegenwärtig aufbewahren.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_682.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)