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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Leben, wie es die damaligen italienischen Frauen führten, ihren Trübsinn und ihre Verstimmung auf das Höchste gesteigert, gehörig austoben konnten.

Jetzt änderte sich auch das ursprüngliche Krankheitsbild; mit den wilden Tänzen mischten sich die Aeußerungen einer bis zum Wahnsinn gereizten Sinnlichkeit, welche oft in dem Bedürfniß des Selbstmordes endete, wie es denn nicht selten war, daß diese Unglücklichen sich in die Brunnen stürzten.

An anderen Orten, namentlich in Messapia, erkrankten mehr Männer als Frauen, doch bildete auch hier überreizte Sinnlichkeit ein hervorragendes Symptom der Krankheit.

Die Melodien, welche zu den Tänzen aufgespielt wurden, waren verschiedenartig, da nicht jeder Kranke auf die gleiche Musik reagirte. Im Allgemeinen wirkte die Musik der „Tarantella", eine monotone Melodie, die mit immer rascher werdendem Tempo gespielt wurde; die „Tarantati" machten entsprechend schnellere Bewegungen, bis sie erschöpft niedersanken und sich ein reichlicher, wohlthuender Schweiß einstellte. Zu der Melodie wurden oft noch Lieder gesungen, welche je nach der Eigenthümlichkeit der ersteren bald wilde, ungestüme Dithyramben, bald Liebeslieder oder idyllische Gesänge waren. Als Instrumente wurden vorzüglich die Hirtenflöte und die türkische Trommel angewendet. Ein paar zur Zeit der großen Epidemie in Apulien vielfach gebrauchte Curmelodien mögen hier der Curiosität halber folgen. Wir entnehmen sie aus Athanasius Kircher’s „Mages, s. de Arte magnetica“. Rom, 1654.


1. Primus modus Tarantellae.


2. Secundus modus.


3. Tertius modus.


4. Antidotum Tarantulae. (Gegengift gegen die Tarantel-Krankheit.)


5. Mit Gesang. (Tu pettu è fattu Cimbalu d’Amuri etc.)


6. Tarantella.


7. Tono hypodorio (alte Kirchentonart).


Die folgende Tarantella ist diejenige, welche noch gegenwärtig in Spanien am häufigsten zur Heilung angewendet wird:



Mit dem siebenzehnten Jahrhundert ließ der Tarantismus allmählich nach und trat nur noch vereinzelt und in Folge einer persönlichen Verstimmung auf.

Die enge Verknüpfung mit der Tarantel, in welcher diese wunderliche Erscheinung geschichtlich auftritt, sichert der genannten Spinnenart ein besonderes Interesse. Daß die Tarantel nicht unbedingt erforderlich war, um von Tarantismus ergriffen zu werden, ist bereits bemerkt. Nach dem Erlöschen der Epidemie ging der Skepticismus schon des vorigen Jahrhunderts soweit, zu behaupten, daß die Tarantel ein in keiner Weise gefährlicheres Geschöpf sei, als Wanzen und Flöhe, und heute noch wird diese Behauptung, gestützt auf ein paar zu ähnlichem Resultat gelangte Untersuchungen, einfach aus einem Lehrbuch in das andere herübergenommen. (Vergl. auch die Bemerkungen in einem früheren Aufsatze der „Gartenlaube“ über Geistesepidemieen, Jahrg. 1863, S. 473.) Indessen wäre es immerhin schwer verständlich, warum das Mittelalter gerade diesen Spinnen eine solche Gefährlichkeit zugeschrieben, wenn nicht irgend etwas an der Sache wäre. Zudem giebt es wenigstens eine Spinne, die Malmignatte, deren stark giftige Wirkung nicht geleugnet wird.

Versuchen wir es einmal mit einer sorgfältigeren kritischen Zusammenstellung dessen, was aus neuerer Zeit an genauer Beobachtung über die Wirkung des Bisses unserer großen europäischen Giftspinnen, der Taranteln und der Malmignatte, vorliegt, um die rechte Mitte in Entscheidung der Frage zu gewinnen.

Die Taranteln gehören zur Familie der Wolfsspinnen. Sie haben acht Augen von ungleicher Größe, von denen zwei kleinere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_694.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)