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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Siehst Du, so war es recht. Ein wenig Häßlichkeit – von mehr ist nicht die Rede. Auch Cousine Adelheid sagte neulich –“

Josephine stockte.

„Nun?“

„Man gewöhne sich daran. Nein! Es war noch viel besser, sie sprach auch von sich; warte nur – ja, sie hätte sich recht an Dich gewöhnt. Und wenn es schon Adelheid so ergangen –“

„Dann,“ unterbrach sie Pranten bewegt, indem er sie in die Arme schloß, „dann ergeht es meiner Josephine sicherlich ebenso und zwar noch viel eher, denn sie weiß ja, daß sie mein Alles, daß ich ihr sagen darf, Du bist meine erste Liebe –“

Josephine hob den Kopf.

„Und meine Namensschwester, welche immer die Vierklees fand und daraus so zarte Kränze winden konnte, mit rother Seide, die nun längst verblichen ist?“

„Das war doch nur eine Jugendfreundin. Was Du übrigens alles behalten hast!“

„Es muß mich doch interessirt haben.“

„Damals schon? Ich meine, von ihr hätte ich nur einmal, ganz im Anfange gesprochen.“

„Am 27. Juli.“

„Selbst den Tag weißt Du?“

„Es ist mein Geburtstag; darum behielt ich es wohl.“

„O, nachträglich meine innigsten und heißesten Wünsche über Dich!“

Natürlich erschienen so innige Wünsche auch der süßesten Siegel bedürftig, und es nahm der Wünsche und Siegel kein Ende, bis Frau Ballingen plötzlich in der Thür stand und mit großen, aber nicht sonderlich erstaunten Augen auf die Beiden sah. Pranten bemerkte sie zuerst; mit weichem Lächeln nickte er ihr zu, und gleich darauf hatte Frau Adelheid die noch nie gekannte Freude, ihre Hände segnend auf ein glückliches Menschenpaar zu legen.




7.

Es kam nun eine lebensvolle, fröhliche Zeit. Selbst Cousine Ballingen fand ihre Rolle als „schützender Cherub mit Mutterrechten“ so angenehm, daß sie das endgültige Aufgeben der Fahrt in die Weinlese kaum berührte. Der Herbst wurde gleichsam ein Nachsommer; man konnte noch einige Landpartien wagen; der beginnende Winter brachte weit mehr Concerte und Theaterabende, als im vergangenen Jahre – schon das entsprach ganz Frau Adelheid’s Geschmack.

Außerdem aber hatte auch ihre Stellung im Hause, da ihr Pranten stets mit auszeichnender Rücksicht begegnete und sich sammt Josephinen ihren Wünschen unterzuordnen pflegte, eine erhöhte Bedeutung gegen früher gewonnen, wo Josephine mehr Hauptperson gewesen war. Das hatte sich ganz von selbst gemacht, und bewirkte vor allen Dingen auch, daß Frau Ballingen dadurch zu einem regen Anwalt des Verlöbnisses wurde und dasselbe mit allen Waffen befriedigter Eigenliebe gegen die nicht ausbleibenden Befürchtungen, selbst Angriffe verschiedener Freunde des Hauses, besonders der Familie Schussenried, vertheidigte.

Pranten gab sich von seiner besten Seite, leichtlebig, meistens heiter und voll glücklichster Einfälle. Sogar das peinliche Bewußtsein seines unsympathischen Aeußeren, das sonst nur zu häufig schattenartig über ihn gefallen, schien wie seinem Gedächtniß entschwunden. Josephinens Liebe hatte diese Wunde geschlossen, oder es gab jetzt wenigstens keine Zeit und keinen Grund, Wehes herauf zu beschwören. Ja die Tage und Stunden waren so harmonisch, so in sich gefriedet dahingeeilt, daß sie Beide, Josephine und er, noch nicht einmal ernstlich an die Steigerung ihres Glückes durch den Abschluß der Ehe gedacht hatten.

Anders jedoch die Welt, und schließlich auch deren Brücke zu dem jungen Paar, Frau Adelheid – ihnen erschien eine baldige Heirath so selbstverständlich, daß Frau Ballingen anfing, Josephinen gegenüber allerlei Anspielungen zu machen. Diese überhörte dieselbe oder wies sie lächelnd von sich.

So war es Sylvesterabend geworden. Das Brautpaar brachte sich gegenseitig kleine Toaste aus; aber der Hochzeit wurde wieder mit keiner Silbe gedacht.

Da sagte die Frau Assessorin plötzlich ganz ohne Zusammenhang mit einem eben besprochenen Eisenbahnunfall, indem sie einen neu gefüllten Teller mit Hohlkuchen aufsetzte:

„Soll ich Dir auch zu Deinem Polterabend backen, wie damals für Clärchen?“

Pranten sah rasch auf Josephine, die röther und röther wurde, halb aus Verlegenheit in dem Gedanken, Felix könnte meinen, sie spräche mit der Cousine über die Zukunft, halb aus Verschämtheit bei diesem Geradezu der Frage. Da sie mit einer Antwort zögerte, kam er ihr lachend zu Hülfe:

„Gewiß, wir bitten darum!“ sagte er, Josephinen den Teller mit Kuchen reichend. Diese griff, was sie sonst nie gethan, wiederholt in die Luft, ehe sie einen Kuchen fand. Pranten bemerkte es, sah sie forschend an, sagte aber nichts.

Frau Adelheid dagegen, endlich in das gewünschte Fahrwasser gelangt, sprach erst im Allgemeinen von nur zu rasch herankommendem Frühjahr, von Mairosen und bester Zeit zu Hochzeitsreisen; dann fuhr sie, wieder mit directem Lossteuern auf ihr Ziel, fort: „Meine arme Schwester Wertheim will auch einmal etwas von mir haben, und ich möchte von hier doch auch nicht fortgehen, bis ich Josephine gänzlich beruhigt verlassen kann. Ich, wie alle Welt, weiß auch eigentlich nicht, warum Ihr über Eure Hochzeit in allen Sprachen schweigt. Es liegt doch auf der Gotteswelt kein Hinderniß im Wege.“

„Warum wir schweigen?“ erwiderte Pranten, Josephinens Hand in die Seinigen nehmend. „Es geht uns vielleicht schon so gut, daß wir gar nichts Besseres wünschen. Doch im Ernst, ich meinte erst die Operation abzuwarten. Das schien mir so natürlich – ich dachte gar nicht weiter hinaus.“

„Mein Gott,“ entgegnete Frau Adelheid, „darüber können aber im ungünstigen Fall noch Jahre vergehen.“

„Bewahre!“ antwortete Pranten mit einem Blick in Josephinens Augen. „Doch mein Lieb, Du hast da die Hauptstimme. Willst Du mich blind nehmen oder sehend?“

„Habe ich Dich nicht schon genommen?“ fragte Josephine lächelnd.

„Ja, das hast Du, liebe Einzige. Aber Du siehst, damit giebt sich Niemand zufrieden. Du warst vorher so unaufmerksam; hast Du denn gehört, daß Cousine Wertheim uns die Frau Mutter entführen will? Was sollten wir dann anfangen, wir schutzlosen Kleinen?“

„O, ich begleite Adelheid einfach,“ versetzte Josephine in seinen Ton einstimmend.

„So? und an mich wird dabei gar nicht gedacht? Ich,“ fuhr er halb scherzend, halb ernst fort, „bin nun ein Vierteljahr lang namenlos verwöhnt worden, leiblich, geistig, herzlich. Was sollte daraus werden, wenn ich jetzt wieder auf dreierlei Hungern gesetzt würde? Und dergleichen möchtest Du auf Dich nehmen? Ach, Du schauderst?“

„Wenn ich auch nicht schaudere –“

„So,“ unterbrach sie Pranten leise, „ziehst Du es doch vor, den Hochzeitstag zu bestimmen.“

„Auch gleich den Tag?“ fragte sie ebenso leise.

„Warum nicht? – wären Sie einverstanden, Frau Cousine,“ wandte er sich laut an diese, „wenn wir die Hochzeit am fünften Mai feierten?“

„Aber Felix,“ fragte Josephine, „Napoleon’s Todestag?“

„Glaubst Du,“ erwiderte Pranten, „wir fänden einen Tag im Jahr, an dem kein großes Herz aufgehört zu schlagen? Doch wie Du willst, also den sechsten Mai, denn vor Mai wollte ja unsere verehrte Cousine nichts von Hochzeitsreisen wissen. Muß die Reiseroute auch gleich festgesetzt werden?“

Frau Ballingen, an welche die letzte Frage gerichtet war, hatte für Späße heute keinen rechten Sinn; ihr mißfiel sogar die, wie es ihr vorkam, frivole Art, mit der Pranten gerade dieses Thema behandelte; so antwortete sie denn in stark gereiztem Tone: „Sie haben mich durchaus mißverstanden Herr Baron, oder legen mir wieder absichtlich Falsches unter. Weder Hochzeitstag noch Reiseroute wollte ich wissen; es schien mir nur endlich an der Zeit, nicht blos der Gegenwart zu leben, auch der Zukunft Rechnung zu tragen. Es genügt mir völlig und paßt auch in meine Pläne, wenn wir am Mai als äußerstem Termin festhalten. Anfang oder Ende des Monats ist mir gleichgültig.“

„Nicht doch, Adelheid,“ begütigte Josephine, „Dir soll und darf mein Hochzeitstag nicht gleichgültig sein.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_699.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)