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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

uns denn doch unberechtigt. Es sei hier übrigens, um Mißverständnissen vorzubeugen, ausdrücklich bemerkt, daß Meneses nicht etwa Fürstenhasser im Allgemeinen ist, sondern nur soweit es seinen eigenen Souverain angeht. Er versichert im Gegentheil, beispielsweise die tiefe Verehrung und Begeisterung eines Deutschen für seinen Wilhelm, die eines Russen für seinen Alexander vollkommen zu begreifen. „Wenn ich,“ sagt er in Bezug auf Ersteren, „die deutschen Socialdemokraten darüber brüllen höre, daß Wilhelm’s Regierung sich hoch militärisch geberdet, so kann ich nicht umhin, solche Entrüstung als ein Zeichen ziemlicher Bornirtheit zu betrachten. War es doch Wilhelm mit dem Degen, nicht aber Wilhelm mit dem Buche in der Hand oder mit den Doctoren Naturwissenschaft discutirend, der in einem Nu den Lauf der Jahrhunderte gewissermaßen unterbrach und sein Vaterland an die Spitze der Menschheit zu setzen vermochte; selbst der halsstarrigste Particularist,“ meint er, „würde umsonst versuchen, aus der Geschichte Deutschlands das Schwert des siegreichen Kaisers wegzudenken, ohne daß eine unermeßliche Lücke entstände, die selbst der deutsche Schulmeister, dem man sonst nachrühmt, er habe Frankreich besiegt, nicht ganz auszufüllen vermöchte. So ist denn diejenige Pietät sehr natürlich, die nach Treitschke der Deutsche, der Preuße mindestens, seinem Staate entgegenbringt.“

Genug der Citate aus den Schriften des Tobias Barreto de Meneses! Daß wir es hier mit einem ebenso ungewöhnlichen, wie bedeutenden Manne zu thun haben, dürfte nach dem bisher Gesagten keinem Zweifel unterliegen, und es ist also die Frage: wer ist denn eigentlich dieser Tobias Barreto de Meneses? sehr natürlich. Theilweise giebt unser Bild Antwort darauf. Wir sehen auf den ersten Blick, daß wir einen Mulatten vor uns haben, wie man deren in allen amerikanischen Ländern mit gemischter europäischer und afrikanischer Bevölkerung viele trifft und ihre Intelligenz zu bewundern vielfach Gelegenheit findet. Die ungewöhnlich hohe Stirn, das geistvolle Auge, der entschlossene Zug um den Mund lassen uns nicht lange unklar darüber bleiben, daß sich auch hier eine Summe von Intelligenz verkörpert hat, der wir unser Interesse, unsere Achtung nicht versagen können.

Tobias Barreto de Meneses wurde am 7. Juni 1839 in der kleinen Stadt Campos in der brasilianischen Provinz Sergipe als Sohn unbemittelter Eltern geboren. Er war in den Kinderjahren bereits sehr lernbegierig, doch wurde ihm in seiner Vaterstadt keine Gelegenheit geboten, seinen Wissenstrieb so zu befriedigen, wie er es wünschte. Außer in den Elementarfächern wurde nur noch im Lateinischen daselbst Unterricht ertheilt; dem Studium dieser Sprache wandte er daher seine ganze Kraft zu und erreichte es, daß er schon als siebenzehnjähriger Jüngling als Lehrer derselben von der Regierung angestellt wurde.

Nachdem er in dieser Stellung drei Jahre gewirkt, wurde ihm von der Provinzialregierung seiner heimathlichen Provinz ein sechsjähriger Urlaub bewilligt, damit er während desselben auf einer der Akademien des Kaiserreiches studiren könnte. Meneses trat in das Priesterseminar von Bahia ein, aber nur, um es schon nach vierundzwanzig Stunden wieder zu verlassen. „In dem unreinen Dunst der Scheinheiligkeit, wie er dort herrscht, verging mir der Athem,“ schreibt er in einem Briefe an uns. Er beschäftigte sich nun theilweise in Bahia, theilweise in Sergipe privatim mit philosophischen und mathematischen Studien und begab sich alsdann 1864 nach Pernambuco, um auf der dortigen Hochschule Jurisprudenz zu studiren. Die nöthigen Vorkenntnisse, z. B. des Französischen und der Rhetorik – auf welche letztere Wissenschaft, beiläufig gesagt, in Brasilien sehr viel Gewicht gelegt wird – hatte er sich durch Selbststudium erworben, und durch Privatunterricht, den er in diesen Wissenschaften und im Lateinischen ertheilte, schaffte er sich die nöthigen Subsistenzmittel während seiner Studienzeit. Wie alle gebildeten Jünglinge seines Landes, beschäftigte sich Tobias auch mit der Poesie und verrieth in seinen Dichtungen nicht allein ein bedeutendes Talent, sondern auch sehr viel Muth, indem er mit der Tradition brach und die aus der romantischen Schule Frankreichs hervorgegangene sentimentale Richtung, wie sie heute noch in der brasilianischen Poesie herrscht, persiflirte. Einige seiner Gedichte aus seiner Zeit, die wir besitzen, legen Zeugniß ab von seiner urwüchsigen, sich weit über das Mittelmaß erhebenden poetischen Gestaltungskraft. Seine Gedichte hat er übrigens niemals herausgegeben, weil er – wie er uns schreibt – niemals Zeit dafür gewonnen hat.

Im Jahre 1869 empfing er den Grad als Baccalaureus der Jurisprudenz und ließ sich als Advocat in Pernambuco nieder. Hier war es, wo er sich auf dem mühseligen Wege des Selbstunterrichts die Kenntniß der deutschen Sprache und Literatur aneignete, in einem Lande, das dem deutschen Geistesleben abhold ist, in einer Umgebung, in welcher man die deutsche Sprache zu hören nur selten Gelegenheit findet. Meneses genießt als Advocat einen bedeutenden Ruf und ist ein vorzüglicher Redner, wovon seine Vertheidigungsreden vor der Jury das glänzendste Zeugniß ablegen. Da ist es denn im höchsten Grade verblüffend für die brasilianischen Richter, daß er vor ihrem Forum verschmäht, sich auf die denselben wohlbekannten und als Evangelium betrachteten französischen Rechtslehrer Chauveau et Helie, Berthauld, Boitard etc. zu berufen, hingegen mit den Aussprüchen deutscher Criminalisten wie Schwartz, Otto, Rubo, John, Schütze und Anderer, für seine Clienten plaidirt. Daß seine Ueberlegenheit auf dem Gebiete der Fachwissenschaft ihm nicht gerade Freunde unter den Collegen zuführt, ist sehr begreiflich; in Folge seiner literarischen Thätigkeit hat er aber noch ungleich mehr den Widerspruch seiner Landsleute zu erdulden, der sich leider ausschließlich in persönlichen Beleidigungen äußert.

Seit acht Jahren sehen wir so diesen seltenen Mann unter Anfeindungen aller Art das Banner seiner Ueberzeugung von dem Werth deutschen Geisteslebens doch halten, und daß dies nicht ohne pecuniäre Schädigung der Fall ist, gereicht dem Versorger von sieben unmündigen Kindern zu um so größerer Ehre. „Wenn die Natur mich nicht mit einem heiteren Temperament ausgestattet hätte,“ schrieb er uns vor einiger Zeit, „so wäre ich in Folge dieser ewigen Anfeindungen schon lange Misanthrop geworden.“ Erfreulicher Weise ist es ihm in der letzten Zeit zum wenigsten gelungen, unter den Studenten von Pernambuco Anhänger zu gewinnen, und der Kreis derselben erweitert sich derartig, daß man sich wohl der Hoffnung hingeben darf, die aufwachsende Jugend Brasiliens werde sich zu den Errungenschaften deutschen Geistes allmählich anders stellen als dies bisher geschehen. –

Im vorigen Jahre fuhren wir an Bord des „Habsburg“ bei Pernambuco vorüber, und indem wir uns vom Meere aus des entzückenden Anblickes erfreuten, den diese weitschimmernde Stadt mit ihrer romantischen Umgebung gewährt, erinnerten wir uns mit inniger Verehrung des trefflichen Freundes und gelobten es uns, dem deutschen Volke seinen Namen zu nennen. Wir haben es jetzt gethan und wünschen von Herzen, daß künftig das Vaterland gleich uns des wackeren „deutschen Kämpfers“ von Pernambuco in Ehren gedenken möge.




Gerechtigkeit in Rom.

Erinnerungen eines einstigen Schlüsselsoldaten.

(Fortsetzung.)

Als es zum Heimmarsch ging, suchte mich der Sindaco des Dorfes zu bewegen, nicht wieder der weitläufigen Straße zu folgen, sondern einen weit kürzeren Weg durch die Berge zu nehmen, für welchen er uns einen kündigen Führer mitgeben wollte. Da ich indeß der ganzen Bevölkerung, die offenbar den Banditen in jeder Weise Vorschub leistete, den spitzbübisch dreinsehenden Sindaco nicht ausgenommen, keinen Moment traute, so wollte ich auf diesen Rath nicht eingehen. Der uns begleitende Beamte aber, der recht bald wieder in seiner sicheren Behausung zu sein wünschte, ließ sich bethören, und da ich Befehl hatte, seinen Wünschen Folge zu leisten, so wurde der Nachtmarsch durch die Berge angetreten.

Immer höher und höher stiegen wir die Zickzacklinien des steilen und gefährlichen Pfades empor, dessen Breite bald kaum mehr für einen Mann ausreichte, und unwillkürlich mußte ich daran denken, wie wehrlos unsere in eine lange Kette aufgelöste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_703.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)