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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


oder wohl gar Schaden angerichtet hat. Man bedenke auch, daß ein mit Sachkenntniß vom Arzte geratenes Verfahren dem Kranken Zeit und Leiden erspart, und zwar um so sicherer, je frühzeitiger, vor der Entstehung oder Einwurzelung ernsterer Gesundheitsstörungen, zweckmäßige Mittel und Wege in Benutzung gezogen werden.

Dies brauchen nun keineswegs sehr starke und eingreifende Mittel und Curen zu sein: im Gegentheil, die besseren Aerzte haben zu allen Zeiten gesucht und sind in der Neuzeit besonders bestrebt, ihre Ziele mit den einfachsten und unschuldigsten Mitteln zu erreichen, und das Meiste, was sie anwenden, ist viel weniger eingreifend und angreifend oder störend, als unzweckmäßig angewendete Hausmittel oder populäre Curen. Auch rührte die den Nichtkenner geradezu verwirrende Mannigfaltigkeit der Mittel und Curen keineswegs nur von Laune oder Vorliebe verschiedener Aerzte für verschiedene Verfahrungsweisen her, sondern vielmehr daher, daß wirklich verschiedene Wege zu einem und demselben Ziele führen und daß die Auswahl sich nach den näheren, nur durch genaue Sachkenntniß aller einschlagenden Verhältnisse richtig zu beurtheilenden Umständen richten muß.

Wie die Beseitigung solcher leichten Krankheiten, so kann auch ihre Verhütung auf verschiedenen Wegen erstrebt und erreicht werden: bald ist das seiner Zeit von Dr. Bock so warm empfohlene Unterjäckchen (oder überhaupt warme Kleidung, auch Unterhosen oder wollene Strümpfe), bald die Abhärtung durch kalte Waschungen und Bäder, bald die Erregung stärkerer Hautthätigkeit und allgemein lebhafteren Stoffwechsels durch warme Wasser- und Dampfbäder, bald das Verweilen in gleichmäßig warmer Luft, bald der unausgesetzte Genuß frischer Luft, selbst das Schlafen bei offenem Fenster zweckmäßiger. Es kommt eben auf die Umstände und auf die Personen an. „Eines schickt sich nicht für Alle.“

Die richtige Auswahl läßt sich aber auch hier nur auf Grund genauer, nicht anders als durch ernstes Studium und Erfahrung gewinnender Sachkenntniß treffen, und wenn auch ein volksthümlicher Spruch behauptet: „Probieren geht über Studiren“, so kann doch ein richtiges Probiren auch nur auf Grundlage ausreichender Kenntnisse und des nicht ohne Mühe zu erwerbenden Vermögens der unbefangenen Beobachtung geschehen. Wer anders probirt, wird viel Lehrgeld zahlen müssen. Das Lehrgeld besteht aber nicht blos in dem für unzweckmäßige, werthlose oder gar schädliche Mittel weggeworfenen Gelde, in nutzlos vergeudeter Zeit und verlängerten Leiden, sondern oftmals in dauernden Schädigungen der Gesundheit.

„Wir können aber doch nicht wegen jeder kleinen Unpäßlichkeit zum Arzte schicken!“ Solches zu verlangen wäre gewiß unbillig, dürfte den Patienten zu große Kosten, den Aerzten zu viel Belästigung bereiten. Wer einen ärztlichen Leib- und Seelsorger hat, der wird von ihm auch für solche Fälle, namentlich bei Kindern, nach und nach gewisse Krankheitszeichen und Verfahrungsweisen lernen, die das Befragen für den einzelnen Fall unnöthig machen. Wer nicht in dieser angenehmen Lage ist, der wird sich bemühen müssen, zwischen leichter und schwerer Erkrankung unterscheiden zu lernen: sehr schlechtes Befinden, starkes und anhaltendes Fieber (mit Frost und Hitze; am sichersten zu erkennen wenn das fest in die Achselhöhle gedrückte und eingeschlossene Thermometer mehr als 30 bis 31 ° R. oder 38 bis 39 ° C. zeigt), heftige Schmerzen bei sonst gesunden Menschen – das sind Zustände, welche ärztliche Behandlung unerläßlich machen, aber auch leichtere Krankheitserscheinungen bei Schwächlichen, mit organischen Fehlern Behafteten oder sonstwie Kranken erheischen Vorsicht und, wo er irgend zu haben ist, ärztlichen Rath. Bei Schlingbeschwerden muß man an Rachenbräune, bei heftigem, auffallend klingendem Husten von Kindern an Kehlkopfentzündung oder Halsbräune denken – gefährliche Krankheiten, die frühzeitig erkannt und sachkundig behandelt sein wollen.

Hat man dagegen keinen Grund, eine ernstliche Krankheit zu vermuten, sind z. B. auf eine Erkältung nur leichter Schmerz und eingenommener Kopf, Schnupfen, leichte Halsbeschwerden oder leichter Husten und Heiserkeit ohne bedeutende Schmerzen und ohne starkes und anhaltendes Fieber gefolgt, dann kann man es immerhin versuchen, durch warme Kleidung (namentlich der Füße, die viel wichtiger und wirksamer ist, als Einpacken des Halses), durch erweichende Schluckmittel oder Getränke oder durch Erregung tüchtigen Schweißes vermittelst kräftiger Körperbewegung, eines warmen Bades von 30 ° R., allenfalls eines römischen Bades das Leiden zu überwinden oder im Beginn zu unterdrücken. Wenn aber solche Mittel nicht rasch zum gewünschten Ziele führen, das Wohlbefinden wieder herzustellen, dann säume man nicht, alsbald wirksamere ärztliche Hülfe nachzusuchen; dadurch wird nicht nur Zeit und Ungemach erspart, sondern können auch mancherlei ernstere Folgen nur anscheinend leichter Unpäßlichkeiten verhütet werden. Ist es doch eine der segensreichsten Aufgaben der ärztlichen Thätigkeit: Krankheiten zu verhüten!




Aus vergessenen Acten.

Eine Criminalgeschichte von Hans Blum.

(Schluß.)

All das zog noch einmal an King’s Innerem vorüber, als er jung Margret im Waldesdunkel hatte verschwinden sehen. Stier und leblos blickte sein graues Auge. Mit einem Male kam Leben über ihn, und seine Hand fuhr in die Tasche und holte das Messer heraus. Eifrig, zum hundertsten Male vielleicht seit dem Ankauf, probirte er den Mechanismus der Waffe. Er prüfte an seinem Daumennagel die Schärfe der Schneide. Dann lächelte er mit seinem boshaften, grausamen Lächeln und zischte durch die Zähne:

„Der Teufel selbst hat mir das Mädchen in die Hand gegeben, damit mein Werk vollständig werde. Erst die liebe Kleine, Margret Winkelmann! Dann Du selbst! Ich werde mit der über das Kind trauernden Menge in Dein Haus dringen, und wenn Du Dich über die Bahre beugst, Deinen Mutterschmerz abkürzen – Margret Winkelmann!

Und nun – an’s Werk!“

Mit diesen Worten verschwand er im Waldesdunkel, das zuvor Margret in sich aufgenommen hatte. Dem Raubtier gleich, schlich und kroch er hinter den dichten Büschen des Unterholzes. – –

Der Amtsrichter Kern stand auf der Höhe des Weges und horchte athemlos vor sich hin in den Buchenwald.

Kein Laut ließ sich hören, der die feierliche Frühlingsstimmung des sonnigen Tages getrübt hätte.

Die Lerchen stiegen auf aus den Feldern und jubelten in die blaue Luft hinein. Die Buchfinken lockten sich und schmetterten ihre Lieder in dem frischen Grün des Waldes. Käfer summten, Schmetterlinge flatterten freudig zwischen den duftigen Blumen der Bergwiese. In vollem, melodischem Dreiklang setzten jetzt die Glocken ein in Stadt und Dorf, landein, landab, um die frohe Kunde von der Krönungsfeier des jungen Herrschers mit metallner Zunge über Berg und Thal zu tragen.

Ein finsterer Zug glitt über das offene Gesicht des Richters, als das Geläut ertönte, und verdrängte den glücklichen und friedlichen Ausdruck, den es zuvor bei dem Anblicke und Getön der reinen Frühlingsnatur gezeigt hatte. Ungeduldig schaute er zurück nach dem keuchenden Gensd’armen – „Donnerwetter, das macht einem Christenmenschen heiß, wenn man da heraufgehetzt wird!“ rief der Gensd’arm laut aus, als er endlich die Höhe erklommen hatte. Aber Kern legte gebieterisch und verständlich den Zeigefinger an den Mund und fügte dann leise hinzu, als der Gensd’arm ihn erreicht hatte:

„Wir müssen ganz lautlos den Wald passiren, Steffke.“

Noch niemals war Steffken ein „In Teufels Namen, warum nur?“ so nahe auf den Lippen gestanden, wie jetzt. Aber der alte Unterofficier in ihm überwand die ruchlose Regung der Neugier, wie das noch sündhaftere Raisonniren über die erhaltene Ordre.

„Halten Sie Ihr Gewehr in Anschlag, Steffke, und sobald ich commandire, geben Sie Feuer auf den Mörder!“

„Auf den Mörder!“ wiederholte Steffke aufgeregt für sich, indem er das Gewehr bereit machte. „Also nicht blos sozusagen als Amtsbrautführer mitgenommen – sondern gegen einen Mörder.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_710.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)