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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

einer Weile, in der das Brautpaar schweigend dagesessen hatte, nicht wiederkam, stand auch Josephine unter dem Vorwande auf, eine Arbeit zu holen. Ihr war heute ungewöhnlich schwer und trübe zu Muth. Pranten schien ebenfalls seine düsterste Stimmung zu haben; er hatte mit augenscheinlicher Unlust gelesen, und lehnte nun regungslos an einer der Säulen. Josephine mußte dicht an ihm vorüber. Als ihr Kleid ihn streifte, kehrte er sich plötzlich um und fragte, sie an der Hand festhaltend:

„Wo willst Du hin?“

Der Klang seiner Stimme, das unheimliche Feuer in den Augen, der harte Griff, welcher fast schmerzte, erschreckten Josephine.

„Ich sagte Dir schon,“ erwiderte sie zitternd, „ich will meine Stickerei holen. Du thust mir weh.“

Damit wollte sie ihre Hand aus der seinigen ziehen, aber er umschloß sie nur fester.

„Nicht so weh, wie Du mir thust!“ sagte er.

„Ich –“

„Du, Du!“

Einen Augenblick fand er keine Worte, dann brach es los, das so lange mühsam Zurückgehaltene, und strömte und raste wie in Wogen hin:

„Ja Du, Josephine, mit diesem Engelslächeln – ich trage es nicht länger. In all den Tagen und Wochen und Monden – was habe ich gelitten! Diese Nächte – ich würde wahnsinnig, sollte ich sie wieder leben; am Mark haben sie mir gesogen, mich verdorben für Welt und Seligkeit. Und Du, Du trägst die Schuld. Was hat Dir meine Liebe gethan, daß Du sie so lohnen kannst? Du weißt doch, wie Du mir Alles bist, Licht, Dasein – jedes Liebe der Erde. Ich habe Niemand sonst; Alles würde mir fehlen, was das Menschsein tragen läßt, wenn Du von mir gingst. Und das willst Du.“

Josephine hob den Kopf, als wollte sie sprechen, doch er fuhr jäh auf:

„Keine Lüge! Ich könnte – ich könnte mich vergessen, und Du hättest dann das Recht, von mir zu gehen. Das wenigstens will ich Dir nicht geben, so lange ich noch weiß, daß Du Josephine bist, meine Josephine. Sieh, ich habe ja mit mir gerungen; wenn ich nicht zu Dir kam, das waren solche Tage. Da versuchte ich es, ob ich ohne Dich leben könnte.“ Er lachte heiser vor sich hin. „Bis zum Abend ging es, auch ein Stück in die Nacht hinein, dann – dann hätte ich den todten Tag mit den Nägeln aus der Erde graben mögen. Wahnsinn! Ich lese das Wort in Deinen Augen, aber ich bin nur wahnsinnig, wenn ich den Gedanken fassen soll, Dich zu verlieren.“

Aus Josephinens Antlitz war nach und nach jede Farbe gewichen, und um ihren Mund hatte sich ein Zug von Härte, von Bitterkeit vertieft, der ihr sonst nie eigen gewesen. Was ihr all die Monde hindurch nicht so deutlich zum Bewußtsein gekommen, das schien sich ihr urplötzlich mit vernichtender Klarheit aufzudrängen.

„Du rührst an Schweres!“ sagte sie.

„Muß ich nicht endlich?“

„Hast Du bedacht, wohin –“

„So kann es nicht fortgehen,“ unterbrach er sie außer sich. „Ich reibe mich auf, untauglich werde ich zu aller Arbeit; gestern bebten mir die Hände, so daß ich eine Operation verschieben mußte. Nenne das Schwachheit, schilt mich krank – ich kann doch nicht anders. Solcher Zustand der Unsicherheit, des ewigen Mißtrauens – auf mich wirkt er entnervend; ich kenne mich selbst nicht mehr.“

Josephine war von ihm weggetreten und stützte sich auf die Brüstung des Altans. Ihre Blicke hingen an der Wolkenwand, die immer drohender aufstieg. Dort – hier Drohen; war Beides nur Gewitter? Brachte Beides Erlösung?

Ohne es zu wissen, streckte sie die Hand, als ein Blitz hinzuckte, wie zur Abwehr gegen den Himmel aus.

Pranten bemerkte die Bewegung und sagte schneidend:

„Ob Du auch wehren möchtest, es kommt doch herauf; immer wehren, immer hinhalten, niemals bis in’s Letzte sehen!“

„O, ich sehe das wohl.“

„Was siehst Du?“

„Du wolltest Wahrheit?“

„Ich – wollte – Wahrheit.“

Er hatte die Worte mechanisch nachgesprochen und starrte mit weitgeöffneten Augen auf Josephine.

Diese fühlte den Blick, aber sie schwieg.

„Sprich!“

„Ja, es muß sein.“

„Warte noch einen Augenblick!“ rief er bittend. „Man pflegt zuletzt Alles doppelt zu bedenken, Alles! Und wir haben Zeit; nichts Uebereiltes! Es könnte auch Dich reuen, denn lieb hast Du mich doch, Josephine. Wenn auch nicht so lieb, wie ich Dich, aber das verlange ich ja nicht. Ich bin gar einfach im Genügen; o, mein Weib wird Alles über mich vermögen; ich verspreche es Dir – erinnere mich an diese Stunde, wenn ich je mehr fordern sollte! Siehst Du, meine Augen sind voll Thränen, voll seliger Thränen, wenn es nur wie Möglichkeit erscheint, Dich endlich mein zu nennen. Gehören sie mir nicht zu eigen, diese Augen, die ich wieder sehen hieß? Habe ich Dich nicht wieder neu geschaffen? Ein Theil bist Du nun von mir. Alles habe ich Dir gegeben, was ich hatte und wußte und liebte, so in Gedanken, wie in Werken: und der Theil könnte sich gegen das Ganze auflehnen , ihm das Herzblut stehlen und nichts als elend Stückwerk zurücklassen? O nein, nein – nein! Das wäre gegen allen Sinn; es brächte die Gesetze der Natur in’s Schwanken. Sprich jetzt – nun kann ich hören.“

Josephine hatte, die Lippen auf einander gepreßt, ohne jede Bewegung dagestanden. Als er schwieg, blickte sie noch eine Weile mit halb geschlossenen Augen in die Ferne; endlich sagte sie leise:

„Ich habe mich nicht gekannt. Daß uns armen, beschränkten Menschen jeder Theil unseres Wesens erst zum Bewußtsein kommt, wenn er sich an etwas zu erproben hat, nicht eher! Als die Pathe und Adelheid mich warnten, habe ich darüber gescherzt, und als sie nicht aufhörten, sie unwillig von mir gewiesen, es gleich Undenkbarem fortgeleugnet – und sobald ich Dich gesehen, fühlte ich mit Entsetzen, daß ich niemals –“

„Josephine!“

„Dein werden könnte, nie – niemals!“

Sie hatte die Worte so jäh herausgestoßen, als erläge sie dabei einer inneren Gewalt oder fürchtete, daran gehindert zu werden. Mit schwerem Athmen, das dennoch etwas von Erleichterung an sich hatte, stand sie da; ihre Blicke suchten scheu den Boden. Pranten erwiderte nichts und strich nur mit der Hand langsam an der Brüstung des Altans hin.

Sie sah zu ihm empor; er war sehr blaß geworden, und seine Brust hob und senkte sich krampfhaft. Ein unsägliches Mitleid regte sich in ihr, und Bild an Bild tauchte es auf: von seinem ersten Eintreten an durch all die Zeit bis heute. Und nichts Anderes empfand sie, vermochte sie festzuhalten, als seine zärtliche Sorge, diese unendliche, immer und überall hervorbrechende Liebe. Beinahe schien es ihr, als wäre sie nur befangen, als hätte sie noch immer nicht genug gekämpft, als müßte zu überwinden sein, woran sich alle Ihrigen gewöhnt. Warum sie nicht? Welches Verhängniß lag auf ihr, vor dem, den sie doch geliebt, so lange sie blind war, nun zurückschaudern zu müssen? O, wäre sie blind geblieben!

Pranten sah zu ihr nieder; angstvoll begegnete sie seinen Blicken. Ihre Finger berührten seine Hand.

„Du verachtest mich?“ schluchzte sie mehr als sie sprach.

Er schüttelte traurig das Haupt. „Was kannst Du dafür? Und Du hast mir nichts gesagt, was ich nicht längst wußte: Schritt für Schritt sah ich es ja kommen. Glaube nicht, daß Liebe blind ist! Wenn ich mich nach Deinen Küssen sehnte, Dich an mich reißen wollte, nur eine selige Secunde lang – wie Du vorahnend zurückwichest, wie Du immer, ob ich auch ein Recht auf Dein Alleinsein hatte, Jemand in der Nähe hieltest, einen Schutz vor meinen Liebkosungen! Ach, daß man nicht geliebt wird, man weiß es so schmerzlich gut! Wäre nur die Hoffnung nicht, die immer wieder versöhnen will, immer flüstert: was heute nicht geworden, das Morgen bringt es, das Morgen! Jetzt freilich giebt es kein Morgen mehr.“

„Ich habe nicht weniger gelitten als Du.“

Er lachte gellend auf.

„Felix! welch schauerliches Lachen! sei barmherzig! Wenn es wahr ist, daß Du mich nicht verachtest, so mußt Du auch glauben, wenn – ich Dir sage: ich kann nicht anders. Die Seele, das heißeste Wollen, alle, alle Kräfte der Vernunft haben keine Macht über unsere Sinne. Wie habe ich mit mir gerungen, wie mich hingequält! Mein inniges Fühlen von Dankbarkeit, meine Gebete, ich steigerte sie bis zur Ekstase – umsonst! In der Nacht dachte

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