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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


„Das muß noch in vergangener Woche gewese sein; richtig, den Tag nach’m Brande. Wisse Se, als es eingeschlage? Das war Donnerstag; Freitag Abend brachte ich die Sache weg – hier auf die Ostbahn.“

„Auf die Ostbahn!“ wiederholte Pranten tonlos und fuhr mit dem Stocke immer wieder die Fliesen entlang.

Nach einer Weile fragte der Dienstmann, indem er mitleidig den Kopf schüttelte: „War wohl gar was Liebes vom Herrn?“

Pranten schreckte auf und sah wirr um sich; dann suchte er für den Mann hastig eine Münze hervor, gab sie ihm und verschwand um die Ecke.

Lange irrte er ziellos umher; etwas zu Ende denken konnte er nicht. Die Gedanken wirbelten und kreisten, bis ihm der Kopf schmerzte und das Blut ihm zu Herzen drang, als sollte es ihn ersticken. Ohne Lebewohl war sie gegangen; nicht eines Grußes, den man doch für bloße Bekannte hat, nicht einmal dessen hatte sie ihn werth gehalten! Aus seinem Herzen quoll ein wilder Aufschrei: „Josephine!“ Dann sank er zu Boden wie ein Todter.

Er lag auf etwas, das schmerzte plötzlich; aus seiner Versunkenheit erwachend, sah er, daß es Wurzelknorren einer Weide waren, die über den Boden herausragten. Mit leisem Glucksen schob sich müde ein Wasser fort; in der dunkeln Fluth zitterte das falbe Licht des ersten Mondviertels. Schaurig still und einsam dehnte sich eine flache Landschaft hin.

Er mußte sich erst besinnen, wo er hingerathen war. Die Umgebung erschien ihm gänzlich unbekannt; hinter ihm die schwarzen Laubmassen konnten nur zum Stadtpark gehören; bis über dieselben hinaus flog der helle Gasschein.

Hastig sprang er auf und eilte bald auf bekannteren Wegen dem Parke zu. Je näher er diesem kam, um so ruhiger wurde sein Schritt. Seine Stimmung wechselte mehr und mehr; zuletzt ging sie in eine Art von Humor über. Mit stillem Behagen sah er in die erleuchteten Locale, aus denen Musik und heiterer Gesang erschallte. Was er noch eben geflohen, jetzt lockte es ihn auf einmal. Zu Ende mit dem Gewinsel! Nur eine Reue gab es noch für ihn – die um ungenutzte Stunden.

Da ging es nach seiner Wohnung ab. Gedankenlos bog er in das Gäßchen, doch plötzlich stehen bleibend, lachte er auf, hob die Hand wie zum Gruße und schritt in entgegengesetzter Richtung weiter. – –

In der Morgenfrühe schwankten drei Männer desselben Weges. Zwei waren angetrunken; der Große, welcher zwischen ihnen hinstolperte, lallte nur. An der Thür eines Häuschens, um welches Rosen dufteten, machte das Kleeblatt Halt; wüstes Anbieten, wüsteres Abweisen gellte durch die Nacht. Endlich schoben sich doch alle Drei in das Häuschen.

Kurze Zeit darauf kamen Zwei wieder heraus, und Einer von ihnen rief johlend: „Der schöne Felix hat wieder seinen bösen Rausch!“




12.

Unter den öffentlichen Gärten der Residenz war der von prächtigen Alleen durchzogene Burgthorgarten der besuchteste. Seine zahlreichen Kastanienbäume und großblättrigen Linden spannten ein vollständiges Laubzelt über ihm aus und bewahrten ihm selbst im Hochsommer einen wonnigen Hauch von Kühle und Frische; seit Väter Zeiten her galt er als eine Art neutralen Bodens, auf dem sich im buntesten Gemisch und mit gleichen Rechten Arm wie Reich, Hoch wie Gering tummelten. Deshalb wurden hier auch, unter dem großen türkischen Gartenzelte, alle Concerte gegeben, die einen Wohlthätigkeitszweck verfolgten.

Auch heute Abend war ein solches Concert, durch welches sich die Residenzler auf ziemlich mühelose Weise ihr Stück Gotteslohn verdienten. Ein schwerer, in einem Gebirgsthal des Ländchens niedergegangener Wolkenbruch, der die gesammte Ernte jenes Landstrichs vernichtet hatte, mußte willkommene Gelegenheit geben, den Burgthorgarten wieder einmal zu besuchen.

Der ganze große Concertplatz war dicht mit fröhlichen Menschen besetzt, und selbst in den entlegensten Theilen des Gartens hatten sich kleine Gesellschaften eingerichtet. Es war ein unvergleichlicher Abend; das weiche Flüstern in den Baumwipfeln, das Spielen mit abendrothen Lichtern drängte sich Jedem wohlig in’s Herz, und die Harmonien durchdrangen wie ein Evangelium der Versöhnung dieses reizvolle Stückchen Welt.

An einem kleinen Tisch, der seitwärts auf dem Platze am Gartenzelt unter einer einzelnen Platane stand, saß Josephine Harder mit Frau Adelheid und einem jungen Manne, dessen Bewegungen und ganzes Benehmen auf den ersten Blick den Vollblutaristokraten kennzeichneten. Alles an ihm war gemessen und voll feiner Reserve, trotz eines verbindlichen, beinahe warmen Tones, sobald ihn etwas lebhafter erregte. Man lächelte oft an dem kleinen Tische, und Josephine schien dem Reiz einer sympathischen Unterhaltung völlig hingegeben. Baron Reichenau mußte seinen guten Tag haben; dann konnten ihn Anflüge von Witz, ja Geist in der That zum angenehmsten Gesellschafter machen.

Der Abend rückte vor; bald flammte es überall in den zahllosen weißen Lampenglocken der Candelaber, Bogen und Kronen. Ein gedämpftes Lichtmeer durchwogte den Raum und verwandelte ihn scheinbar, da sich das Laub der Bäume wie zu einer einzigen Wölbung emporhob, in einen mächtigen Saal.

Nicht weit von dem Platze, den sich Josephine gewählt, war ein offenes Büffet. Die Kellner liefen dort ab und zu; es trat auch wohl ein Herr heran und nahm im Stehen noch irgend einen „Steigbügeltrunk“. An einer Ecke dieses Büffets, mehr im Schatten als im Lichte, lehnte nachlässig ein hagerer Mann, der augenscheinlich mit sich zu Rathe ging, ob er noch etwas trinken sollte oder nicht. Begehrlich fuhren seine unsteten Blicke zwischen den Flaschen hin; die Hand klimperte in der Tasche mit kleiner Münze. Es war ein häßlicher Mensch; die eingebogene Nase, der große Mund mit dem fast vierkantigen Kinn hatten trotz des verhüllenden Bartes etwas Thierisches. Dabei sah er tief leidend aus; die eingefallenen Wangen waren aschfarben und alle Züge wie vorzeitig welk geworden.

Mit ein paar gleichsam hervorgestoßenen Worten forderte er endlich einen Rum. Er trank ihn und ließ sich das Glas nochmals füllen. In der Art, wie ihn die Büffetdame bedient, wie sie sein Geld genommen, mußte etwas gewesen sein, was den Mann verletzt hatte; er sagte höhnisch:

„Na na! Verbrennen Sie sich nur die Pfötchen nicht! Ihre Zimperlichkeit soll leben!“

Mit diesen Worten stürzte er auch das zweite Glas hinunter; bei dem Emporheben des Armes bemerkte man, daß sein Rock sehr abgetragen war, sich unten am Aermel sogar in Fransen auflöste.

Wie zufällig trat ein Polizist heran, und die beiden Männer maßen sich. In dem Blicke des Hagern, in seinem stolzen Sichabwenden lag für den Augenblick etwas Achtung Einflößendes. Er ging unbehelligt fort, und der Polizist begann ein Gespräch mit einem herbeikommenden Kellner.

Der hagere Mann trat an eine Statue, welche sich unter all diesen modernen Tischen und Stühlen seltsam genug ausnahm. Es war jene Polyhymnia, die, auf den umschleierten Arm gestützt, mit so ernstem Sinnen in die Ferne blickt. Der Mann legte die Hand leicht auf das Postament der Statue und sah gleichgültig in das Gewühl der aufbrechenden und kommenden Menschen. Plötzlich fuhr seine Hand am Postament hin und umfaßte wie im Krampf eine Ecke desselben. Auf den Wangen des Mannes trat scharf abgegrenzte Röthe hervor; seine Blicke hafteten in unnatürlichem Glanze auf einer Gruppe von Menschen, aus der sich eben drei Personen abzweigten, indem sie langsam einen Seitenweg einschlugen.

Der Mann eilte mit großen, unsichern Schritten querüber zu dem Bosquet, ging in demselben bis an die Stelle, wo jener Seitenweg einmündete, und stellte sich dicht an eine Platane. Ihre langen Aeste hingen wie ein Mantel um ihn.

Arglos, mit Scherzen auf den Lippen, näherten sich die drei Personen – Josephine mit ihren Begleitern – dem Bosquet. So fröhlich klang der Ausruf: „Ich gebe mich nicht gefangen – es gilt eine Wette.“

Den Mann unter der Platane mußte der Ton von Josephine’s Stimme erschreckt haben; er zuckte jäh zusammen. Doch nur einen Moment lang; dann schlug er die herumhängenden Aeste bei Seite und stand hochaufgerichtet vor ihr. Ehe sie zurückweichen konnte, hatte er ihre Hand gefasst:

„Finde ich Dich endlich? Wie lange Du mich suchen ließest!“ rang es sich von seinen Lippen.

„Sie, wirklich – Sie?“ rief Josephine, mit Entsetzen auf ihren Angreifer starrend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_730.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)