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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

surrt der Schwarm über das Terrain. Ein gewandter, erfahrener Finkler läßt sich durch die ersten Boten nicht irre machen; hat er erkannt, daß ein dichter Schwarm folgt, dann läßt er oft ein und zwei Dutzend vorüberziehen, von denen doch immer einzelne im Garnbereich liegen bleiben, und erst wenn die große Masse im Bereich der Flügel ist, zieht er an und läßt das Garn zusammenschlagen. In der nächsten Secunde sind dann auch schon die Hüttenbewohner draußen; es gilt jetzt mit aller Schnelligkeit und Gewandtheit zuzugreifen, denn die Lerche läuft, sobald sie sich vom ersten Schreck erholt hat, unter dem Garn hin, bis sie einen Ausweg findet. Während die Schwestern, die mit dem Schrecken davon gekommen sind, laut schreiend davonfliegen, erfassen die Jäger, vorsichtig auf das Netz tretend, die Gefangenen, die sie entweder sogleich tödten, oder aber, wenn die Jagd nicht ergiebig ist, als Lockvögel aufheben. In der Nähe solcher Städte, wo sich viele Vogelliebhaber befinden, werden auch wohl alle aufgehoben und in die „Kutschen“ gethan, um lebend auf den Vogelmarkt gebracht zu werden. Die Todten werden aufgereiht und, wo es nothwendig ist, bei Seite geschafft, damit sie nicht in die Hände der Grundwächter oder Jagdpächter fallen. Mit den Lerchen zugleich kommen die Pieper, oft mit den Lerchen vermischt. Ihr Fleisch wird von den Gourmands noch höher geschätzt. Uebrigens pflegt in den genannten Districten ein Fangmorgen nicht besonders ergiebig zu sein, und wenn ein Vogelsteller hundert Stück Lerchen fängt, dann nennt er das einen guten Fang. Mit fünfzig ist er auch schon zufrieden. Berechnet man ein Dutzend mit einer Mark, dann stellt sich der Gewinn für die sehr beschwerliche und oft auch kostspielige Thätigkeit durchschnittlich auf drei bis sechs Mark. Ungleich ergiebiger ist bekanntlich der Lerchen- und überhaupt der Vogelfang in den Thalengen der Südalpen. Dort ist ein Ergebniß von tausend Stück an einem Morgen, mit den Standnetzen, nicht sehr selten, ja, Tschudi versichert, es wäre oft noch weit größer. Erklärt mag der Unterschied werden durch die große Ausdehnung des Jagdgebietes im Norden; über Nordfrankreich, Belgien, Holland und einige Theile Norddeutschlands. Dann hat man es hier auch mitunter nur mit Sammelplätzen zu thun, während dort auf engem Terrain der Reisezug in voller Entwickelung, Tag für Tag, von Statten geht.

Weit mehr Arbeit als Lerchen und Pieper machen durchweg die Finken, namentlich der Distelfink. Der Buchfink wird nur gefangen, um lebend verkauft zu werden; ebenso der Distelfink. Der Flachsfink dagegen, der in großen Schwärmen kommt, wird oft todt mit den Piepern zusammen verkauft. Die Franzosen und Italiener speisen mit Vorliebe Lerchen und Finken; der bittere Beigeschmack der ersteren Vögel, welcher vom Rübsamen herrührt, macht sie ihnen zu Delikatessen. Auch in Wien sind „kleine Vögel mit Polenta“ (immer Finken und Fliegenfänger durch einander) ein stehender Artikel auf jedem Speisezettel. In Norddeutschland werden meines Wissens die Finken nicht gespeist. Man begnügt sich dort mit Lerchen, Piepern und Fliegenfängern.

Auch bei den Finken findet sich, wie schon gesagt, oft ein erfahrener Vogel an der Spitze, welcher die andern warnt und rechtzeitig abschwenkt. Am häufigsten wird das beim Distelfinken beobachtet, und doch treibt die Neugierde oder Zutraulichkeit gerade diesen Vogel immer wieder in das Garn. Da er unter den Finken der werthvollste ist, so werden bei seinem Fange die größten Anstrengungen gemacht.

Im Spätherbste, an schönen Tagen, wenn die Sonnenfäden über die Stoppeln fliegen, spielt der Distelfink im niedrigen Gestrüppe am Rande der Aecker. In kleinen Schwärmen zu fünfzig bis hundert flattern die bunten niedlichen Vögel gleich großen Schmetterlingen über die Distelstöcke, oft noch lange nach dem Abzug der großen Geschwader. Kommt ein solcher Schwarm in die Nähe der Vogelhütte, dann werden alle Kräfte rege. Die Distelpfeife wird hervorgeholt und macht den Lockvogel munter; Futter wird auf den Platz geworfen; Distelstöcke werden aufgepflanzt und der beklagenswerthe Distelvogel an der Wippe muß immerfort emporflattern. Aber es kommt selten vor, daß die vorsichtigen Vöglein direkt in das Garn fallen. Sie lassen sich meistens in der Nähe des Platzes nieder, antworten dem Lockvogel und umflattern kundschaftend das Terrain. Der Finkler muß jetzt sehr kaltes Blut haben und zwei oder drei, welche auf den Platz eingefallen sind, nicht beachten. Sammelt sich nach und nach ein Dutzend, und erwischt er davon die Hälfte, dann kann er zufrieden sein. Aber auch die Entflohenen werden noch nicht aufgegeben. Der Gehülfe muß dem Schwarme nacheilen und ihn auf Umwegen wieder dem Platze zuzutreiben suchen. Es ist mitunter der Fall, daß derselbe Schwarm zweimal in ein und dasselbe Garn geräth.

Ein Theil der gefangenen Finken wird von einem traurigen Geschick ereilt; die Männchen werden nämlich geblendet. Doch ist das nur bei Buchfink und Flachsfink der Fall; denn der zarte Distelfink würde die Operation nicht überstehen. Das Blenden der Vögel wird leider noch heute in vielen Städten des Niederlandes betrieben. In Mastricht, Verviers, Lüttich, Brüssel sieht man die geblendeten Vögel bei allen Vogelhändlern und auf allen Märkten. Der Fink wird für die Operation förmlich vorbereitet. Gleich wie der Canarienvogel, der in der Dunkelheit sein Stück erlernen muß, wird er eine Zeitlang vom Lichte abgesperrt, aber nicht damit er singe, sondern damit er in der Dunkelheit seinen Futter- und Trinknapf ertasten lernt. Er findet sich bald in dem gewohnten Bauer trotz der völligen Finsterniß zurecht, und jetzt werden ihm mit einem glühenden Drahte die Augen gebrannt. Das verstümmelte Thier bietet nach der Operation einen gar traurigen Anblick. An der Stelle der Augen bilden sich häßliche blaue Beulen, und daran und an den zuckenden Bewegungen erkennt man schon von weitem den geblendeten Finken. Jetzt entwickelt sich bei diesen Vögeln eine merkwürdige Lust zum Gesang; man kann es vielleicht besser Singwuth nennen. Der Werth des Buchfinken aber steigt nicht allein nach der Art des Schlages, bei welchem bekanntlich zahlreiche Variationen vorkommen, sondern auch nach der Häufigkeit des Vortrages. Die Vogelsteller und Liebhaber arrangiren zu Zeiten förmliche Wettkämpfe, und jener Vogel erhält einen Preis, welcher sich als der ausdauerndste erweist. Hat er dazu noch einen seltenen Schlag, dann ist er für den Liebhaber ein unbezahlbarer Schatz. Beim Vogelstellen aber erweist der geblendete Fink die besten Dienste. Sein Gehör hat sich geschärft, und er erkennt das Herannahen eines Schwarmes auf sehr große Entfernung, um dann unermüdlich zu locken.

Neben den Singvögeln fallen dem Vogelsteller zuweilen verbotene Früchte in das Garn, wie Wachteln und Rebhühner. Er kann der Jagdlust selten widerstehen, wenn eine Kette Wachteln über das Garn streicht – selbst auf die Gefahr hin, daß sie ihm das Garn zerreißt. Die Rebhühner bestrafen die Ungesetzlichkeit meistens, indem sie ganze Stücke vom Garne mit fortreißen. Der Fang der Amseln und Krammetsvögel wird nicht mit dem Flügelgarn betrieben; sie gehen nicht hinein, ebenso wenig der kluge Staar, und es ist ein ungewöhnliches Ereigniß, wenn einige von diesen Arten als Beute heimgebracht werden. Häufiger passirt es dem Meister Lampe, wenn er gedankenlos über das Feld galoppirt. Einem ordentlichen Finkler fällt es nicht ein, aufzuspringen und den Hasen durch Zurufen zu verscheuchen. Er läßt ihn herankommen mit dem Risico, daß ihm das Garn ruinirt und hintennach vom Jäger ein Protocoll gemacht wird. Da der Hase mit seinen starken Läufen unfehlbar das Garn zerreißen würde, so paßt der Vogelsteller den Moment ab, wo derselbe die stark gespannte Umfassungsschnur übersetzt, und verabfolgt ihm mit der aufschnellenden Schnur einen so starken Schlag, daß er betäubt hinfällt, wenn er nicht gar noch erfaßt und förmlich über das Feld geschleudert wird. Das ist dann immer ein großes Ereigniß in der friedlichen Hütte, nebenbei freilich oft genug die Veranlassung zu sehr handgreiflichem Meinungsaustausch über das Eigenthumsrecht.

Im Frühjahre ist, wie oben bemerkt, die kleine Saison für den Vogelsteller, wenn die Vögel aus dem Süden zurückkehren. Er legt jetzt auch nicht immer das große Garn aus, sondern benutzt ein einfaches, kleines Netz, wobei Lockvogel und Futter die Hauptrolle spielen. Die großen Schwärme haben sich bereits aufgelöst, und in kleinen Trupps suchen die Heimkehrenden ihr Futter und geeignete Nistplätze. Die Vogelsteller behaupten, daß jetzt die Männchen der Lerchen, Finken und feineren Vögel leichter in das Garn fallen weit sie aufgeregter sind und lebhafter auf den Lockvogel gehen. Im Frühjahre sollen daher mehr Nachtigallen, Schwarzplättchen, Zeisige und dergleichen gefangen werden. Diese Arten sind natürlich nur für den Verkauf bestimmt. Auch der Fang der Lerchen und Finken pflegt zu dieser Frist ein sehr spärlicher zu sein, sodaß sich der Verkauf der Getödteten in der Koppel nicht verlohnt. Es wird also fast nur für die Versorgung der Vogelmärkte „gearbeitet“. Die passionirten Liebhaber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_739.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)