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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Bei dem Erscheinen des Trupps, welcher den Gefangenen brachte, bemächtigte sich dieser Strolche eine unbeschreibliche Aufregung. Wer in der Nähe war, warf unter Fluchen und Verwünschungen weg, was er gerade in den Händen hielt, um mitzugehen, und von den entfernteren Punkten liefen die Anderen herbei und schlossen sich an. Dazwischen erscholl das Bellen der Hunde, das Weinen und Schreien der gestoßenen und getretenen Kinder, das schrille Rufen der Weiber.

Die Träger hatten noch nicht Halt gemacht, als eine mächtige, wohlbekannte Stimme an Walter’s Ohr schlug.

„Habt Ihr ihn endlich?“

„Ja, Herr!“ lautete die Antwort.

Dann noch einige Schritte, und mit einem plötzlichen Rucke sah sich der unglückliche Gelehrte dicht neben einem riesigen offenen Feuer auf die Erde versetzt.

Seine erste Bewegung deutete auf den, freilich vergeblichen, Versuch, sich der gefährlichen Nähe der züngelnden Flammen zu entziehen. Ein rohes Lachen der ihm zunächst Stehenden antwortete hierauf, und schon hoben sich ein paar nackte braune Füße in der unverkennbaren Absicht, ihn dem feindlichen Gluthherde noch näher zu schieben, als ein leiser drohender Laut der soeben gehörten befehlenden Stimme im Momente rings umher lautlose Ruhe schuf. Aufblickend, erkannte Walter die hohe Gestalt und die grausamen kalten Augen des Mulatten Melazzo, die in aufmerksamer Beobachtung auf ihn gerichtet waren.

„Pedro!“ rief der Mulatte jetzt.

Ein junger Mestize trat vor, der die Leitung des Unternehmens gehabt zu haben schien.

„Es ist der Spion, Herr, der Deinen Zufluchtsort verrathen hat. Heute trafen wir ihn, als er eben seine Zaubermittel vor sich ausgebreitet hatte. Möge ihn die verdiente Strafe treffen!“

Der Mulatte nickte. Seine unheimlichen Augen verließen den Gefesselten nicht einen Augenblick.

„Ja, er ist es,“ sagte er dann mit der eigenthümlich wohllautenden Stimme, die für Walter das Entsetzliche seiner Erscheinung womöglich noch erhöhte. „Er ist der Mann, der nicht nur mich, sondern uns Alle dem Strick der weißen Schufte ausliefern wollte. Was werden wir mit ihm beginnen?“

Ein Zucken zweideutigen Erstaunens lief über all die gaffenden, in höchster Spannung stierenden dunklen Gesichter; dann folgte ein Murmeln, welches ungefähr die Meinung kundgab, daß der umliegende Wald Bäume genug enthalte, um die ganze Sclavenhalter-Armee an ihren Zweigen baumeln zu sehen, und daß daher nichts leichter sei, als diesen einzelnen wehrlosen Deutschen mit einem passenden Galgen zu versorgen.

Der Mulatte nickte auf’s Neue. Ueber seine bronzenen Gesichtszüge glitt es wie herber Hohn, doch nur für die Dauer einer Secunde. Er erhob den Kopf, und die frühere athemlose Stille trat wieder ein.

„Er hat den Tod verdient,“ sagte er mit laut erhobener Stimme. „Wir stehen indessen nicht allein. Der Union, den Befreiern der Sclaven sind unsere Dienste gewidmet, und General Grant zahlt mit freigebiger Hand jede Kundschaft, die wir ihm bringen. Die Aussagen dieses Menschen können ihm und dadurch auch uns von Nutzen sein. Ueberlaßt ihn daher mir! Ich werde ihn auszuforschen wissen, und Ihr sollt alle mit mir zufrieden sein.“

Wieder durchlief ein Murmeln die Versammlung; nach kurzem, unsicherem Zögern erfolgte endlich die einstimmige Einwilligung. Der Mulatte schien es nicht anders erwartet zu haben. Ruhig winkte er ein paar Leute heran.

„Bringt den Gefangenen in Sicherheit!“ sagte er. „Die Nacht ist da; Ihr werdet müde und hungrig sein; ein Fäßchen Rum steht für Euch bereit. Geht und laßt es Euch schmecken.“

Ein tobender Jubel antwortete dieser Rede. Wieder wurde Walter aufgehoben und wenige Minuten darauf befand er sich in einer Art von Verschlag, der, roh aus ungeschälten Holzstämmen ausgeführt, zur Aufbewahrung von Kisten und allerhand Vorräthen diente. Die schwere Thür wurde geschlossen, und eine eiserne Stange von außen davor befestigt; der junge Mann war allein und hatte ungestörte Muße, seine Lage zu übersehen, so weit nämlich die traumartige Betäubung, von der er sich noch immer nicht befreien konnte, und das schmerzende Einschneiden seiner Bande ihm die Fähigkeit dazu ließe.

Walter glaubte nicht, daß Melazzo es auf seinen Tod abgesehen – und doch – wenn es kein anderes Mittel zur Rettung gab, als eines, das offenbar der Wahnsinn erfunden hatte – Walter’s Seele bäumte sich schaudernd auf bei dem Gedanken. Sollte er ein Weib aus dieser blutgetränkten Hand empfangen, dann dünkte ihm selbst der Tod eine Erlösung.

Allein der Tod ist kein Gast, den man mit offenen Armen und lächelnder Lippe zu empfangen pflegt, und Walter hatte so Vieles, was ihm das Leben theuer machte: eine segensreiche Wirksamkeit, den Ruhm des Gelehrten, und vor Allem die Heimath, von der er jetzt erst fühlte, wie stark sie seine Seele fesselte.

Sie war ihm kein Paradies gewesen, diese Heimath, denn Walter war armer Leute Kind und hatte sich durchkämpfen müssen durch des Lebens Noth – es war ihm gelungen – und wie Vieles enthielt diese Heimath nicht sonst noch, wie Vieles, das ihm theuer war! Der letzte Brief, den er der Mutter geschrieben, er sollte nun der letzte bleiben für alle Ewigkeit.

Walter stöhnte auf im grimmen unaussprechlichen Schmerze. Und dazwischen kamen immer wieder die körperliche Leiden und steigerten sich zur unerträglichen Qual. Er konnte nicht schreien; denn der Knebel riß seinen Mund aus einander und drückte ihm die ausgedörrte Zunge gegen den trockenen, brennenden Gaumen – ach! und er hätte Alles gegeben, was er auf Erden besaß, für einen einzigen labenden Trunk.

Endlich nahm die fieberhafte Betäubung immer mehr überhand und versenkte ihn in einen Zustand halber Vergessenheit. Da weckte ihn ein Geräusch, das vor dem Verschlage entstand. Die eiserne Stange wurde von der Thür weggenommen; diese öffnete sich; Licht drang herein, und Melazzo erschien auf der Schwelle. Ein junger Neger hinter ihm trug eine Fackel, die er, vortretend, an der Mauer in eine rohe Klammer befestigte; dann bückte er sich zu dem Gefangenen nieder, löste den Knebel aus seinem Munde und rückte ihn in sitzende Stellung, worauf er sich schweigend entfernte.

Melazzo hatte dem ganzen Vorgehen stumm mit verschränkten Armen zugesehen; nun trat auch er vor, stieß mit dem Fuße einen großen Holzblock in die gehörige Lage und setzte sich nieder. Dann zog er mit Gelassenheit ein höchst zierlich gearbeitetes silbernes Etui hervor, das schwerlich auf gesetzlichem Wege in seinen Besitz gelangt war, entnahm ihm einige Cigaretten und begann mit größter Gemüthsruhe zu rauchen, indem er dabei mit offenbarer Befriedigung seinen Gefangenen betrachtete.

Walter wandte die Augen weg, um sich den verhaßten Anblick zu ersparen. Melazzo rauchte unbekümmert weiter. Endlich hatte er seine Cigaretten zu Ende geraucht, und Walter fühlte, daß nach der Komödie jetzt der Ernst sich geltend machen werde.

(Fortsetzung folgt.)




Berliner Bilder.
3. Der Berliner Gänsemarkt.

„Eine jute, jebratene Jans und ein juter Jurkensalat ist eine jute Jabe Jottes,“ sagt der richtige Berliner. In der That ist die Gans der Lieblingsvogel unserer modernen Weltstadt und genießt eine größere Popularität nach ihrem Tode als mancher berühmte Mann bei seinem Leben. – In welcher Gestalt sie auch erscheinen mag, ob als knuspriger, goldbrauner Braten, mit Borsdorfer Aepfeln gefüllt, als herzhaftes Gänseweißsauer, von delicater Gallerte umgeben, oder als zarte, rosige Spickgans, immer ist sie Allen ein willkommener Gast. Jeder einzelne Theil, das Gänseklein, die Leber, das Schmalz und die Grieben erfreuen sich einer besonderen Verehrung und haben ihre Liebhaber.

Bei ihrem Anblick verklären sich die Gesichter der Kinder, lächelt die Hausfrau, schmunzelt der Vater und begrüßt die selige Freundin, deren saftiges Fleisch nun des zerlegenden Messers

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_748.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)