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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Enttäuschungen und schweren Klagen, wenn die gekaufte Gans bei genauerer Prüfung nicht die Probe aushält und sich bald zu mager, bald zu zäh erweist. Dann giebt es statt der gehofften Freuden Trauer und Zwist, und nicht selten wird der Borsdorfer Apfel im Innern der Gans zum Erisapfel zwischen der Hausfrau und ihrer Köchin.

Auch zum Gänsekauf gehört Glück und Verstand, wie folgende kleine Geschichte zeigt, die sich hier vor Kurzem zugetragen haben soll.

Da die Gans nicht nur den Beifall und die Liebe der Christen, sondern fast noch mehr die Verehrung Israels genießt, so wollte eine jüdische Hausfrau zum Sonnabend auf dem Markt von einer Bauerfrau eine noch lebende Gans kaufen. Nach langem Hin- und Herhandeln einigen sich endlich Beide über den Preis.

Schon zieht die erfreute Jüdin ihr Portemonnaie aus der Tasche, um das Geld der Bäuerin zu zahlen, als diese sich schmerzbewegt zu der Gans herniederbeugt und von dem Thier traurig Abschied nimmt:

„Zehn Jahre habe ich dich gefüttert, und nun sollen dich die Juden essen!“

So leise diese Worte auch geflüstert werden, entgehen sie nicht den scharfen Ohren der Käuferin. Schnell steckt sie ihr Portemonnaie wieder in die Tasche.

„Gott bewahre mich vor Ihrer Gans! Wenn sie so alt geworden ist, werden sie die Juden nicht essen.“




Der deutsche Schiller-Preis.[1]

Der hundertjährige Geburtstag Schiller’s, der 10. November 1859, gab die Veranlassung zum Entstehen des Schiller-Preises. Der damalige Prinzregent von Preußen, der jetzige Kaiser Wilhelm, betheiligte sich an dem großen Schiller-Feste durch eine seiner edelsten Thaten: er bestimmte „tausend Thaler in Gold und eine goldene Denkmünze für das beste in dem Zeitraume von drei Jahren bekannt gewordene Werk der deutschen dramatischen Dichtkunst“.

In elf Paragraphen wurden ursprünglich die Preisbestimmungen niedergelegt. Eine laut Paragraph 1 durch den Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten alle drei Jahre neu zu ernennende Commission von neun Mitgliedern sollte über gewissenhafte Ausführung der übrigen zehn Paragraphen wachen.

Dreimal ward statutenmäßig der Schiller-Preis ertheilt.

Den ersten Preis erhielt 1863 einer der hervorragendsten deutschen Dramatiker, Friedrich Hebbel, für seine „Nibelungen“-Trilogie. Den zweiten empfing 1866 ein damals noch unbekannter junger hoffnungsvoller Dramatiker, Albert Lindner, für seine Tragödie „Brutus und Collatinus“. Die dritte Krönung ward 1869 dem beliebtesten deutschen Lyriker, Emanuel Geibel, für seine poesievolle dramatische Schöpfung „Sophonisbe“ zu Theil. Durch diese Dichterkrönungen hatten die betreffenden Commissionen den Intentionen des hohen Stifters zu entsprechen gestrebt, welche namentlich in Paragraph 6 der Statuten ihren Ausdruck finden:

„Zur Auswahl werden nur solche in deutscher Sprache verfaßte Originalwerke der dramatischen Literatur zugelassen, welche durch eigenthümliche Erfindung und gediegene Durchbildung in Gedanken und Form einen bleibenden Werth haben. Dabei sind solche Werke besonders zu berücksichtigen, welche zur Aufführung auf der Bühne sich vorzugsweise eignen, ohne doch dem vorübergehenden Geschmacke des Tages zu huldigen.“

Die Commissionen von 1872, 1875 und 1878 fanden keine deutsche Dichtung der Krönung würdig, obschon die Mitglieder der letztgenannten Commission durch Einberufungsschreiben des hohen Ministeriums dahin verständigt wurden:

„daß jene Worte (des Paragraphen 6) nicht in einer Strenge zu fassen seien, welche vielleicht selbst hervorragende Werke unserer classischen Literatur zur Zeit ihrer Entstehung von dem Preise ausgeschlossen haben würde. Sei der bleibende Werth dramatischer Werke nur in seltenen Ausnahmen unmittelbar nach ihrem Erscheinen mit vollkommener Zuversicht zu constatiren, so werde man immerhin dem, was in seiner Zeit nach dem Urtheile ernster und sachverständiger Männer eine hervorragende Bedeutung habe, in gewissem Sinne einen bleibenden Werth unter allen Umständen anerkennen dürfen.“

Trotz dieser einsichtsvollen Verständigung fand die Commission keine deutsche Dichtung der Krönung würdig, doch hat sie in Folge derselben einstimmig den Beschluß gefaßt:

„nicht drei Stücke zur Krönung vorzuschlagen, sondern drei dramatische Dichter, die sich wiederholt und auch im laufenden Triennium um die deutsche Bühne verdient gemacht.“

So wurden die Herren Franz Nissel, Adolf Wilbrandt und Ludwig Anzengruber gekrönt. Nissel und Anzengruber sind Oesterreicher; Wilbrandt ist Mecklenburger, wurzelt aber mit seinem dichterischen Schaffen ebenfalls in Oesterreich.

Das Urtheil der Commission ist viel angefochten worden. Vielleicht daß man nur nicht verstand, was es verblümt sagen will. Die Commission krönt statt dramatischer Dichtungen drei Dichter wegen wiederholter Verdienste um die deutsche Bühne „auch im letzten Triennium“. Welche Verdienste? Ich wüßte nicht, worin sie bestehen sollten, wenn nicht in den dramatischen Arbeiten der genannten Dichter. Nun aber: sind diese Arbeiten auch die im „laufenden Triennium“, verdienstvoll, warum krönt man dann nicht statutengemäß diese Arbeiten? Wozu dann die neue Form der Motivirung?

Das ganze Verfahren kann keinen andern Zweck haben, als den: die Commissionen von 1872 und 1875 auf eine möglichst unverfängliche Weise zu desavouiren. Denn thatsächlich desavouirt sind dieselben durch die letzte Commissionsentscheidung; die „wiederholt erworbenen Verdienste“ der gekrönten Dichter fallen eben in die Jahre 1869 bis 1875. War es doch 1875, daß der nämliche Adolf Wilbrandt von anderer Seite her als „krönungswürdig“ erkannt wurde, indem er für sein Trauerspiel „Gracchus der Volkstribun“ den ersten „Grillparzer-Preis“ empfing.

Wie dem auch sei: daß die beiden Commissionen von 1872 und 1875 verkehrt gehandelt, ist zweifellos. Ein „bestes Stück“ aus dem für jede Commission in Frage kommenden Triennium war vorhanden, und mochte es ästhetisch eine Höhe haben, welche es wollte: den Absichten des Stifters war mit der Verweigerung jeder Krönung sicher am allerschlechtesten gedient.

Wenn der Schiller-Preis einen Zweck haben soll, so kann es nur der sein: das deutsche Drama zu beleben, indem er einmal dem erfolgreichen Streben zur Belohnung, der tüchtigen Kraft zum Sporn und zum Läuterungsmittel für ihre künstlerischen Ziele wird, dann aber auch, indem er durch den Hinweis auf die werthvollsten neueren Ausführungsobjecte die Bühne bereichert. Jene Commissionen sind weder der ersten noch der zweiten Absicht gerecht geworden.

Aber wie steht es in dieser Hinsicht mit den anderen Commissionen?

Was Punkt Eins betrifft, so verdienen die ersten drei Commissionen, von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet, volle Anerkennung. Auch die letzte hat sich, angesichts der vorliegenden Schwierigkeiten, mit Anstand aus der Sache gezogen.

Anders verhält es sich mit Punkt Zwei. Die von den ersten drei Commissionen gekrönten Stücke sind kaum noch auf dem Repertoire der ersten deutschen Bühnen zu finden. Unter den drei Helden der letzten Preisvertheilung haben Wilbrandt und Anzengruber ohne Zweifel Lebensfähiges geschrieben, während in

  1. [751] Wenn wir den obigen Artikel in der zu Schiller’s Geburtstag erscheinenden Nummer der „Gartenlaube“ zum Abdruck bringen, in welcher wir alljährlich dem Andenken an unseren Dichter ein Blatt zu widmen pflegen, so geschieht dies, weil auch mit dieser Mahnung im Interesse eines Schiller-Instituts ein Wort zu unseres großen Dichters Ehre ausgesprochen wird. Was seinen Namen trägt, sollte stets auch in seinem Geiste vor der Welt erscheinen.
    Die Redaction.      
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_751.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2022)