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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Vorführung der verschiedenen Systeme von Telegraphenapparaten von Gauß’ und Sömmering’s ersten Versuchsapparaten ab bis zu den neuen Morse- und Hughes-Systemen, ferner der Materialien für den Bau von oberirdischen und unterirdischen Leitungen sowie submarinen Kabeln, der Bell- und Edison-Telephone, des Phonographen und des Mikrophons, jenes Sammlers und Ueberbringers der leisesten und zartesten Töne, endlich der Rohrpost gewidmet.

Das Modell der Rohrpost vergegenwärtigt uns eine Lebensader der großen Hauptstädte. Dr. Stephan ließ, weil „der Straßen quetschende Enge“ immer gefahrvoller wurde, 1875 die Stadt Berlin mit einem unterirdischen Netze von pneumatischen Tuben versehen, das am 1. December 1876 in einer Ausdehnung von 25,9 Kilometern mit 15 Stationen dem Betriebe übergeben wurde, und das jetzt (1879) bereits auf circa 40 Kilometer Röhrenlänge mit 23 Rohrpostämtern gestiegen ist. Das Rohrpostnetz entlastet den Telegraphenverkehr in erwünschter Weise und ermöglicht es, Depeschen in wenigen Minuten von einem Ende Berlins an das andere zu befördern. Innerhalb einer Stunde kann man auf jedem von der Rohrpost berührten Punkte Berlins Frage und Antwort ausgetauscht haben. Jeder Rohrpostzug legt etwa 1000 Meter in der Minute zurück; zur Beförderung dienen Blechcylinder mit Lederausfütterung von außen; die bewegende Kraft ist entweder comprimirte oder verdünnte Luft. Im Jahre 1878 sind innerhalb Berlins 1,087,826 Depeschen und 386,966 Rohrpostbriefe mittelst der Rohrpost befördert worden.

Der jüngeren Schwester der Post, der Telegraphie, welche während früherer Jahre in Deutschland eigentlich die Rolle einer Treibhauspflanze oder eines Schmerzenskindes spielte, weil ihre Einnahmen nicht hoch genug waren, um die beträchtlichen Ausgaben zu decken, hat erst die Verbindung mit der altbefestigten Post wieder neues Leben eingeflößt und seit 1876 hat sie unter Dr. Stephan’s kraftvoller und reformatorischer Leitung einen bedeutenden Aufschwung genommen. Die wichtigste, von Dr. Stephan in’s Leben gerufene Verbesserung des Telegraphen in Deutschland besteht in dem Bau unterirdischer Telegraphenlinien zwischen allen in strategischer, politischer oder commercieller Hinsicht wichtigen Punkten des deutschen Reiches, also den Hauptstädten, den Festungen und den Handelsplätzen. Mit dieser bedeutsamen Neuerung ist Deutschland allen übrigen Ländern weit vorausgeeilt; seine unterirdischen Linien erstrecken sich bereits in einer Länge von 3660 Kilometer durch das Reich. Dank diesen von allen Witterungseinflüssen unberührten Leitungen ist den häufigen Störungen des Telegraphenbetriebes durch Stürme, Schneewehen und andere elementare Kräfte gänzlich vorgebeugt und der Werth der telegraphischen Verbindungen ungemein erhöht worden.

Sehr interessant ist es, die Durchschnitte der Kabel, welche in die Erde versenkt werden, mit ihren starken Schutzdrähten und Compoundhüllen, innerhalb deren die feinen Kupferadern tief versteckt schlummern und der Botschaft harren – „als Inbegriff der allerfeinsten Kräfte“ – näher anzuschauen; sie sind ein schöner Beweis der Beharrlichkeit des Menschen, der sich die gewaltigste Naturkraft dienstbar zu machen verstand. Ein riesiger „Kabelschrank“, in dem beigegebenen Hauptbilde rechts sichtbar, zeigt uns Abschnitte der großen submarinen Kabel, welche, auf dem Grunde des Oceans ruhend, den elektrischen Strom von Welttheil zu Welttheil hinüberführen. Wir scheiden für heute von dem Museum, dessen Besichtigung wir Allen empfehlen, welche sich an jenen bedeutsamen Einrichtungen erfreuen können, die der friedlichen Annäherung der Nationen, der endlichen Verbrüderung aller Völker geweiht sind.




Ehestandsgeschichten unter Pelz und Federn.


Wir glauben auf den Beifall einer großen Zahl von Lesern rechnen zu dürfen, wenn wir im Folgenden Einiges aus den Aushängebogen einer interessanten Schrift mittheilen, welche Ludwig Büchner unter dem Titel „Liebe und Liebesleben in der Thierwelt“ (Berlin, Hoffmann) [1] soeben der Oeffentlichkeit übergiebt. Unter den zahlreichen Beispielen nämlich, welche der Autor für seine Beobachtungen beibringt, sind gerade die interessantesten dem Verfasser in Folge einer öffentlichen Aufforderung in der „Gartenlaube“ (siehe Jahrgang 1875, S. 780) mitgetheilt worden. Von den mannigfachen Capiteln des Buches, das einen Gegenstand behandelt, dem auch die „Gartenlaube“ von jeher ihr besonderes Interesse zugewandt hat, wählen wir dasjenige aus, welches die Ehe und das Eheleben bei den Thieren als eine der entsprechenden menschlichen sehr nahe verwandte Einrichtung bespricht. Wohl wird gar mancher Leser verwundert den Kopf schütteln und sich fragen, ob es bei den Thieren überhaupt eine Ehe gäbe oder geben könne? ob bei ihnen mehr als blos ein regelloser, nur der Eingebung des augenblicklichen Triebes folgender Verkehr der Geschlechter unter einander denkbar oder möglich sei? Die Antwort auf diese Frage lautet: Es kann kein Zweifel darüber sein, daß die „Thierehe gerade so gut eine festbestimmte Einrichtung der thierischen Gesellschaft ist, wie die Menschenehe eine solche der menschlichen. Zahlreiche, gut verbürgte Beispiele und Thatsachen haben es dem Verfasser des obengenannte Buches möglich gemacht, mit Ehestandsgeschichten unter Pelz und Federn nicht weniger als 42 enggedruckte Seiten zu füllen.

„Es braucht kaum gesagt zu werden,“ bemerkt der Verfasser, „daß die Thierehe keineswegs eine blos zu Fortpflanzungszwecken geschlossene Vereinigung ist, sondern daß es, wie sich W. Wundt (Vorlesungen über Menschen- und Thierseele) ausdrückt, „ein gewisses sittliches Gefühl ist, welches dieselbe zusammenhält.“ Auch ist es nicht richtig, daß, wie man gewöhnlich annimmt, die Familienbande zwischen Eltern und Kindern bei den Thieren mit dem Selbstständigwerden der letzteren immer und gänzlich zerreißen, denn Büchner führt schlagende Beispiele für das Gegentheil an.

Als eigentliches Ideal und Vorbild der Thierehe bezeichnet derselbe die Vogelehe. Die meisten Vögel leben in geschlossener Ehe auf Lebenszeit, und nur verhältnißmäßig wenige von ihnen in Vielweiberei (einige auch in Vielmännerei) Manche Vögel halten zum Zwecke der Verehelichung oder Paarung förmliche Versammlungen, in denen der Bund auf Lebenszeit in gemeinschaftlicher Verständigung geschlossen wird. So berichtet Darwin von der „großen Elsternhochzeit“, zu welcher sich die gemeine Elster aus allen Theilen des Delamerewaldes alljährlich im Frühjahr an besonderen Orten zu versammeln pflegt. Man sieht die Vögel in Haufen eifrig schwatzend, zuweilen kämpfend und geschäftig zwischen den Bäumen hin- und herfliegend. Wenn sie sich trennen, bemerkt man, daß sie sich Alle zu Paaren zusammen gethan haben.

Die so viel bewunderte zärtliche und treue Liebe der Sperlings-Papageien ist allbekannt. Bonnet erzählt, daß, nachdem er ein solches Paar vier Jahre lang ernährt hatte, das Weibchen in Altersschwäche verfiel und nicht mehr zum Troge kommen konnte. Es wurde nun vom Männchen gefüttert, und als es schwächer wurde und nicht mehr die Sprosse zu erreichen vermochte, von demselben mit Anstrengung aller Kräfte heraufgezogen. Als es endlich starb, lief das Männchen mit großer Unruhe hin und her, versuchte ihm Nahrung beizubringen, blickte es zuweilen still an, gab ein klägliches Geschrei von sich und starb nach einigen Monaten. Ein Gleiches oder Aehnliches hat man übrigens bei allen sogenannten Gesellschaftsvögeln beobachtet, welche den Tod ihres Ehegenossen selten überleben; Brehm führt sogar ein Beispiel an, daß sich ein Uhuweibchen zu Tode grämte, als sein Gatte und langjähriger Genosse starb. Am nächsten kommt indessen in ehelicher Liebe dem Zwergpapagei der jetzt in Europa so viel gezüchtete, zierliche, in prachtvoll grasgrünem Kleid schillernde Wellensittich oder Wellenpapagei, welcher in seiner Heimath (Australien) ebenfalls in großen Gesellschaften lebt, ohne daß sich die einzelnen Pärchen jemals verlassen oder verlieren. Auch sind diese Pärchen, eben ihres treuinnigen Zusammenhanges wegen, leicht als solche zu erkennen. Freilich kommt so großer Liebe auch die Eifersucht dieser Vögel gleich. Neubert, welcher zwei Paare derselben besaß, verlor beide Männchen und erhielt erst nach geraumer Zeit Ersatz für eines von ihnen. Als das neue Männchen in den Bauer zu den beiden Wittwen gebracht wurde, welche sich bis dahin sehr gut vertragen hatten, erwachte deren Eifersucht; die nicht bevorzugte Wittwe wurde fast rasend, fuhr auf die beglückte Braut los, hing sich ihr an den Schwanz und riß ihr die Federn aus. Sie mußte entfernt und einem andern Bräutigam angetraut werden, mit dem sie aber – eine seltene Ausnahme – ein sehr mürrisches Leben führte, offenbar weil sie den ersten, ihr vor den Augen weggenommenen Bräutigam nicht vergessen konnte.

Unter unseren europäischen Vögeln sind es neben den Störchen besonders die Schwalben und die Haustauben, welche sich durch Innigkeit ihres Ehe- und Familienlebens auszeichnen. Um so tragischer pflegen sich bei ihnen auch die Conflicte zu gestalten, welche durch Zwist, Untreue oder Eifersucht in der Ehe dieser, wie es scheint, von starken Leidenschaften beherrschten Thierchen zeitweise gerade so hervorgerufen werden, wie in der menschlichen Ehe. Hier nur ein Beispiel!

In der Gaststube einer Brauerei des schlesischen Landstädtchens Lomnitz nistete 1871 ein Schwalbenpaar mit vier Jungen, ohne sich durch das Geräusch des Wirthshauslebens stören zu lassen; es benutzte die Momente des häufigen Thüröffnens zum Ein- und Ausfliegen. Im nächsten Jahre kamen sie wieder. Der Brauer Stein, welcher Interesse an den Thierchen nahm und sie genau beobachtete, sah, daß das Männchen eines Tages mit einem fremden Weibchen zum Neste kam, was der rechtmäßigen Gattin Veranlassung zu einem heißen Kampfe gab. Da derselbe aber schließlich ungünstig für sie ausfiel, wollte ihr der Brauer zu Hülfe

  1. Vergleiche in Nr. 16 und Nr. 21 des Jahrgangs 1877 der „Gartenlaube“ die Artikel „Sprache der Insecten“ und „Kleine Landwirthe“, welche sich auf die Schrift: „Aus dem Geistesleben der Thiere oder Staaten und Thaten der Kleinen“ von Dr. L. Büchner (Berlin, Allgem. Verein für deutsche Literatur) stützen.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_758.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)