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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Und wer war das Wesen, mit dem man ihn wider Willen verkettet hatte? Wie sah sie aus? Jetzt erst fiel es ihm ein, daß er sie eigentlich nicht gesehen. Während der Trauung hatte das Tuch ihr Gesicht verhüllt, ja, sie schien dasselbe absichtlich festgehalten zu haben, und was er später vielleicht doch von ihren Zügen hätte erblicken können, dafür hatten die Nacht, die Verwirrung, der Tumult seiner Empfindungen und endlich die maßlose Uebermüdung seine Augen blind gemacht. Aber Melazzo hatte sie seine Verwandte genannt. Was konnte sie also sein, als eine Tochter jener abscheulichen Mulattin, wahrscheinlich noch häßlicher, noch schwärzer als ihre Mutter!

Immer demüthigender, immer entsetzlicher malte er sich sein Unglück aus. Er wagte nicht, seine Kajüte zu verlassen; er schämte sich vor den Menschen. Aber würde er diesen nicht lächerlich erscheinen, wenn er sich zu freiwilliger Gefangenschaft in seiner Kajüte verurtheilte? Einmal mußte diese Gefangenschaft ja doch enden.

Er machte hastig Toilette. Dann öffnete er die Thür und steckte ängstlich den Kopf hinaus, in der Erwartung, die verhaßten Mulattinnen gleich draußen auf der Lauer nach dem Ehemann zu erblicken. Doch er sah nichts. Der Platz war frei.

Auch als er hinausging, zeigten sie sich nicht, selbst nicht im Salon, in dessen eleganten Räumen es sich eben jetzt eine nur aus Weißen, Herren und Damen, bestehende Gesellschaft bequem machte. Die Theilnahme war auffallend, mit der sich bei seinem Erscheinen alle Augen sogleich nach ihm wendeten. Wußte denn hier schon Alles um sein Unglück?

Ein Wort des Capitains klärte Walter über den Grund dieser Theilnahme auf: Mrs. Walter war gefährlich erkrankt, und mehrere Stunden der Nacht hindurch hatte man für ihr Leben gefürchtet. Einige der älteren Damen hielten es für angemessen, sich bei dem hübschen, blassen, gewiß höchst betrübten jungen Ehemanne nach dem Befinden der Leidenden zu erkundigen.

In seiner Verlegenheit stammelte Walter eine ungeschickte Entschuldigung, die seine totale Unkenntniß sowie sein bedauerndes Erstaunen kundthun sollte, und da man ihm in demselben Augenblicke sein Frühstück servirte, machte er sich mit einem gesunden, durch die Prüfungen des vergangenen Tages verschärften Appetit ohne Zögern darüber her.

Das war ein Verstoß gegen eheliche Wohlanständigkeit, den eine Amerikanerin unmöglich verzeihen kann. Der würdige, grauhaarige Seemann schüttelte verwundert den Kopf, und mit kühler Abgemessenheit zogen sich die Damen von dem rohen, gefühllosen Deutschen zurück.

Walter verzehrte sein Frühstück einsam und stieg alsdann auf das Verdeck, um hier sein aufgeregtes Gemüth durch das großartige Schauspiel, das Meer und Himmel boten, zu zerstreuen.

Es war ein wundervoller Tag. Und dazu die Luft, diese laue, leichte, unbeschreiblich süße Luft der südlichen Welt, die, noch mit den Wohlgerüchen des Landes gewürzt, sich wie ein duftiger Schleier um die Sinne legt! Ein Spiel von Licht und Leben und durchsichtiger Farbenpracht umgab ihn, das ihn unter anderen Umständen sicher entzückt und berauscht hätte.

Gegen sein Erwarten wollte es keine Macht auf ihn üben. Das leise Wimmern, das er in der Nacht zu hören geglaubt, und der eigenthümlich erstaunte Blick des Capitains, das vornehme Befremden der Damen saßen ihm wie scharfe Dornen in der Seele. Er fühlte etwas wie Schuld. Sollte er seine Frau besuchen, sie pflegen, und, da er ja doch die Medicin absolvirt hatte, ihr seine Dienste als Arzt anbieten? Er schlug, wenn auch langsamen, zögernden Schrittes, den Weg zu ihrer Kajüte ein.

Auf sein Klopfen wurde die Thür handbreit geöffnet, und ein ebenso breiter Streifen bunten Kopftuches kam zum Vorschein, darunter ein tiefbrennendes Auge, dem ein reines Frauenprofil und der Umriß einer sammetweichen braunen Wange zur angenehmen Folie diente. Aber dieses schöne Auge war von Weinen geröthet, und um den wohlgeformten Mund lag ein Zug, der auf schweren Kummer deutete.

Es war die ältere Mulattin. Sie war höchst anständig, sogar reich in dunkle Seide gekleidet, die sich jedoch nach unten hinter einer umfangreichen, weißen Battistschürze verlor.

Allein kaum hatte die Frau ihrerseits den Besucher erkannt, als ihre Züge von unaussprechlicher Angst zu zucken begannen und sie vor Schrecken halb in die Kniee sank. Mit verzweifelnd gerungenen Händen flehte sie ihn an, er möge sich entfernen, und als Walter ging, drückte sie die Thür energisch in’s Schloß und schob von innen den Riegel vor.

Walter hatte seine Pflicht gethan, und das beruhigte ihn sehr. Zudem hatte er die keineswegs unangenehme Ueberzeugung gewonnen, daß seine Schwiegermutter, wenn ihr dieser Titel wirklich gebühren sollte, zwar von etwas ungewöhnlicher Farbe, übrigens jedoch eine nichts weniger als abstoßende Persönlichkeit sei.

Er hatte sich noch nicht weit entfernt, als die Thür, die eben mit solcher Entschiedenheit geschlossen worden, sich hinter ihm wieder öffnete. Rasch wendete Walter sich um, in der Meinung, er werde zurückgerufen; es trat jedoch ein wohlbeleibter älterer Herr heraus, der sich, nach innen gewandt, auf der Schwelle noch einmal tief verneigte und dadurch dem jungen Manne die flüchtige Vision eines mit Seide, Gold und sanften harmonischen Farben ausgestatteten kleinen Raumes gewährte.


(Fortsetzung folgt.)




Adam Oehlenschläger.


Zu seinem hundertsten Geburtstage.


Der 14. November 1879 ist für das geistige Leben des europäischen Nordens von hoher Bedeutung, denn an diesem Tage vor hundert Jahren ward Adam Gottlob Oehlenschläger geboren, eines der größten Dichtergenies nicht nur Dänemarks, sondern der gesammten skandinavischen Lande.

Schon das allein wäre Grund genug, bei dieser Gelegenheit sein Leben und seine Werke näher in’s Auge zu fassen; für Deutschland aber liegt noch der weitere Grund vor, daß Oehlenschläger’s Dichtung, wie selbstständig sie sich auch gestaltete, in ihrem Ursprunge mit einer der bedeutendsten Perioden in der Geschichte des deutschen Geisteslebens eng zusammenhängt.

Oehlenschläger ward am 14. November 1779 in einem Häuschen der Vorstadt Vesterbro vor Kopenhagen geboren. Das Haus ist längst verschwunden, und an dem Platze ist jetzt eine Straße angelegt, die den Namen des Dichters führt. Sein Vater stammte aus dem südlichen Schleswig; seine Mutter war eines Kopenhagener Bürgers Tochter; sowohl von väterlicher, wie von mütterlicher Seite waren die Vorfahren deutscher Herkunft. Der Vater war Organist an der Kirche zu Frederiksborg und erhielt ein Jahr nach seines Sohnes Geburt den Posten eines Schloßverwaltungs-Bevollmächtigten auf dem gleichnamigen Schlosse, wo ihm auch seine Wohnung angewiesen wurde. Hier verlebte der Dichter seine Kindheit in glücklichen, wenn auch bescheidenen Verhältnissen, unter steter Einwirkung seitens der Eltern, die beide eigenthümliche, vollausgeprägte Persönlichkeiten waren; der Vater eine joviale, kerngesunde Natur, die Mutter ernster, sanft und träumerisch.

In hohem Grade trugen die Umgebungen, in denen er aufwuchs, dazu bei, seinen Geist eigenartig zu entwickeln, namentlich aber auf seine Phantasie befruchtend zu wirken. Das Schloß war in der Regel unbewohnt, und der sonst an ärmliche Verhältnisse gewöhnte Knabe konnte nach Herzenslust sich in den hohen, reichverzierten Sälen mit den bunten Gemälden und in dem großen Schloßgarten, der damals noch im steifen französischen Geschmack mit Taxuspyramiden und glattgeschorenen Hecken gehalten war, ergehen. Auch den im Entstehen begriffenen schönen Park Söndermarken mit seinen freieren englischen Anlagen, der zu jener Zeit noch dem großen Publicum verschlossen war, hatte er meistentheils für sich allein.

Immer und immer wieder kommt die Erinnerung des Dichters in seinem späteren Schaffen zurück auf diese seine glückliche Kindheit, die in all ihrer stillen, unbewegten Einförmigkeit so reich an tiefen Eindrücken für seine empfängliche Seele war.

Früh erwachte bei ihm das Bedürfniß nach geistiger Beschäftigung, und mit unersättlicher Begierde machte er sich ohne Wahl über alle Unterhaltungsschriften her, die er auftreiben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_764.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)