Seite:Die Gartenlaube (1879) 776.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Kettenhund auf ihn losläßt, ihn dann aber an seinen Tisch zieht und ihm eine gefüllte Börse giebt. In der Hauptstadt rührt er mit den Zauberklängen das Herz eines despotischen Herrschers; dieser zieht ihn an den Hof und spendet ihm reiche Ehren. In seinem Glanz wirbt er um die Hand der armen Geliebten. Sie folgt ihm in den Wald; sie hofft dort auf eine glänzende Morgengabe. Er aber wirft das prunkende Hofgewand ab; sie erschrickt, daß sie einem Bettler sich hingegeben, doch er rührt die Geige, und von ihren Zauberklängen entzückt, sinkt sie in den Arm des jungen Spielmanns, und beide ziehen weiter in den Wald.

Mit dieser träumerisch beleuchteten Darstellung der Schicksale seines Helden hat der Dichter allerlei barocke Einfälle und humoristische Zwischenspiele arabeskenhaft verwebt. Sein Stil ist durchaus originell. Er beseelt, wie der echte Dichter soll, das Todte draußen in der Welt.

Gleich beim Beginn der Dichtung sehen wir den jungen Geiger aus hoher Mansarde auf die Nachbardächer schauen:

„Morgenroth und Abendröthe
Hellten ihm die braunen Dächer,
Wenn der Tag begann und hinsank;
Immer gleiche Wellenrücken
Aufgereckter Ziegelsteine
Kalt und schweigsam auch wie Steine.
Nun im Licht und nun im Schatten,
Rechts hinüber lag der grämlich
Alte Giebel, lag zur Linken
Angeschwärzt der breite Schornstein;
Sahn sich an, als hielten Zwiesprach
Sie aus langverschollnen Tagen,
Doch in wunderlicher Sprache,
Unverständlich und unhörbar,
Daß es nichts dem Ohre frommte,
Wenn gespannt hinaus er horchte.
Aber was auch hätt’s ihm frommen
Sollen, wenn er es verstanden,
Des zerborstenen Gemäuers
Brummend dumpfes Windfangmurren
Von vergangnen Sonnen einst’ger
Zeiten, von begrabnen Menschen,
Todtem Glück, verstummtem Herzleid;
Ihm, dem heut der Herzschlag pochte,
Der des eignen Lebens Sehnsucht
In sich trug nach heut’ger Sonne –
Ach, was sollte in des Mondlichts
Bleichem Weben ihm der todten
Steine geisterhaftes Raunen!“

Gewiß, verehrte Freundin, Sie spüren hier mit mir den Mosesstab, der aus todten Steinen den lebendigen Quell der Dichtung schlägt.

Noch eine andere, eben erschienene Dichtung kann ich Ihnen empfehlen, „Murillo“ von Ernst Eckstein, eine Künstlernovelle in wohltönenden Versen von einem Autor, dessen größere humoristische Gedichte oft einen kecken Ton anschlagen und bisweilen an Meister Boccaccio erinnern. „Murillo“ ist aber eine Erzählung für den Familientisch; ihr Hauptvorzug besteht in dem treuen spanischen Colorit, das der Dichter, der Spanien aus eigener Anschauung kennt, vollkommen beherrscht. Mag er uns Andalusiens blühende Gefilde oder die öden Strecken der Mancha schildern: stets erhalten wir ein lebendiges stimmungsvolles Bild. Erzählt wird uns in dem Gedicht, wie der Knabe Murillo früh seine hohe Begabung an den Tag legt, Gönner und Schützerinnen, aber auch Neider und Feinde findet, wie er von Sevilla nach Madrid wandert, dort von Velasquez zum Meister ausgebildet wird und später, nach Sevilla zurückgekehrt, einen großen Triumph feiert. Sein Bild, Santa Justa und Santa Rufina, welche Sevillas Thurm schützen und halten, wird trotz der tadelnden Kritik der neidischen Maler vom Volke bewundert und auch vom König anerkannt, der dem Dichter den Lorbeer reicht. Die Liebe Murillo’s zu einer vornehmen jungen Dame bildet einen zweiten durch die Künstlernovelle sich hindurchziehenden Faden: auch diese Liebe erringt den Preis. Ehe Murillo nach Madrid wandert, erblickt er seine Schöne, welche ihm damals unerreichbar scheint.

„Schon regt sich’s droben am Altan …
Was hast du, fiebernder Esteban?
Ja wohl, sie ist’s, die Wonnereiche,
Die Blumenschöne, die Engelgleiche …
Es rauscht des Kleides schneeige Pracht.
So tritt sie hinaus in die stille Nacht.

O welch ein Bild! Durch Baum und Strauch
Fächelt ein luftig kühler Hauch,
Und leise schauernd mit zarter Hand
Schließt sie am Busen das leichte Gewand.
Ein blauer Mantel faltenreich
Rollt von den Schultern voll und weich,
Und ob der eignen Pracht erschrocken
Beben die aufgelösten Locken.
So steht sie da, die Heilige, Reine,
Glanzumflossen im Mondenscheine,
Und schaut empor in’s ewige Blau,
Verzückt wie Unsere liebe Frau,
Da einst durch Gottes ewige Gnade
Als Bote ihr der Engel nahte.
Kennt ihr das Werk, so hehr und mild,
Das wunderholde Madonnenbild?
Seht ihr die Heilige von Madrid?
Auf Wolken schwebt ihr leichter Schritt;
Voll zarter Scheu, voll heiliger Lust
Preßt sie die Hände vor die Brust.
Sie hebt verklärt den Blick, den süßen;
Der Halbmond flimmert ihr zu Füßen,
Und alles leuchtet rings und strahlt.
So hat Murillo sie gemalt
Als Fürst der Kunst in spätern Tagen,
Da er den Kranz davongetragen.
Das Bild des Mädchens am Altane,
Das er geschaut in trunknem Wahne,
Es sank dem Künstler unbewußt
Als höchstes Urbild in die Brust;
Denn traun, es ist der Liebe Art,
Daß sie das Ew’ge offenbart.“

Das ist gewiß lebendig geschildert und treffend ausgedrückt.

Sie sehen, verehrte Freundin, unsere lyrische Epik bietet noch immer Beachtenswerthes, und es ist nicht alles so schablonenhaft, wie es die Gegner unserer modernen Poesie ausschreien. Auch unsere Lyrik hat noch einige originelle Charakterköpfe aufzuweisen; freilich, die nichtssagenden Alltagsgesichter, die uns aus hundert Versbändchen entgegenblicken, verehrte Freundin, verdienen keinen Platz in Ihrem poetischen Album.




Blätter und Blüthen.


„Einberufung zur großen Armee.“ Die Ordres des Unerbittlichen ergehen in letzter Zeit rasch nach einander an den glänzenden Kreis, welchen die Helden des „Reichs“ um den Kaiser bilden. Einer um den Andern von den Grauköpfen salutirt zum letzten Mal und marschirt zur „großen Armee“ ab. Sie stehen eben Alle in einem Alter, wo, wie im Kriege, die Jahre doppelt zählen. Das Jahrzehnt, welches seit dem großen Kriege nahezu vergangen ist, hat aus Sechszigern Siebenziger und aus Siebenzigern Achtziger und Alle „zur Einberufung fertig“ gemacht. Der Jüngsteinberufene war der vielerprobte Generalquartiermeister des deutschen Heeres.

General Eugen Anton Theophil von Podbielski gehörte bis zur Belagerung von Paris zu den hohen Officieren Preußens, deren Wirken sich dem Auge der Oeffentlichkeit entzieht, deren Namen aber innerhalb der Armee um so gewichtiger sind; sonst würde sein Kriegsherr ihm nicht in den drei Feldzügen von 1864 (in Schleswig-Holstein), 1866 und 1870 die verantwortliche Stellung eines Generalquartiermeisters – bekanntlich soviel wie die rechte Hand des Generalstabschefs – anvertraut haben. Auch um die Organisation des Norddeutschen Bundesheeres erwarb er sich anerkannte Verdienste. – Trotz alledem wurde sein Name erst allgemein, aber auch gleich weltbekannt durch die telegrafischen Kriegs- oder vielmehr Siegesberichte, die er aus dem Hauptquartier nach Deutschland sandte. Seine Telegramme sind für die Geschichte jener gewaltigen Tage Marksteine mit Lapidarschrift, so bestimmt, kurz, klar und wahr, daß sie in ihrer Art einzig dastehen. Und damit Komus in der Weltgeschichte nicht fehle, sind es nicht die Berichte über die vielen und großen Triumphe allein gewesen, die auf seinen Namen besonders aufmerksam machten, sondern der Umstand, daß er so lange Zeit „nichts Neues vor Paris“ zu berichten hatte. So ist es in der That, aber um so wohlthuender ist es auch, daß dieses Spiel des Schicksals das Andenken des Mannes nicht im Geringsten beeinträchtigt. Er steht bei den Helden des „Reichs“ und wird seine Stelle in unserer Geschichte behaupten, so lange sie selbst besteht.

Podbielski hatte fünfzehn Jahre vor der verhängnißvollen Majorsecke zugebracht und war einundvierzig Jahre alt geworden, ehe es mit seinem Avancement rascher vorwärts ging. Er wurde 1861 Oberst; in den österreichischen Krieg zog er als Generalmajor und nach Frankreich als Generallieutenant. Im Jahre 1872 wurde er zum Generalinspector der Artillerie ernannt, und im folgenden Jahre erhielt er den Rang eines Generals der Cavallerie.

Der letzte des October war auch der letzte Tag seines Lebens. Der Tod hätte fast den alten Soldaten auf dessen Morgenritte überrascht. Kaum heimgekehrt, traf den Fünfundsechszigjährigen ein Herzschlag, und der Mittag fand ihn entseelt. – Dem um das Vaterland verdienten Helden legen wir dankbar dieses Blatt auf das Grab.

F. Hfm.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_776.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)