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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Letztere sprach – und der Verstockte schwieg noch immer! Was sollte er auch sagen? Konnte er auf all diese deutlichen und so liebevoll gemeinten Winke mit der brutalen Antwort kommen: „Meine Gnädigste, ich verstehe Sie recht gut, aber mir ist es leider unmöglich, Ihrer reizenden Schwester ein solches Glück zu schaffen, denn ich bin seit vollen vier Jahren ein verheiratheter Mann, für den es nicht einmal eine Scheidung giebt, da ihn die Frau mit dem Ehecontract unwiederbringlich verlassen und so in die Lage gesetzt hat, nicht einmal seine Verheirathung beweisen zu können“?

Die Baronin hatte, wie es schien, keine Ahnung von den Qualen, die sie ihrem unglücklichen Zuhörer durch ihre freundlichen Mittheilungen bereitete. Der heilige Laurentius auf seinem Roste war unleugbar, so weit es den Körper betrifft, in einer weit fataleren Lage, als der Professor in diesem Augenblick, allein im Gemüthe bestand zwischen Beiden eine starke Aehnlichkeit, nur daß der Letztere sich mit weit weniger Heroismus in die Verhältnisse schickte. Der Spaziergang wollte dem Professor durchaus nicht bekommen; sobald man das Hôtel wieder erreicht hatte, schloß er sich in sein Zimmer ein und ließ sich für den Abend bei den Damen entschuldigen.

In unbeschreiblichen Herzensqualen verbrachte er die Nacht, und als er am andern Morgen seinen Nachbarinnen bei der Frühpromenade begegnete, starrte ihn die Baronin erschrocken an und die schönen Augen ihrer Schwester füllten sich mit Thränen, die sie nicht ganz zu verbergen vermochte. Ja, sie überwand nach längerem sichtlichem Kampfe ihre Schüchternheit so weit, daß sie plötzlich von freien Stücken ihre Hand in den Arm des leidenden Freundes legte. Unter dem Vorwande, ihm eine eigenthümliche Pflanze zu zeigen, die sie am vergangenen Tage bemerkt, führte sie ihn eine kleine Strecke abseits von der Gesellschaft, und mit welch holder Befangenheit, und zugleich wie innig bat sie ihn während der wenigen Schritte, doch ja auf seine Gesundheit Acht zu geben – es würde gewiß für Schwester und Schwager – und auch für sie selbst, setzte sie leiseren Tones und tief erröthend hinzu, ein großer Schmerz sein, wenn eine Krankheit ihn befallen sollte. Und mit welcher zärtlichen Besorgniß hatte sie dann einen flüchtigen Augenblick zu ihm aufgesehen! Der Professor war gerührt bis in das innerste Herz. Er fühlte es der lieben jungen Frau nach, wie viel der kleine Schritt ihrem zurückhaltenden Wesen gekostet haben müßte, und im festen Glauben, daß man dem verzagten Freier großmütig entgegen kam, empfand er es als heilige Pflicht, den liebenswürdigen Frauen die volle Wahrheit über sich und seine Verhältnisse zu sagen.

Aber dann, wie unendlich lächerlich kam er sich wieder bei der ganzen Geschichte vor! Wie würden sie seine Mittheilung aufnehmen? Würden sie ihm glauben? Und wenn – würde nicht die Baronin, würde nicht vor Allem Lucia sich mit Verachtung von ihm wenden? Er fühlte sich zerschmettert bei der bloßen Vorstellung. Den Gedanken, Lucia aufzugeben, vermochte er nicht einmal auszudenken. Es war ihm, als müsse das Leben für ihn auslöschen, wenn der süße Wohllaut ihrer Stimme, wenn das sanfte Licht ihrer Augen aufhören sollten, es zu verklären. Er dachte sich ihr stilles, umsichtiges häusliches Walten, das sich nie vordrängte, nie geräuschvoll auftrat, das aber immer vorgesorgt hatte, gerade wo es nöthig war. Wie war sie so ganz geeignet, das Leben eines ruhigen Gelehrten zu verschönern, der neben seiner Wissenschaft keine andere Welt suchte und wünschte, als die kleine Welt seiner Familie! Gerade ihre Mängel empfand er als Vorzüge; daß sie bei einer weit gediegeneren Bildung weniger von jenem glänzenden Esprit zur Verfügung hatte, welcher der Conversation der Baronin einen so pikanten Reiz verlieh, war ihm eine werthvolle Bürgschaft für den Frieden seiner Studirstube.

Ruhelos wanderte er den Vormittag über einsam am Strande hin, und das Resultat aller Ueberlegungen und Kämpfe war der feste Entschluß: er wollte beichten.

Es wurde Abend, bevor er den Entschluß ausführte. Die Baronin nöthigte ihn, wie gewöhnlich, nach dem Abendessen auf ihr Zimmer, und dort saß er, zwischen bunten Teppichen, gestickten Polstern, Albums und einem Allerlei von jenen farbigen, luxuriösen Spielereien, welche die elegante Welt zu ihren Bedürfnissen zählt, vor dem gedeckten Theetische. Ihm gegenüber hatten die Baronin und Lucia Platz genommen, jene in heller Sommertoilette, diese in schlichter schwarzer Seide. Die Letztere war angelegentlich mit einer Stickerei beschäftigt, und wie ein Schleier fielen ihr dabei die dunkeln, glänzenden Locken immer wieder eigensinnig in das gesenkte Antlitz.

Endlich – endlich nahm das Gespräch eine Wendung, welche ihm eine Anknüpfung verstattete, und mit wahrer Hast benutzte der Professor den Augenblick.

„Ja, ja! Man kommt zu vielen Uebeln unverhofft, am unverhofftesten manchmal zu einer Frau.“

Bei dieser Bemerkung des Professors hob sich das Gesicht der Stickenden ein wenig böse und leicht erröthend von der Arbeit, als jedoch ihre Augen denen des jungen Gelehrten begegneten, schrak sie mit erneutem Eifer wieder in das Zählen ihrer Stiche zurück. Die Baronin dagegen biß sich auf die Lippen und lachte dann plötzlich hell auf.

„Als unverheiratheter Mann haben Sie eigentlich kein Recht so zu sprechen,“ sagte sie dann, sich mühsam zum Ernst zwingend, „oder waren Sie vielleicht einmal mit dem schweren Uebel bedroht, eine Frau zu bekommen?“

Der Professor zögerte; sein Blick streifte, wie fragend, nach der jüngeren Schwester hinüber, doch sie hatte das Gesicht tiefer gebeugt, und er sah fast nichts als die störenden, verschleiernden Locken. Nur die Hand, mit der sie den Faden zog, zitterte merklich, und es konnte der Arbeit nur zu Gute kommen, daß sie plötzlich, wie ungeduldig, mit dem Nähen inne hielt und das schwierige Muster von neuem nachzuzählen begann.

Die Stirn des gelehrten Mannes umwölkte sich zusehends.

„Nun?“ fragte die Baronin, deren lachende Augen sein verrätherisches Gesicht nicht einen Augenblick verließen.

„Sie fragen, ob ich damit bedroht war? – Es ist weit schrecklicher, Baronin – ich bin verheirathet –“

Die Baronin nahm sich ersichtlichermaßen gewaltsam zusammen, um ihre merkwürdige Lachlust zu bändigen; ein bittender Blick aus Lucia’s Augen half ihr zum Siege.

„Mit welcher Grabesstimme Sie dies sagen!“ sprach sie endlich. „Bedenken Sie auch, wie wenig schmeichelhaft das ist für Ihre liebe Frau? Und wissen Sie außerdem, daß Sie gar nicht ehrlich sind? Was! seit fünf Wochen verkehren wir täglich mit einander, und wir und die ganze hiesige Badewelt hielten Sie noch immer für unvermählt. Haben Sie denn nie bedacht, welches Unheil Sie durch Ihr Schweigen anrichten konnten?“

Die dichten Locken der jungen Wittwe verbargen hülfreich ihr plötzliches heißes Erglühen bei der letzten Anspielung.

Auch der Professor war erröthet.

„Ich habe wirklich nicht daran gedacht,“ versetzte er einfach.

„Männliche Bescheidenheit!“ spottete die Baronin. „Aber warum nie ein Wort über Ihre Frau?“

„Weil ich selbst nichts von ihr weiß –“

„Sie scherzen.“

„Wollte Gott, es wäre ein Scherz!“ erwiderte er gepreßt.

„Sie sind doch nicht geschieden?“

Der Professor zuckte die Achseln.

„Ja und nein. Wenn Sie unter Scheidung Trennung verstehen, so sind wir allerdings geschieden, doch nach dem Gesetze sind wir es nicht.“

„Und das ertragen Sie?“

„Man muß eben ertragen, was man nicht ändern kann.“

„Haben Sie es denn versucht?“

„Nein. Es würde zu nichts führen. Auch wäre für mich allein der Gewinn die Anstrengung nicht werth.“

Die Baronin schüttelte den Kopf.

„Professor, Sie sind ein Schelm,“ sagte sie. „Gestehen Sie nur gleich, daß Sie Ihr Spiel mit uns treiben, und wir wollen Ihnen die Sünde verzeihen unter der Bedingung, daß Sie uns für Ihre lange Verschwiegenheit gebührend entschädigen. Machen Sie uns also zuerst eine bezaubernde Schilderung von Ihrer ersten Begegnung mit Ihrer lieben Frau, dann von dem Hangen und Bangen, das dieser Begegnung folgte, bis zur endlichen beseligenden Gewißheit, oder wir üben Rache, und die Folgen schreiben Sie dann sich selber zu!“

„Sie verlangen mehr, als ich zu leisten vermag,“ versetzte er nach einer kurzen Pause. „In der That, ich weiß nichts von meiner Frau. So unglaublich es klingt, ich habe ihr Gesicht kaum gesehen; ich kenne nicht einmal ihren Namen. Unsere erste Begegnung war ganz anderer Art, als Sie sich dieselbe vorstellen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_795.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)