Seite:Die Gartenlaube (1879) 819.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Darwin nennt, einen directen Schutz gegen Verfolger, welche gar oft an den Beutethieren vorbeikommen, ohne sie zu erkennen.

Am vollkommensten ist nun dieser Schutz durch die Farbenmaske bei denjenigen Thieren, deren Farbe sich bei jeder Ortsveränderung durch einen eigenthümlichen Lebensproceß der neuen Umgebung anpaßt, welches Vermögen, wie ich in Nr. 42, Jahrg. 1878 der „Gartenlaube“ schon bemerkte, sehr viele Fische, vorzugsweise die Flachfische, Drachenköpfe, Grundeln, Bachforellen und andere, ferner alle Kopffüßler und sehr viele Eidechsen und Baumfrösche, letztere in sehr hohem Maße, besitzen. Vom Chamäleon ist dasselbe allgemein bekannt, aber auch die Blutsauger-Echsen und Leguane ändern ihre Farbe sehr leicht, der Arrad, sowie die Schiller-Echsen übertreffen hierin noch das Chamäleon, und viele Baumfrösche erscheinen nach jedem Sprung anders und zwar dem neuen Orte gleichgefärbt, sodaß man sie auf den ersten Blick fast immer für Blätter oder Astknorren hält.

Die Anpassung an die Umgebung, das Maskiren zum Schutze der Thiere erstreckt sich aber nicht allein auf die Farbe, sondern auch auf die Form, und offenbart sich hierin in der verschiedensten, oft geradezu in komischer Weise.

So haben die Raupen des rothen Ordensbandes seitliche Franzen, welche sich derartig an die Unterlage anschmiegen, daß das Thier zum Aste zu gehören, ein Stück Rinde zu sein scheint. Die Flügel des wandelnden Blattes sehen, wie bekannt, einem wirklichen Blatte zum Verwechseln ähnlich; auch die Blattrippen und die Verästelungen derselben sind an dem Thiere täuschend nachgebildet, und dazu sind die Schenkel noch in einer Weise verbreitert, daß sich diese Heuschrecke erst bei genauerem Ansehen als Thier erkennen läßt. Aehnlich blätterartig sind die Flügel des Gespenstlaufkäfers geformt. Auch manche Raupen, z. B. die Spannerraupen, gleichen in ihrer steifen Ruhelage täuschend einem kleinen Zweigstummel. Viele andere Schmetterlingsraupen sind durch Franzen und lappenförmige Anhänge für den ersten Blick ganz thierunähnlich gemacht. Tropische Spinnen aus der Familie der Taranteln haben überall am Leibe hornförmige Höcker, blasige Auftreibungen, Auswüchse und Erweiterungen der Beine, sodaß sie schwer als Spinnen zu erkennen sind, und wegen ähnlicher Formenspiele sind viele Zirpen, z. B. die Buckel-, Dorn-, Knoten-, Schlangen- und Helmzirpen etc. unkenntlich.

Die Pentacta, eine Seegurke (Holothurie), hat büschelförmige Kiemen, welche man sehr leicht für Algen hält; auch den Kehlfußflohkrebs unterscheidet man schwer von den Algen, auf denen er lebt. Die schlanke Asselspinne sieht dagegen wieder aus wie ein Complex von feinen Fäden und Halmen, und auch die geisterhaft schlanke Gestalt der langstirnigen Spinnenkrabbe scheint aus umgeknickten feinen Reisern zusammensetzt zu sein. Fast noch thierunähnlicher als diese sind zwei andere Krabben (Lissa und Pisa), von denen immer mehrere Exemplare im Neapolitaner Aquarium vorhanden sind und welche in ihrer Ruhestellung von Laien meist für knollige Steine gehalten werden, um so mehr als sie immer mit Moosthieren, Infusorien, Korkpolypen u. a. Thierstöcken bewachsen sind, eine Auszeichnung, die sie ihrer grenzenlosen Trägheit zu verdanken haben.

Manche Fische, wie z. B. die Drachenköpfe, sind am ganzen Leibe mit verschieden gefärbten Franzen bedeckt, die genau so aussehen, wie die verschiedenen Algen, welche die Steine gewisser Regionen regelmäßig bedecken, und hat sich nun ein solcher Fisch an einen derartigen Stein geduckt, so scheint er ganz ein Stück desselben zu sein. Das Aeußerste in der Seepflanzenähnlichkeit leistet aber, wie schon der Name andeutet, der Fetzenfisch, dessen Körper überall in lange flatternde, gewissen Algen täuschend ähnliche Fetzen und Lappen ausläuft.

Die Natur geht aber in ihrer scheinbaren Spielerei und Laune noch weiter. Zuweilen giebt sie, wie uns Darwin gezeigt hat, sehr verfolgten Thieren die Farbe und äußere Form ganz anderer Arten, welche weniger von Nachstellungen zu leiden haben, und betrügt so geradezu die betreffenden Räuber. Diese „Mimicry“ oder Nachahmung anderer Thiere ist namentlich bei einigen Schmetterlingen ausgebildet, denen sehr von Vögeln nachgestellt wird.

Wie erklären sich nun all diese individuell äußerst zweckmäßigen Anpassungen der Farbe und der Nachbildung anderer thierischer Individuen, durch welche das wahre Wesen eines Thieres maskirt wird?

Die Religionslehre sieht hierin die Allweisheit Gottes, gewisse Philosophen die Willensäußerungen einer „Erdpsyche“, einer „ Weltseele“, eines „Willens in der Natur“ oder eines „unbewußten Weltprincips“. Der Darwinismus dagegen betrachtet derartige Erscheinungen als die Folgen der Selection, der natürlichen Zuchtwahl, wie diese durch den Kampf um’s Dasein bedingt ist.

Die Zweckmäßigkeit, welche in solchen Erscheinungen den betreffenden Individuen zu gute kommt, leuchtet sofort ein, und es ist begreiflich, daß man darauf gekommen ist, sie auf den Willen eines denkenden Weltgeistes zurückzuführen. Ich bemerke übrigens, daß diese Zweckmäßigkeit wie diejenige anderer Erscheinungen, welche ich in Nr. 42, Jahrg. 1878 der „Gartenlaube“ erwähnte, nur individuell ist; denn ist z. B. das für seine eigene Existenz zweckmäßig maskirte Thier ein Räuber, der dieser Maske halber von seinen Opfern schwer erkannt wird und letztere deshalb um so leichter beschleichen kann, dann ist diese für den Räuber so zweckmäßige Anpassung für dessen Opfer zugleich im höchsten Grade unzweckmäßig. Hier gilt also der Satz des classischen Philosophen Demokrit, daß entgegengesetzte Behauptungen gleich wahr seien. Indessen ist die Darwinistische Erklärung, wonach das individuell und relativ Zweckmäßigere deshalb vorhanden ist, weil es in seiner Natur liegt sich zu erhalten, während das weniger Zweckmäßige im Kampfe um’s Dasein zu Grunde geht, bei weitem die vollkommenere und findet eine starke Unterstützung darin, daß Anpassungen, wie die hier genannten, sich bei solchen Thieren am auffälligsten, am weitesten entwickelt zeigen, welche den meisten Verfolgungen ausgesetzt sind. „Mimicry“ im engeren Sinne kommt nur bei äußerst vielseitig gefährdeten Thieren vor. Am verbreitetsten ist die „sympathische Farben- und Formwahl“ bei den Insecten und den Krebsen, erstern wird aber von Singvögeln, letztern von Polypen (Kraken) ungemein nachgestellt. Die auffälligere Anpassung dieser Art beschränkt sich überdies auf solche Thiere, welche nicht befähigt sind, sich durch andere Mittel, etwa durch rasche Flucht den Verfolgern zu entziehen, oder welche als Räuber wenig geschickt sind die Beute zu verfolgen, weshalb sie ohne ihre Masken gar bald im Kampfe um’s Dasein zu Grunde gehen würden.

Für die herumschweifenden Thiere wären aber alle diese zweckmäßigen Anpassungen nutzlos, wenn sie es nicht verstünden, bei Gefahr oder zur Ruhe auch wirklich die ihrer Maske entsprechenden Orte herauszufinden und dort die zur Täuschung geeignete Stellung einzunehmen. Hierzu beweisen aber alle entwickelteren Thiere eine sehr vollkommene Unterscheidungsgabe, die besonders bei den Vögeln unsere Bewunderung in hohem Maße verdient. Schon die Krabben kennen die ihnen gleich gefärbten Steine gar wohl, und die Schmetterlinge wissen zur Ruhe immer die ihnen ähnlichst gefärbten Blumen zu finden. Die Drachenköpfe unterscheiden bis auf die feinsten Nüancen und Schattirungen diejenigen Steine und Algen, welche sich am besten für sie zum Ducken eignen, und die Baumfrösche halten sich nie längere Zeit auf einem Aste auf, dessen Farbe sie nicht annehmen können.

Am besten unterscheiden aber die Vögel, vorzugsweise die Hühner, Reiher- und Laufvögel, die geeignetsten Oertlichkeiten, an denen sie am schwersten zu erkennen sind. Junge Trappen, Mornells, Kraniche, Auerhühner, Feldhühner und andere sind im nächsten Augenblick, nachdem die Mutter gewarnt hat, nicht mehr zu sehen und äußerst schwer zu finden, so passend haben sie den Ort zum Niederducken ausgewählt, und im vollen Bewußtsein des Werthes dieser Gleichfarbigkeit verharren sie dort regungslos in ihrer geduckten Stellung so lange, bis die Mutter wieder ruft und damit anzeigt, daß die Gefahr vorüber ist. Schnepfen, welche sich geflüchtet und irgendwo niedergeduckt haben, findet auch der geübteste Jäger meist nicht ohne die Spürnase des Hundes, weil er sie von der nächsten Umgebung nicht unterscheidet, obgleich sein Auge oft über sie hinstreift.

Auch alle Säugethiere verstehen es mehr oder minder, die geeignetste ihnen gleichsehende Oertlichkeit zum Ducken zu wählen, wiewohl nicht entfernt in dem Maße wie die erwähnten Vögel.

Anpassung an die Farbe und Form des gewöhnlichen Aufenthaltsortes, durch unbewußte natürliche Selection im Kampfe um’s Dasein bewirkt, und willkürliches Aufsuchen dieser Orte zum Fressen, Ruhen, Sonnen und Schlafen, welches eine Unterscheidung derselben voraussetzt, bedingen sich gegenseitig und weben immer in einander, und es ist nicht in jedem Falle zu entscheiden, welches Moment das Uebergewicht hat. So weit der gleichartige Ort

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_819.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2019)