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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

faßte ich endlich den Entschluß, Dich um jeden Preis von einer so widerwärtigen Last zu befreien. Und nun – nun mußt Du doch sehen, wie Du mit der Last auskommst, Du Lieber!“

„Mein Weib, mein süßes Weib!“ sagte der Glückliche, indem er sie umschlang und an sich zog, daß ihr Köpfchen an seiner Brust ruhte.

„Und wie steht’s mit Annita? Lebt sie noch?“ fragte er nach einer Pause.

„O, die wartet bei mir daheim auf die glückliche Lösung, an der sie doch zweifelt,“ sagte lachend der Baron. „Meint sie doch, auf Erden sei kein Mann gut genug für ihre Lucia. Ich warne Sie, Professor. Sie bekommen da eine Schwiegermutter in’s Haus, die nicht mit sich spaßen läßt.“

„Nein, Annita ist immer gut,“ vertheidigte Lucia sanft.

„Ja, vorausgesetzt, daß man Dir immer den Willen thut,“ lachte die Baronin. – –

Schon in der nächsten Nacht schrieb Walter seiner Mutter einen entzückten Brief und bat sie seine Wohnung für den Empfang einer jungen, feingewöhnten Frau in passenden Stand zu setzen.

„Dein Wunsch ist prophetisch gewesen,“ schloß er nach den nöthigsten Eröffnungen, „das Meer hat mir in der That eine Gattin gebracht, wie selbst Du, theuerste Mutter, sie dem geliebten Sohn nicht holdseliger und liebender wünschen kannst.“

Am nächsten Tage trennten sich die Ehepaare. Der Baron reiste mit seiner Gemahlin auf seine Güter, und Walter kehrte nach einer langen Hochzeitsreise mit seiner jungen Frau in die Heimath zurück. Dort hatte Walter’s Brief an die Mutter wie eine Bombe eingeschlagen. Die gute Frau las aus jeder Zeile seines Briefes, daß er glücklich war, und ihr mütterliches Herz strömte über von Dank und Freude.

Anders verhielt es sich freilich mit den Ehevermittlern und jenen hartnäckigen Ehecandidatinnen in ihrer Umgebung, welche die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatten. Da rümpfte man gewaltig die Nasen, und die Gesichter wurden merklich länger.

„Also schon längst verheirathet? Nun, das hätte er früher sagen können. Freilich, was mußte das für eine Frau sein, die er so lange hatte verheimlichen müssen! Das hatte gewiß seine besonderen Gründe. Wie konnte es auch anders sein – eine Creolin! Und er hätte es so gut haben können. Der arme, verblendete, unglückliche Mann!“

Als jedoch das junge Paar Besitz von der festlich geschmückten Wohnung genommen, als die anmuthige Professorin ihre ersten Besuche gemacht, als sie ihrerseits anfing Besuche zu empfangen, da war es merkwürdig, auf welch unbedeutendes Maß die Befürchtungen für das Glück des verehrten Mannes plötzlich herabgesunken waren. Die junge Frau war so bescheiden und anspruchslos trotz ihrer überseeischen Abstammung, ihrem Reichthum und ihrer hochvornehmen Geburt und Erziehung. Sie kam mit so freundlicher Güte jeder kleinen Verlegenheit entgegen, sie wußte so vortrefflich Rath in der heiklen Frage der Toilette, sie veranstaltete so gemüthlich-reizende Soiréen, sie gab vor Allem so vortreffliche Diners!

Fast zugleich mit ihrer Herrin war auch die Mulattin Annita in dem Universitätsstädtchen erschienen, und es trug ungemein dazu bei, das Ansehen der jungen Frau zu erhöhen, daß sie eine Person von so fremdartigem Aussehen zur Verwalterin ihres Hauswesens hatte. Es versteht sich, daß die treue Seele in Walter’s Familie so ziemlich die Rechte einer Schwiegermutter genoß, und sie gab in dieser schwierigen Stellung durch kluges Verschwinden, wenn es an der Zeit war, und durch rücksichtsvolles Auftauchen, wenn es gefordert wurde, ein Beispiel, das man nicht genug der Nachahmung empfehlen kann.

Von Melazzo hat man nie wieder etwas gehört, wie oft auch Walter sich nach ihm erkundigt hat. Die Wogen des Zufalls, die den seltsamen Menschen einen Augenblick emporgetragen, haben ihn, wie tausend andere werthvollere Existenzen, auch wieder spurlos hinweggespült. Der einzige Mensch vielleicht auf Erden, der ihm eine dankbare Erinnerung und sogar eine Art von Anhänglichkeit bewahrt, ist, seltsamer Weise, unser Professor. Es ist ihm, trotz aller blutigen Thaten des abenteuerlichen Mulatten, nicht möglich, ihm so feind zu sein, wie er es, wenn man die Sache vom sittlichen Standpunkte aus betrachtet, eigentlich sein sollte, er verdankt ihm nun einmal das Beste, was das Leben ihm geboten hat – seine Frau.




Vielleicht?!
(Vergl. das Bild auf S. 825.)

Ein ärmlich Stübchen unterm Dach:
Drin lehnt der junge Musikant;
Es streicht der Saiten Zauber wach
im Bogenzug die schmale Hand.
Das rauscht und flüstert, perlt und singt
Schon seit dem frühsten Morgenlicht:
Ob er’s erreicht? Ob er’s erringt?
Vielleicht – o Gott: vielleicht auch nicht

An kahler Wand ein Lorbeerkranz,
Der Preis für seiner Jugend Müh’,
Verwelkt nun; stumpf der Blätter Glanz;
Der stolze Kranz, er kam zu früh.
Schier endlos dehnet sich der Gang
Zum Ziel, das höchsten Ruhm verspricht,
Ihm wird so schwül, ihm wird so bang:
Vielleicht – o Gott: vielleicht auch nicht!

Beim Lorbeerkranz ein Mädchenbild,
Mit Sternenaugen, gleich der Nacht.
Ein Lächeln weich und gnadenmild
Umschwebt der dunklen Lippen Pracht.
In seine Seele fiel ein Strahl
Von diesem Engelsangesicht:
Dereinst – vielleicht dereinst einmal!
Vielleicht – o Gott: vielleicht auch nicht!

Ein roh Geschirr auf rohem Tisch –
Es trug sein kärglich Morgenbrod.
Längst schwand die Wange jugendfrisch;
In hohlen Zügen haust die Noth.
Doch einst – – dem Ruhm ein Fürstenkleid
Zu weben hält die Welt für Pflicht –
Geduld – vielleicht nur kurze Zeit!
Vielleicht – o Gott: vielleicht auch nicht!

Und hast’ger geigt die schmale Hand,
Und heißer brennt der tiefe Blick – –
Das ist der Traum im Wüstensand,
Der Traum von künft’gem Künstlerglück!
Und ob so oft die Hoffnung dorrt,
Wie Kraft im Fieberringen bricht –
Fort lebt das dunkle Marterwort:
Vielleicht – o Gott: vielleicht auch nicht!

Victor Blüthgen.[1]




Blätter und Blüthen.

Altersasyle. Wenn die steigende Zahl von Anfragen nach einer wohlthätigen Einrichtung dafür spricht, daß sie zum dringenden Bedürfnisse geworden sei, so ist dies mit den Versorgungshäusern oder Heimstätten für das hülfsbedürftige oder alleinstehende Alter der Fall. Schon vor vier Jahren (Jahrgang 1875, Seite 828) sah sich die „Gartenlaube“ genöthigt, über den Bestand solcher Anstalten Erkundigungen einzuziehen. Wir konnten damals deren fünf nennen, in welche nicht das Ortsbürgerrecht allein den Zutritt eröffnet. Diese sind das „Bürgerliche Invalidenhaus“ in Mainz, zwar vorzugsweise katholische Stiftung, aber auch Evangelischen zugänglich; das „Diaconissenhaus“ zu Straßburg im Elsaß, zwar von Haus aus evangelischen Charakters, aber auch Katholiken pflegend; das „Versorgungshaus für alte Leute“ in Wiesbaden von dem Geschwisterpaar Zimmermann gestiftet, alten Leuten jeden Glaubens und Landes geöffnet; das „Hospital zum heiligen Leichnam“ in Danzig, Alten jeden Landes, aber nur Christen, zugänglich, und das „Frauenheim“ in Berlin (Adresse: N, Berlin, 21 Gartenstraße) mit dem Vereinshause zu Lichterfelde. Alle diese Altersasyle bestehen noch, doch sah das Straßburger sich gezwungen, durch die „Gartenlaube“ (1876, Seite 108) gegen neue Anmeldungen um Einhalt zu bitten, da alle Räume des Diaconissenhauses überfüllt seien. Ob dies noch immer und auch bei den übrigen genannten Anstalten der Fall – werden wir vielleicht auf diese Mittheilungen hin erfahren.

Noch dringender, als früher, kamen in diesem Jahre die Bitten um Anweisung sowohl von Wohlthätigkeitsanstalten für bedürftige und kränkliche Alte, wie von Heimstätten für zahlungsfähige Vereinsamte, welche für ihren Lebensabend freundliche Pflege und Umgebung suchen, und so konnten wir nicht umhin, unsere Anfrage darnach (in Nr. 25) zu wiederholen. Es sind uns zwar, zu den obigen fünf, noch fast ein Dutzend

  1. Aus des Verfassers soeben erscheinender Weihnachtsgabe: „Gedichte“ (Leipzig, Edwin Schloemp).
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_827.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)