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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

war auf den Gast, erbot sich aber, persönlich als Führerin durch die lange Zimmerflucht ihrer Wohnräume zu dienen, da ihr Vater abwesend sei. Ludovica fand das sehr liebenswürdig von Ihrer Hoheit und bat um Nachsicht für ihre eigene mangelhafte Ausdrucksweise in der Landessprache, die sie indessen nicht hindere, Alles zu verstehen, was sie höre. Gefällig schlug Erminia zur Erleichterung des Verkehrs eine französische Conversation vor; die Gräfin ging mit verbindlicher Neigung des stolzen Hauptes darauf ein, wobei ihr ein paar Locken nach vorn über die Schultern fielen. Unwillig warf sie dieselben zurück.

„Mein abscheuliches Haar! Es chicanirt mich beständig.“

Hatte sie dadurch auf ihren Reichthum aufmerksam zu machen getrachtet, so verrechnete sie sich; Erminia nahm keine Notiz von der Bemerkung, sondern schritt mit der Frage vorauf, ob die Gräfin sich mehr für moderne oder für antike Zimmerausstattung interessire; danach wolle sie ihr Verweilen in den einzelnen Gemächern richten. Ludovica entgegnete, hier erscheine ihr Alles entzückend, worauf ihr Blick falle; Erminia nahm aber wahr, wie oberflächlich die kunstreich geschnitzten Schränke, die Tische mit Intarsia-Arbeit, die Bronzegüsse und Porcellangefäße gemustert wurden, und kam auf den Gedanken, es sei der Polin um ganz andere Dinge bei der Visite zu thun, als um Bereicherung ihrer Anschauungen. In diesem Argwohn ward das junge Herz noch bestärkt durch Ludovica’s plötzliche Aeußerung:

„Sie werden nun bald das Glück haben, Hoheit, Seine Majestät in der Lagunenstadt zu sehen.“

„Ich sehe ihn jeden Winter am Hofe.“

„Ach, Sie Beneidenswerthe!“ seufzte die Andere. „Wie gern würde ich den hiesigen Festlichkeiten beiwohnen, wäre ich nicht fremd, ohne einflußreiche Bekanntschaften, durch die ich vorgestellt werden könnte!“ Da Erminia keinen Laut von sich gab, seufzte sie noch einmal: „Es ist wohl traurig, mit vierundzwanzig Jahren schon völlig vereinsamt in der Welt zu stehen!“

„Sie reisen ganz allein?“ fragte Erminia ziemlich kühl.

„Eine treue Dienerin aus vergangenen glücklichen Tagen ist meine einzige Begleitung.“ Und unaufgefordert erzählte sie, wie lange sie bereits Wittwe sei, und daß sie ihren verstorbenen Gemahl nirgend vergessen lerne.

Erminia dachte bei sich: „Wer sehnt sich zu vergessen, was ihm einst theuer gewesen?“ Ihr geheimer Widerwille gegen die Reisende wuchs, zumal diese hier ganz so mittheilsam war, wie Tags zuvor im Palaste Giovanelli; mutmaßlich also tischte die Gräfin aller Orten dieselbe Geschichte von ihrem Unglück auf. Das verletzte die feinfühlende Seele Erminia’s; sie wünschte die Polin möglichst schnell loszuwerden und beschloß ungeachtet der Verheißung, die sie dem Lieutenant Fabbris gegeben, ihr keinen abermaligen Zutritt zu gewähren. Sie wartete nur, bis Ludovica ihr Klagelied beendet, dann sagte sie:

„Nach diesem schmerzlichen Erguß, Frau Gräfin, sind Sie schwerlich gestimmt, noch Gemälde zu betrachten; ich führe Sie daher nicht mehr in unsere Gallerie hinauf.“

Die Polin biß sich auf die Lippe.

„Vielleicht gestatten mir Hoheit ein anderes Mal die Besichtigung.“

„Wenn Sie mich nicht finden,“ entgegnete Erminia, „die Frau des Portiers steht den Fremden stets in den Stunden von Zwölf bis Vier als Wegweiserin zur Verfügung.“

Die Gräfin empfahl sich, tiefen Aerger im Busen über das spröde, unzugängliche Kind, bei dem sie so gänzlich ihren Zweck verfehlt, zu imponiren und sich einzuschmeicheln. Die Herzogstochter gab ihr nur das Geleit bis an den Vorsaal und trug der dort harrenden Kammerfrau auf, sie die breite Marmortreppe hinunter an den Ausgang zu führen. In der Gondel vor dem Palaste saß „die einzig Treue“, die Reisebegleiterin der Wittwe, der Rückkehr ihrer Gebieterin gewärtig. Ludovica’s finstere Miene weissagte ihrem lauernden Blick nichts Gutes.

„An’s Hotel zurück!“ befahl die Gräfin barsch dem Ruderer.

Die Alte war aufgestanden, half ihr beim Einsteigen und fragte leise: „Nun?“

„Eine junge Gans, das Ding, ein Stockfisch!“ machte Ludovica sich in polnischen Lauten Luft.

„Wer?“ fragte Jene in demselben Idiom.

Die Herrin zerriß fast ihren Spitzenumhang vor Zorn.

„Den Herzog traf ich nicht, nur seine einfältige Tochter, die in ihren dummen Ohren Wachs zu haben schien.“

Das Fahrzeug flog an einem anderen vorüber, in dem ein sauber gekleidetes junges Mädchen saß, den Scheitel blos von einem leichten schwarzen Schleier bedeckt, wie ihn die Töchter der venetianischen Bürgerfamilien tragen. Weder die Gräfin noch ihre Magd hatte Augen für die Kleine, welche dagegen sie desto schärfer fixirte. Kurz nachher legte die zweite Gondel an; das Mädchen zog die Glocke am Gitterportal unter der Säulenvorhalle des herzoglichen Palastes und schlüpfte in’s Innere.

Erminia war in ihr Boudoir zurückgegangen. Wie sollte sie vor Fabbris ihren Wortbruch rechtfertigen? Sie hatte doch ungeschickt gehandelt, blos ihrer unmittelbaren Empfindung zu folgen. Ein Zusammentreffen Antonio’s mit der vergötterten Fremden hätte sein Gefühl vielleicht ebenfalls in Abneigung umgewandelt. Aber es war ihr durchaus unmöglich gewesen, der Gräfin die geringste Sympathie zu heucheln. Sie überlegte und faßte den Entschluß, dem jungen Officier die volle Wahrheit zu bekennen; denn daß sie aus Eifersucht falsch geurtheilt, konnte ihm nicht in den Sinn kommen. Noch hielt sie das liebliche Köpfchen in die Hand gestützt, als ihr ein Blumenmädchen gemeldet ward, das dringend um eine Audienz bitte. Erminia war befremdet, bewilligte aber den Einlaß.

Die Supplikantin führte sich mit überaus zierlichem Knix ein und zog den schwarzen Schleier unter dem Kinn zusammen.

„Wie heißest Du?“

„Angela, Hoheit!“

„Dein Begehren?“

„Sind Eure Hoheit eine Viertelstunde ungestört?“

„Was soll’s? Geschwind!“ drängte Erminia, jedoch ohne Härte.

„Hoheit kennen den Lieutenant Antonio di Fabbris.“

Die Angeredete ward sichtlich gespannt.

„Woher weißt Du?“

„Ich sah ihn eines Abends in Ihrer Gondel. Er ist immer sehr großmütig gegen mich. So oft ich ihm vor dem Café Quadri am Marcus-Platz ein Sträußchen reiche, schenkt er mir eine halbe Lira. Dafür bin ich ihm gut, und sein Wohl liegt mir am Herzen.“

„Wie das?“

„Hoheit hatten soeben Besuch von einer Dame.“

„Nun?“

„Ich bin ihr gefolgt. Ich habe einen Bekannten, der mich umsonst fährt. Wir kreuzten so lange im Canal herum, bis die Dame den Palast verließ.“

„Nun, nun?“

Ich kann’s dem Cavaliere di Fabbris nicht sagen, es schickt sich nicht, und mir würde er gram werden, aber Eure Hoheit kann ihn vor der Fremden warnen.“

Erminia fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.

„Mädchen! Wie sollte ich dazu kommen?“

„Sie sind eben die einzige Signora, die ich mit ihm bekannt weiß, darum bin ich so dreist.“

„Weshalb ihn warnen?“

„Vorgestern Abend trat ich gerade an seinen Tisch, als er die Fremde zum ersten Male sah. Ich bemerkte augenblicklich, wie sie seine Sinne gefangen nahm; ich sagte ihm, wo sie wohnt, was sie ist; ich hatte es zufällig erfahren. Jetzt habe ich mich weiter nach ihr erkundigt. Der Portier im ,Hôtel Danieli’ ist ein gewitzter Bursche. Er sieht es allen Leuten, die dort einkehren, an, weß Geistes Kinder sie sind. Er hat bedenkliche Anmerkungen über die polnische Gräfin gemacht.“

„So?“ fiel Erminia ein. „Und Deinem Portier bin ich zu glauben verpflichtet?“

„Wie hat die Dame denn Eurer Hoheit selbst gefallen?“

Auf die Gegenfrage war Erminia nicht gefaßt; sie hatte Mühe, keine Verwirrung zu zeigen. „Was geht Dich das an?“

Angela blinzelte schlau. „Hoheit weichen mir aus, sie hat Ihnen also nicht gefallen.“ Erminia machte eine Bewegung, die Fioraja ließ sich jedoch nicht einschüchtern. „Das kann auch gar nicht anders sein. Wer nur einmal begnadigt wird, Ihnen nahe in die Augen zu schauen, der weiß gleich, daß Sie nicht zu der Polin passen.“

„Spare Deine Schmeicheleien, Angela!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_832.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)