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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

von den Pfaden des Gartens ab. Ich hatte ein wenig gelesen, aber ohne Aufmerksamkeit; es drängte etwas in meiner Seele, ich blickte wie in Erwartung zum Himmel hinauf. Da näherten sich auf dem Pfade hinter dem Weißdorn lachende Stimmen und eine derselben sagte:

„Hier ist eine Bank; setzen wir uns! Ich zeige es Ihnen.“

Der gesprochen, war ein Maler, welcher mit Alphons von Paris gekommen. Ich hörte jetzt eine Hand in Papieren blättern, und dann rief der Andere, ein Schriftsteller: „Es ist unerhört. Die Aehnlichkeit ist ebenso überraschend wie die Häßlichkeit. Ich habe in meinem Leben keinen so häßlichen Menschen gesehen, wie diesen Maurus. Man möchte lachen und man möchte weinen, wenn man ihn ansieht.“

„Weil er eine Carricatur ist,“ bemerkte der Maler. „Sehen Sie nur diese schiefen Augen, deren äußerer Winkel nicht etwa nach oben, wie bei den Mongolen, sondern nach unten gezogen ist, diese lange, linienlose Nase und den halbmondförmigen weinerlichen Mund! Die umgelegten, betrübten Ohren und das acajourothe Haar! Das einzige nicht Häßliche an ihm ist die Stirn; diese ist edel und bedeutend, aber sein Gesicht ist die unübertrefflichste Carricatur einer antiken Tragödienmaske. Als ich die Zeichnung beendet hatte, machte ich mir den Spaß, sie zwischen einen Antinous- und einen Apollo-Kopf aufzuhängen. Können Sie sich den Effect vorstellen?“

„Ja, aber ich habe keinen Ausdruck für das Bild.“

„Ich habe einen: ein unglücklicher Affe!“ Beide lachten, und dann sagte der Maler: „Mir thut der junge Mensch leid. Jetzt ist er noch ein halbes Kind und ziemlich unbefangen, aber in einigen Jahren, wenn er die jungen Mädchen ansieht und sie die Köpfe zusammenstecken und lachen, dann –“ „O, sagen Sie Alphons nicht, daß Sie Maurus gezeichnet haben! Er hat ihn unbeschreiblich lieb und würde Ihnen diesen Muthwillen nicht verzeihen.“

„Seien Sie ruhig! Solch ein Unicum verwahrt man sorgfältig in der Mappe und zeigt es nur Menschen, die starke Nerven haben,“ erwiderte der Maler, und dann entfernten sich Beide. –

„Erde, verschlinge mich!“ rief ich leise; „Hölle, nimm mich auf! Ich will Dein grimmigster Teufel werden und Gott und die Natur verfluchen.“ Ich wühlte mit meinen Fingern die Erde auf. Und als ich mich erhob mit dem Vorsatze, mich zu tödten – da ward mir, als stürze eine Feuerlawine von allen vier Weltgegenden auf mich herab – der Odem und die Sinne vergingen mir – ich sank im Todesgefühl zu Boden.

Mehrere Wochen lag ich im Fieber. Als ich davon erstand, war ich in der Seele um zehn Jahre gereift und hatte die Gedanken und den Willen eines Mannes.

Ich hatte meinen Schmerz wahrscheinlich im Fieber verrathen; denn meine Großmutter sah mich jetzt mit so zärtlichen und bewundernden Blicken an, als wäre ich der schönste Enkel, den eine Großmutter haben kann, und diese liebevolle Lüge führte sie bis zu ihrem Tode durch.

Aber im Abgrund meiner Seele brannte wie ein grimmiges Feuer der Haß gegen das Schöne, und hätte ich den edlen Alphons nicht so sehr geliebt, mit einem Hammer hätte ich seine Göttergestalten zerschlagen.

Und doch schien es mir eine Feigheit, so ohnmächtig zu hassen. Diese eitle Göttin der Schönheit, diese übermüthige Venus, die ihren zarten Fuß auf aller Sterblichen Nacken setzt und sagt: Bete mich an! – diese herzlose Göttin verhöhnt dein unglückliches Affengesicht, sagte ich mir, und sie verachtet deinen Haß, der nichts wagt. – Und als Alphons einmal verreist war, ging ich, den Trotz in der Seele, hinab in den Saal, wo er die Schönheiten aufgestellt hatte. Es war stille dort und feierlich, wie in einer Kirche. Die Wände, mit pompejanischem Roth getüncht, das gedämpfte Licht, die weißen Gestalten, die Harmonie der schwellenden Formen, der Hauch der Göttlichkeit – es ergriff mich mächtig. Ich sank auf eine Ruhebank und bedeckte mein Gesicht mit den Händen – ich weinte.

Da erhob sich in meinem Herzen eine Stimme und sagte: „Ausgestoßener! Geht dir der Trotz in Thränen unter? Wirst du wieder zum Knaben? Schmilzt dir das Mark von dem Lächeln dieser olympischen Gestalten? Brichst du zusammen im Angesichte dieser Venus, die schadenfroh ihre Gaben verschloß, als deine Seele zur Erde kam und um eine Hülle bat? Zitterst du kleinmüthig vor ihr, deren Herzlosigkeit dich um der Erde einzige Seligkeit, die Liebe, brachte? Denn wenn dich die Liebe sieht, so schreit sie auf vor Abscheu und flieht. Und wenn du ihr nacheilest, so wird ihr Hohngelächter dir die Kniee lähmen.“

Ein ganzes Leben ohne Liebe?! Ich hatte schon von ihr geträumt, mich ihr schon zugeschworen. Meine junge Seele hatte heimlich die Schwingen geübt zu hohem Fluge – und nun – ! Da sprang ich auf und trat vor die ungroßmüthige Göttin hin: „Hohn um Hohn, Verachtung um Verachtung!“ rief ich und nahm ein Stück Kohle und zeichnete mit fester Hand auf ihren göttlichen Busen mein Gesicht. Sie blieb ruhig, als hätte sie keinen Schimpf empfangen, und ich entfernte mich ruhig, als hätte ich keinen Frevel begangen.

Ein leiser Donner zog mit den Frühlingswolken am Himmel hin, aber ich achtete seiner nicht.

Von diesem Tage an zeigte ich den Menschen mein Gesicht ohne Scheu, und wenn sie darob erschraken oder mich mit unheimlicher Neugier ansahen, dann freute es mich, ihnen unangenehme Empfindungen verursacht zu haben. Ich war zu jung, als daß meine Verachtung der Schönheit eine kalte hätte sein können; sie war vom Hasse durchglüht; sie war ein Widerspruch, eine Krankheit.

Nach einigen Wochen kam Alphons zurück. Mit einem Lächeln halb des Entzückens, halb der Verlegenheit, sagte er:

„Liebe Mutter, ich habe mir eine Frau für viermalhunderttausend Franken gekauft.“

„Noch eine Frau?“ rief seine Mutter.

„Ja, eine, die mich nie quälen wird; sie ist stumm.“

„Stumm?!“

„Ja, und sie heißt Suleika.“

„Du hast sie in einem Harem gekauft?“

„Nein, ich habe sie in einer Künstlerwerkstätte gekauft – sie ist von weißem Marmor.“

„Alphons,“ sagte meine Großmutter, ihr Auge ängstlich auf ihren Sohn heftend: „Alphons, wie viele Frauen kannst Du Dir noch kaufen?“

„Keine mehr,“ erwiderte er erröthend, „aber ich will auch keine mehr; ich bleibe Suleika treu.“

„Armer Alphons, Du bist von göttlichem Wahnsinn oder von bösen Geistern geplagt! Mußt Du denn Alles haben, was Du bewunderst? Deine Liebe zur Schönheit wird Dich zum Bettler machen.“

Er lächelte. „Mutter, an Deinen Zügen habe ich die Schönheit lieben und anbeten gelernt. Ich bete sie an in der Natur und im Geiste. O welch schlechter Liebender wäre ich, wenn ich mit gemeinem Verstand und gemeiner Vorsicht die Nachtheile erwöge, die durch diese Liebe für mich entstehen können! Wie? Ich sollte ein Kunstwerk, das mir göttliche Gedanken und Genüsse giebt, das ich empfinde, als ob ich es selbst geschaffen hätte, ich sollte es in die weihelosen Hände eines Geldmenschen gelangen lassen, weil er reicher ist als ich, und weil es mich um viermalhunderttausend Franken ärmer macht?!“

„O Conihoults, was seid Ihr für ein desperates Geschlecht!“ rief meine Großmutter. „Nicht Euere Füße, nicht Euer Geist, nicht Euer Herz, nicht Euer Geld können ruhig bleiben! Laufen muß Alles! Laufen!“

„In der That, so ist es,“ sagte Alphons gedankenvoll.

„Aber, lieber Sohn, was willst Du thun, wenn Du nichts mehr hast?“

„Dann werde ich ruhig sein. Ich werde mir sagen: Conihoult, jetzt ist es aus. Sei nicht im Kleinen, was Du im Großen warst! Nimm nicht ein Achtel, noch ein Viertel, noch eine Hälfte von dem an, was Du einst besaßest! Sei stolz!“

„Du wirst unsäglich leiden.“

„Ich habe auch unsäglich genossen, Genüsse, die nicht vergehen, die ewig sind,“ rief er begeistert.

Und dann zeigte er uns seine Frau, Suleika. Sie saß auf einem Säulenstumpf und schaute mit großen, scheuen Augen sehnsüchtig in die Ferne. Ein feines, auf der Brust geschlitztes und von der linken Schulter herabgeglittenes Gewand, unter dem Busen mit einer gefransten Schärpe gebunden, floß ihr bis zu den Knöcheln herab; die halbaufgelösten Flechten ihres Haares entschlüpften in schmachtender Wildheit dem Blumenkrönchen, das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 837. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_837.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)