Seite:Die Gartenlaube (1879) 838.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

auf der Mitte des feinen Kopfes saß. Die Flügel von Suleika’s edler Nase waren erwartungsvoll gespannt, und ihre Lippen schienen sich nach einem Kusse zu sehnen. Suleika war von weißem Marmor, aber nicht von jenem bläulich weißen, kalt weißen carrarischen, sondern von röthlich weißem.

Meine Großmutter küßte sie auf die Schulter und sagte: „Schöne Suleika, süße Tochter, binde meinen Sohn, binde ihn mit allen Deinen Zaubern, binde ihn, damit er sich nicht zu Grunde richtet!“ Und dann entfernte sie sich, Thränen im Auge und ein Lächeln auf den Lippen. –

Alphons ließ Suleika in ein kleines, rundes Gemach bringen, dessen Wände mit persischen Geweben bedeckt waren, und stellte sie auf einen Sockel von schwarzem Marmor. Suleika’s Gemach war stets geschlossen, und Alphons allein besaß einen Schlüssel dazu, Keiner seiner Bekannten durfte es betreten.

„Glaubst Du,“ sagte er einmal zu mir, „daß die banale, leichtfertige Bewunderung der Menschen Suleika’s Werth für mich erhöhen könnte? Im Gegentheil, sie würde mir Suleika entweihen. Ich bewundere ihre Schönheit nicht nur, ich empfinde sie. Es ist, als hätte Suleika mir einen Liebestrank gegeben aber – verstehe mich wohl! – einen geistigen. Und der Gedanke, daß ein anderes Auge, als das meine, auf ihr ruhen könnte, ein verliebtes oder ein bekrittelndes – dieser Gedanke empört mich. Sieh, Andere gehen in die Kirche, wenn sie beten wollen; ich gehe in meine stillen Säle, in die Säle der Schönheit. Ich betrete sie barhäuptig und mit verehrungsvollem Entzücken und ich bete. Ich sage kein Pater noster und keine Litanei, aber ich bete. Und wie in jeder Kirche eine Capelle für die besondere Anbetung ist, so habe ich auch eine in meinem Schönheitstempel: die Capelle der Suleika. Und ich weiß gewiß, daß ich nach dem Tode selig werde, denn Gott ist die Schönheit im Geiste, und ich war in seinem Dienste nicht träge.“

Mehrere Tage nach Alphons’ Zurückkunft betrat ich den Saal wieder, in welchem ich dem Busen der Göttin Venus ein so entsetzliches Maal aufgedrückt hatte – es war verschwunden. Der gute Alphons hatte den göttlichen Busen davon gereinigt, ohne mir einen Vorwurf zu machen.

Aber die That war dennoch geschehen.




In meinem zwanzigsten Jahre sah ich in Rouen ein Mädchen, das sehr häßlich war. Sie saß unter den Platanen des Remparts und hatte ein Buch in der Hand. Die Seine floß still dem Meere zu; der Himmel war im Westen gewitterhaft, goldbraun und rothschwarz, und darüber schossen schwefelgelbe Lichtstrahlen und verblaßten in den weißen Wolken, die dem Flusse nachzogen.

Das Mädchen fühlte meinen Blick auf sich ruhen; erröthend stand sie auf, und da sie hastig fortgehen wollte, stieß ihr Fuß an einen Stein, und sie fiel.

Ich hob sie auf und fragte: „Haben Sie sich weh gethan?“

„Ja, ein wenig,“ erwiderte sie lächelnd. „Ich glaube, ich kann noch nicht gehen.“

Ich führte sie zur Bank zurück und setzte mich neben sie.

„Ich danke Ihnen,“ sagte sie, und jetzt erst sah sie mich an.

Da verschwand das Lächeln von ihrem Munde, und ihr Gesicht wurde traurig. Sie dachte wohl: dieser Mensch ist noch häßlicher, noch viel, viel häßlicher, als ich. – Nach einer Weile fragte ich sie, was sie gelesen habe.

„Montesquieu.“

„Sind Sie denn eine Philosophin?“

„Noch nicht! Aber ich hoffe, eine zu werden.“

„Und warum wollen Sie eine Philosophin werden?“

Erröthend erwiderte sie:

„Weil ich mir denke, es müsse herrlich sein, ganz in der Philosophie zu leben.“

Die Arme hatte nicht die Wahrheit gesagt. Die wahre Antwort wäre diese gewesen: Weil ich nie geliebt werden kann. –

„Aber,“ fragte ich, „wer giebt Ihnen denn solche Bücher?“

„Mein Großvater, bei dem ich lebe. Ich bin eine Waise.“

Sie stand jetzt auf, aber sie hatte vom Fall her Schmerzen am Fuße und hinkte.

„Nehmen Sie meinen Arm!“ bat ich. „Stützen Sie sich recht fest auf mich!“

O süßer Schrecken, als ich ihren Arm in den meinen schlüpfen fühlte!

Da sie aus Bescheidenheit sich nicht auf mich zu stützen wagte, drückte ich ihren Arm fest an mich, und da mir Feuer durch die Adern und durch die Gedanken rann, sagte ich: „Fühlen Sie bei gewitterhafter Luft auch anders als sonst?“

„Ja, mir ist beklommen, halb wohl und halb weh.“

„Fürchten Sie sich vor dem Gewitter?“

„Nein, wenn es da ist, fühle ich freudig.“

Ich bat sie, nicht so schnell zu gehen, obgleich wir langsam gingen. „Sprechen Sie mir doch von Ihrer Philosophie, Fräulein!“

„Von meiner Philosophie?! O, so weit bin ich noch nicht! Wie könnte ich überhaupt schon viel wissen? Ich bin ja erst achtzehn Jahre alt.“

„Nun, so sprechen Sie mir von irgend einer Philosophie, von welcher Sie wollen!“

Sie lächelte.

„Soll ich Ihnen von jener sprechen, welche sanfte Bewegung des Geistes und völlige Ruhe des Gemüthes über alles Andere setzt?“

„O Fräulein – das ist die Philosophie der Greise! Ich erlaube Ihnen diese, wenn Sie siebenzig Jahre alt sein werden.“

Sie lachte in sich hinein und sagte: „Und doch ist gerade sie es, welcher ich mich zu ergeben gedenke.“

„Aber halten Sie dieselbe denn für ein Glück?“

„Wenn Sie auch nur ein wenig Philosophie studirt hätten, so wüßten Sie, daß es kein Glück auf dieser Erde giebt. Für ein Glück halte ich jene Philosophie nicht, aber für eine Rettung.“

„Sind Sie denn in Gefahr? Und in was für einer?“

„Aber ich kann Ihnen doch nicht Alles sagen, mein Herr! Ich kenne Sie ja gar nicht.“

„Das ist wahr,“ erwiderte ich kleinlaut. „Ich heiße Maurus le Borré. Mein Haus steht am Meeresstrande, aber ich lebe jetzt bei meiner Großmutter in der Nähe von Rouen in Védie, denn ich bin auch eine Waise.“

„Auch eine Waise?! O, ich habe ja kein Mißtrauen in Sie! Aber es wäre doch nicht schicklich, wenn ich Ihnen Alles gleich sagte, nicht wahr?“ Und als sie vor einem kleinen alterthümlichen Hause stehen blieb, setzte sie hinzu: „Hier wohne ich.“

Das hieß: wir müssen uns trennen. O, ich hätte sie am liebsten an mich gerissen, mit mir fortgerissen zum Meeresstrande und in das epheuumsponnene Haus und in den hohen Saal, und zu ihr gesagt: „Sieh dort das Meer! Ausgelöscht sei für uns das eitle Treiben der Welt! Ich schließe die Thüren hinter ihr zu und schiebe alle Riegel vor! Du bist mein!“

Aber sie entzog mir sanft ihren Arm.

„Wenn ich nur wüßte, ob sich Ihr Fuß nicht verschlimmern wird,“ sagte ich, und da sie schwieg, setzte ich hinzu: „Ich werde sehr unruhig sein.“

Da blickte sie mich mit ihren tiefliegenden Augen an, und ihr dunkler Blick hatte eine zärtliche Gewalt.

„Kommen Sie einmal, nach mir zu sehen!“ sagte sie gütig, „ich werde meinem Großvater sagen, wie gut Sie gegen mich gewesen sind.“

„Werden Sie über der Philosophie mich nicht vergessen?“ wagte ich zu fragen.

„Ich vergesse nie das Gute und das Angenehme,“ sagte sie und trat in die Hausflur.

„O Fräulein, ich habe eine große Bitte.“

„Welche?“

„Wenn Sie mir sagen möchten, wie Sie heißen –“

Sie erröthete und sagte leise:

„Ich heiße Theresa, Theresa Varennes.“ Dann wandte sie sich zur Treppe hin, und ich entfernte mich.

Wie im Traume ging ich durch die Straßen Rouens; die Menschen erschienen mir wie Schatten, die Häuser wie Gefängnisse. Es ward mir schwül, und ich glaubte zu ersticken. Als ich dann die Stadt hinter mir hatte, blieb ich eine Weile stehen; es war dämmerig geworden und stille; das Rauschen der Seine klang wie eine geheimnißvolle Orakelstimme; drüben am Horizont zitterten elektrische Lichtschauer und gossen bläuliches Gold über das finstere Gewölk; dann und wann rollte langsam der ferne Donner.

Ich entblößte mein Haupt: Zu wem soll ich beten? Wem soll ich für den Segen danken? Denn er ist gekommen, der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_838.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)