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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

denn in den verschiedenen Familien, die ich später besuchte, traf ich auch strahlende Bäume – freilich nur künstliche – und fröhliche Kindergesichter; bei einem Maler war sogar der Baum von grüner Pappe angefertigt; er erfüllte aber doch seinen Zweck und wurde von den Kindern mit dem Liede: „O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter!“ angesungen.

Als ich um Mitternacht durch die Straßen schritt, waren diese wie ausgestorben. Alles schlief, aber im Hafen ertönte noch Gesang. Ja, dort unweit der Landungsbrücke schaukelte sich eine Hamburger Brigg auf den Fluthen. Bei dem Schiffslichte erkannte ich den wachthabenden Matrosen, welcher auf dem Verdeck hin und wider schritt und in die Nacht hinaussang: „Stille Nacht, heilige Nacht!“ So feierte der sein Weihnachtsfest. Leise in die schöne Weise einstimmend kehrte ich in meinen Gasthof zurück.


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Der nächste heilige Abend sah mich in einer schrecklichen Lage. Die Colonisten von Sao Lourenço, größtentheils Pommern, waren durch Feinde ihres Coloniedirectors irre geleitet worden, und das verkehrte Auftreten des Letzteren hatte nicht wenig dazu beigetragen, sie in der falschen Ansicht, daß er ihnen eine zu hohe Summe Geldes für das von ihm verkaufte Land abgenommen habe, zu bestärken. Lange gährte es in der Colonie. Drohbriefe wurden an den Director gesandt, und Alle, welche sich auf die Seite des Letzteren stellten, wurden verhöhnt und mit dem rothen Hahn auf ihrem Dache bedroht. Die Regierung hatte auf meine Verwendung, durch die ich mir allerdings den Haß der aufrührerischen Colonisten zuzog, dreißig Mann Nationalgardisten, einen Officier und einen Sergeanten zur Aufrechterhaltung der Ordnung geschickt, leider waren aber in echt brasilianischer Weise die Waffen ausgeblieben, weshalb der Sergeant mit zwei Mann in die ferne Stadt gesandt werden mußte, um sie zu holen.

Am 23. December 1867 saßen der Director, der Officier und ich, der ich inzwischen die Function eines Adjuncten übernommen hatte, am Spieltisch beim portugiesischen Solo. Die Vaterlandsvertheidiger lagen im Schatten des Hauses und drehten sich aus Maisstroh und feingeschnittenem Tabak Cigaretten; die Damen des Hauses beschäftigten sich mit den Kindern. Da plötzlich erschien mit entfärbten Wangen eines der Dienstmädchen und rief: „Da kommen sie von allen Seiten, und Alle haben Pistolen und Messer!“

Kaum war dieses Wort ausgesprochen, so vernehmen wir schon Pferdegetrappel und hören die rauhen Stimmen anscheinend betrunkener Bauern.

Wir schließen die Thür. Der Officier tritt an das einzige geöffnete Fenster und fragt die Leute in portugiesischer Sprache nach ihrem Begehr. Er wird nicht verstanden. Ein wüstes Geschrei erhebt sich, und der Anführer der Rotte, ein desertirter schwedischer Matrose, der schon zweimal als Mörder in Haft war und später wegen Mordversuchs an seinem Schwiegervater von den Pommern mit Knütteln todtgeschlagen wurde, schwingt sein Waldmesser und sucht am Fenstersims emporzuklettern.

„Die muthige Donna Maria tritt an das Fenster – die Colonisten draußen verstummen. Alle haben große Achtung vor dieser Frau, welche sie als gute Mutter und Gattin kennen.

„Was wollt Ihr, Leute?“ fragte Donna Maria.

Nun erheben sich erst einzelne Stimmen und lassen die ungerechtfertigtsten Klagen und die wahnsinnigsten Forderungen laut werden, plötzlich aber schreit die ganze Rotte: „Wir wollen das Geld heraushaben, das man uns zu viel abgenommen; wir wollen den Director aufhängen.“ Dazwischen ertönten einzelne Rufe: „Reißt den Zaun ein, und wenn man uns nicht hören will, so steckt das Haus an allen Ecken in Brand!“

Schon hört man, wie die Aexte in Bewegung gesetzt werden, und immer größer wird der Haufe der Revoltanten. Es sind gewiß über hundert Kerle, die das Haus umzingelt haben, alle offenbar trunken vom Genuß des Zuckerbranntweins, den sie auch jetzt noch unter sich kreisen lassen, unter gemüthlicher Betheiligung der waffenlosen Vaterlandsvertheidiger.

Noch hält sich Donna Maria tapfer am geöffneten Fenster und beschwört die Leute, aus einander zu gehen, und diese Zeit benutze ich, um ihren wie Espenlaub zitternden Gemahl auf dem Bodenraum hinter Kisten und Gerümpel zu verstecken. Während dieser Zeit hat sich Donna Maria mit den Kindern entfernt, wohin? weiß ich nicht; ich selbst behalte eben Zeit, den Revolver, den ich in der Hand trage von mir zu werfen, um nicht mit Waffen ergriffen zu werden, worauf ich dem Keller zuspringe – eine Vertheidigung wäre ja doch nicht möglich gewesen. Kaum hat sich die Fallthür hinter mir geschlossen, so weicht die Hausthür dem Andringen so vieler Menschen, die mit starken Pfählen dawiderstoßen, und die Menge der Trunkenen wogt in das Haus. Die Kellerluken sind vergittert; an ein Entfliehen ist nicht zu denken. Ich höre, wie über meinem Haupte geflucht, gelästert, getanzt, gesungen und vor allen Dingen geraubt wird; denn über mir ist das große Waarenlager des Directors, der zugleich Kaufmann ist. Das schurrende Geräusch, welches ich gerade von dorther vernehme, bezeugt, daß man die Waarenkisten zerschlagen und zum Anzünden des Hauses gebrauchen will. Einmal droht eine Stentorstimme allen Hausinsassen mit Gurgelabschneiden.

Inzwischen ist es dunkel geworden, und durch die Luken fällt Sternenschein in mein freiwilliges Gefängnis, aus welchem zu entrinnen ich nicht hoffen kann, wenn die Unmenschen ihre Drohung, Feuer anlegen zu wollen, ausführen. Ich öffne ein wenig die Fallthür, und im Kerzenschein, der vom Corridor hereinfällt, erkenne ich den Officier, welcher einigen Colonisten seinen Degen übergiebt und sich als ihr Gefangener erklärt. Er wird nebst seiner Frau hinausgeführt und sein Gepäck ihm nachgetragen. Dann höre ich ein Zerschlagen von Waarenkisten, und schon wähne ich Alles verloren – da erklingt über mir eine wohlbekannte laute Stimme und übertönt das Geschrei der Anderen: „Wo Sie auch immer im Hause sein mögen, Herr R…, kommen Sie getrost her! Es soll Ihnen nichts geschehen. Wir sind hier, Ihre Freunde!“

Nun folgt ein kurzer Kampf zwischen den gutgesinnten und den aufrührerischen Colonisten, der anscheinend zu Gunsten der ersteren entschieden wird. Es tritt Stille ein; ich schließe, daß der Director zum Vorschein gekommen ist und, geschützt von den Freunden, die gestellten Forderungen unterzeichnet.

Gegen Mitternacht verziehen sich die Ruhestörer, und ich kann nun mein Versteck verlassen. Dort sitzt der Mann noch mit der Feder in der zitternden Hand, und Donna Maria geht weinend im Zimmer auf und nieder.

„Was haben Sie gethan?“ frage ich.

Er schiebt mir ein Blatt Papier hin, welches vor ihm liegt. Es enthält ganz unmögliche Versprechungen, welche er mit den Anführern der Rotte zusammen unterzeichnet hat. Ein Exemplar des Vertrages haben Letztere mitgenommen.

„Das ist ein werthloser Wisch,“ sage ich. „Sie haben hier unter dem Druck der Gewalt Ihr Wort verpfändet und brauchen es aus diesem Grunde nicht zu halten. Vor Allem müssen Sie und Ihre Familie so schnell wie möglich gerettet werden. Geben Sie mir Geld, und lassen Sie mich für Alles sorgen.“

Ich ging, um mein Pferd zu satteln, fand es aber in der Dunkelheit nicht und benutzte daher das erste beste Soldatenpferd, das ich erwischte. Der Officier lagerte draußen im Freien mit seiner Frau und wagte sich nicht in das Haus zurück, weil ihm dies von den Colonisten verboten worden.

Nachdem ich das nöthige Geld empfangen, ritt ich fort. In vielen Colonistenhäusern schimmerte noch Licht, und dann und wann hörte ich Stimmen vor mir auf dem Wege. Ich mußte daher vorsichtig reiten. Bei Tagesanbruch lag der Urwald hinter mir, und vor mir, vom Schein der Morgenröthe erhellt, breitete sich der weite Camp aus, von der Lagoa dos Patos (das große südbrasilianische Binnenmeer) wie von einem Purpurband umsäumt.

Nach einer kleinen Stunde hielt ich vor dem Hause eines befreundeten brasilianischen Kaufmanns, der an der Mündung des Sao Lourençoflusses wohnte. Ich pochte an die Hausthür. Eine Sclavin öffnete mir und führte mich in das Haus. Ich trat an das Bett des Freundes, erzählte ihm kurz, was geschehen, und theilte ihm meinen wohl durchdachten Rettungsplan mit. Er weckte sogleich seine männliche Dienerschaft und einen Herrn, der in seinem Hause logirte und Besitzer von Pferd und Wagen war. Letzterer war bereit, Hülfe zu leisten. Kaum ließen sich die Herren Zeit, einen Morgenimbiß zu nehmen; dann trabten sie fort, und das erwähnte Fuhrwerk folgte ihnen auf dem Fuße.

Ich begab mich jetzt zu dem portugiesischen Schiffsführer des einzigen Schiffes, welches im Hafen lag. Er weigerte sich, allem Herkommen zuwider, am ersten Feiertage in See zu gehen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_850.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)