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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Ihnen, Ihren Regimentschef noch diesen Vormittag von meinem Willen in Kenntniß zu setzen, und erwarte Sie zur Tafel zurück.“

Antonio’s Antlitz strahlte. Er hätte sich vor Seligkeit seinem hohen Gönner zu Füßen werfen mögen, allein Victor Emanuel trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand, die der in allen Sinnen Berauschte wider alle Regel fast stürmisch küßte.

„Auf Wiedersehen, Herr Adjutant!“ Damit war er entlassen.

Wie Antonio durch die Vorzimmer die Treppe hinab in eine Gondel und in den Palast Bevilacqua kam – er wußte es nicht. Unversehens stand er vor Erminien, vor ihr allein.

Seine Augen sprachen, ehe sein Mund die Worte fand:

„Wie soll ich Sie nennen? Meinen Schutzgeist? Meine Fee? Was haben Sie für mich gethan! Und warum?“

„Warum?“ lächelte sie mit erkünstelter Ruhe. „Wozu haben wir Freunde, wenn sie bei günstiger Gelegenheit Nichts für uns thun wollen? Sie sind Adjutant des Königs?“

„Sie wissen?“ rief Fabbris.

„Unser gütiger Herr glaubte, es würde mich interessiren, und ließ es mir vor einer Stunde anzeigen. Wir werden Sie also im Winter ist Rom finden.“

„Im Winter?“ wiederholte er fragend. „Erst im Winter?“

„Früher,“ entgegnete sie scheinbar gleichmüthig, „geht der Papa nicht mit mir in die Hauptstadt.“

„In keinem Fall?“ Sein Blick hing glühend an ihr.

„Der König,“ sprach Erminia in ihrer vorigen Weise, „müßte denn besondere Pläne mit ihm haben. Gleichzeitig mit der Botschaft an mich erging an ihn ein Befehl, zu Seiner Majestät in’s Schloß zu kommen. Aber ich glaube, ich höre Papa.“

Ein paar Augenblicke später trat der Herzog ein. Auf seinem Gesicht lag eine ungewöhnliche Feierlichkeit.

„Da sind Sie, mein lieber Fabbris! Ich bitte, folgen Sie mir!“

„Herr Herzog?“ fragte Antonio betroffen.

„Ich habe mit Ihnen zu sprechen.“

Der junge Mann verbeugte sich, warf einen Blick nach Erminien zurück, die sich indessen rasch abgewendet, und schloß sich dem Führer an, der mehrere Gemächer durchmaß, bis er sein Privatcabinet vor Fabbris aufthat. Er deutete auf einen Sessel, nahm selbst Platz und begann mit großer Würde, die nur ein leises Vibriren der Stimme etwas beeinträchtigte:

„Mein werther junger Freund! Wir leben in einer Zeit, die dem Talente und Verdienste das Zugeständniß macht, seinen Werth neben angeborenen Rang zu stellen.“

Der Hörer merkte augenblicklich, daß der Herzog nicht aus eigener Eingebung sprach, sondern die Ueberzeugung vom Recht des Talentes soeben durch Einfluß einer höheren Person gewonnen. Er schwieg aber und ließ den Redner fortfahren.

„Sie sind überdies von tadellos alter Familie, die nur in Folge der Ungunst des Weltlaufs ihre ehemalige Bedeutung eingebüßt. Ich zweifle nicht, daß Sie Ihrem Namen neues Ansehen verleihen werden. Seine Majestät, unser allergnädigster Herr, öffnet Ihnen den Weg dazu; ich trage daher kein Bedenken, einem solchen Manne die Bewerbung um die Hand meiner Tochter zu gestatten, da ich über Ihre Neigung zu Erminien, die Sie bisher rücksichtsvoll und bescheiden verborgen gehalten, von glaubwürdigster Seite informirt worden.“

Er hielt inne und schöpfte, wie nach einer großen Anstrengung, tief Athem. Antonio aber sprang auf:

„Herr Herzog, ich fühle, Ihre Großmuth bringt ein Opfer; dennoch, mein Vater, ich nehme es an in der Hoffnung, daß Sie die Zeit erleben werden, wo Sie sagen: ich bereue es nicht.“

Bevilacqua schloß ihn in die Arme und forderte, wie bei seiner Rückkehr aus dem Königspalaste:

„Folgen Sie mir!“

Keine Minute verging, da umfingen zwei andere Arme den Glücktrunkenen, der nun auch erfuhr, wann, wo und durch wen Erminia ihn als heimlichen Schriftsteller kennen gelernt. Gewiß ist niemals eine Indiscretion freudiger verziehen worden, als die des Capitains Bordone.

Und gewiß selten setzen Fürsten sich so heiter, so aufgeräumt zur Tafel, wie an jenem Tage der König Galantuomo. Unter den Geladenen war natürlich der Herzog Bevilacqua mit seiner bräutlichen Tochter. Der König brachte persönlich das Wohl der Verlobten aus, unterhielt sich viel mit seinem neuen Adjutanten, brach aber mitten in einem Satze ab:

„Was mir da einfällt! Mein Kammerdiener hat heute in einer hier erscheinenden Zeitung ein seltsames Geschichtchen gefunden, das uns insofern angeht, als die Heldin sich mit der Idee getragen haben soll, ein Attentat gegen mich durch Amor’s Pfeile zu verüben. Sie sei, heißt es, in Besitz des reichsten goldfarbenen Haares gewesen, das man je gesehen, habe es aber bei einem Seebade am Lido unvorsichtig im Tange hängen lassen und sei die Nacht darauf mit Sack und Pack von dannen gefahren, ohne Angabe ihrer künftigen Adresse. Weiß Jemand Näheres über die Dame?“

„Das war zweifellos,“ rief der Fürst Giovanelli, „die Gräfin Bariatinska aus Polen, die unlängst meinen Palast besuchte!“

„Welch Glück,“ fiel der Herzog Bevilacqua ein, „daß sie mein Dach gemieden!“

Erminia sah vor sich nieder, desgleichen Antonio, und Beide schwiegen. Sie wußten wohl, warum.

Einen Monat später knieten sie Hand in Hand vor dem Priester; dann übersiedelten sie in’s ewige Rom, und Angela folgte ihnen. Der Palast Bevilacqua am großen Canal zu Venedig ward seitdem ein stiller Ort, denn der Herzog lebt mehr bei seinen Kindern, als in der alten Heimath, und freut sich des Ansehens, das sein Eidam über den Tod Victor Emanuel’s hinaus auch bei dessen Nachfolger genießt. Neuerdings hat er sogar den Entschluß gefaßt, das Erbhaus seiner Väter zu verkaufen. Wer achtmalhunderttausend Franken überflüssig hat, kann den Palast zu jeder Stunde erwerben.




Der Eisbrecher.


Während früher die Elemente allein die Umgestaltungen auf der Erboberfläche besorgten, greift jetzt der Mensch selbst überall ein und macht sich jene Mächte mehr oder weniger dienstbar – unter denjenigen aber, welchen er noch ziemlich hülflos gegenüber steht, nimmt der Winter eine erste Stelle ein. Wenn die Aequinoctialstürme sein Nahen verkünden, zieht sich der Mensch zurück, ruft den ältesten Freund seiner Culturentwickelung, das Feuer, zu Hülfe und harrt in passivem Widerstande des Frühlings – der Verkehr schrumpft zusammen und alles Thun richtet sich nach den Launen jenes Despoten.

Ganz besonders scharf kommt der Eingriff des Winters in den Hafenstädten, namentlich an Flußmündungen zum Ausdruck. Wenn über Nacht die sonst von Fluth und Ebbe hin- und hergeschobenen Schollen zu einer festen Decke zusammengewachsen sind, dann ist es, als schritte ein gespenstiger Polizeidiener des Winters durch die Straßen und riefe in Häuser und Geschäfte ein gebieterisches „Feierabend!“ Sobald das Wasser „zu ist“, tritt aller Verkehr, welcher irgend mit der Schifffahrt zusammenhängt, im Comptoir des ersten Hauses wie im letzten Schnapsladen, in ein langsames Tempo, ja erlischt theilweise ganz – aber er erträgt solche Zwangspausen nur, wenn er durchaus muß, dieser unser nimmer rastender Verkehr, und neuerdings ist ihm erfreulicherweise eine siegreiche Waffe eben gegen die Vereisung der Wasserwege geworden – man erfand den Eisbrecher.

Innerhalb der Handelsmarine gab es wohl ab und zu Schiffe, welche sich besonders gut zu Fahrten durch Eis eigneten, allein Schiffe, die als solche nur dem Zwecke dienten, das Eis zu brechen, waren bisher vereinzelt nur in Nordamerika in Gebrauch – Räderdampfschiffe, die mit ihrem flach auflaufenden Vordersteven sich auf eine Eisdecke schoben, dieselbe durch ihr Gewicht zerbrachen und durch ihre Räder weiter zermalmten. Nunmehr hat aber in Hamburg deutscher Unternehmungs- und Erfindungsgeist einen Eisbrecher hergestellt, welcher weit schwierigeren Verhältnissen gegenüber trat, als sie in Nordamerika vorlagen. Auf der Elbe nämlich handelt es sich nicht um glatte Flächen, sondern das Eis besteht hier aus unter und über einander geschobenen und dann zusammengefrorenen Eismassen von oft zehn bis zwölf Fuß Dicke, welche sich zum Theil auf den flacheren Theilen des Fahrwassers und den Sandbänken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_864.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)