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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Lage noch zur Reife kamen, bedurfte keiner größeren Vorrichtungen noch Räumlichkeiten, um in Haus und Scheune untergebracht zu werden. Desto umfangreicher waren die Seitenabtheilungen, um die Mengen von Heu und Grummet zu versorgen, die als Futter zur Ueberwinterung des Viehes nöthig waren. Ein angenehmer Duft entströmte dem weit geöffneten und zurückgeschlagenen Thore und ließ dadurch den Inhalt der Scheunen errathen, der sonst kaum zu erkennen gewesen wäre. Die Seitenwände der Tenne waren mit Fichtenreisern so dicht besteckt, daß dieselbe wie ein großes grünes Gemach aussah, und die eintönige Farbe des Reisigs war wieder durch bunte, papierne Bandrosen, durch breite aus einander gerollte Leinwandstreifen von blendender Weiße unterbrochen; die blauen Köpfe von Astern oder die purpurnen der Dahlien waren hier und dort dazwischen gesteckt, wie lebendiges Edelgestein oder als blühende Haften, den Schmuck festzuhalten.

Das in der Tiefe gegenüber liegende Ausgangsthor der Scheune war geschlossen und zum Mittelpunkt oder Hauptstück der ganzen Verzierung benützt; auf ihm liefen die zierlich gefalteten weißen Streifen wie Strahlen zu einem Kranze zusammen, in dessen Mitte, aus flammenden Sonnenblumen gefügt, ein riesiges M prangte. Auf der Tenne selbst, die wie ein Ballsaal gekehrt war, stand eine Tafel, mit weißem, mächtigem Tischtuch gedeckt, an dessen Rändern die rothen Spitzen nicht fehlten, wie der einfache Geschmack der Landleute sie liebte. Die Gedecke zeigten, daß unter dem Geschirr des Hauses eingehende Musterung gehalten und manches Prachtstück hervorgesucht worden war, das vielleicht seit Urvätertagen nicht mehr von seinem Ehrenplatze gerückt worden. Es war klar, auf dem Kogelhofe wurde ein Gast erwartet, und das mußte ein viel bedeutenderer Mann sein als etwa ein Pfarrer oder Gutsbesitzer aus der Umgegend oder auch der Herr Landrichter, die auf einem Amts- oder Vergnügungsgang zum Kogelhof hinaufgestiegen kamen.

In der Tiefe der Tenne war ein Bauernbursche vollauf beschäftigt, an die ganze Ausschmückung noch die letzte bessernde Hand zu legen und mit dem Ausdrucke kecker Zufriedenheit in den Mienen das Ganze zu mustern, indem er hie und da eine Lücke in dem Tannenreisig enger zusammenzog, eine Blume feststeckte oder eine Falte in der Leinwand zurecht zupfte. Im Vordergrunde, auf der Schwelle des offenen Scheunenthores, saß ein Bauermädchen; sie hatte in der weißen Schürze einen Haufen Blumen vor sich liegen, aus denen sie mit geschickt wählender Hand einen mächtigen Strauß zusammenband. Es war nicht schwer zu errathen, woher die Blumen genommen waren; in geringer Entfernung, der Tenne gegenüber, von kleinen Holzstaketen eingezäunt, lag das Gartenviereck des Hauses, wo neben und zwischen den Beeten mit nutzbaren Kräutern der Salbei duftete, der Lavendel blühte, das Bandgras grünte und Rittersporn, Schwertl und „Gretl in der Staude“ sich breit machten. Der Strauß hatte bereits eine ansehnliche Größe erreicht, aber noch schien die Binderin nicht genug zu haben und hielt denselben vor sich hin, wie um zu bemessen, wo noch etwas von ihren Vorräthen angebracht werden könnte. Zu gleicher Zeit war der Bursche mit seiner Arbeit fertig geworden und stand nun müßig im Grund der Scheune; sein Blick war auf das Mädchen gewendet, kehrte sich aber rasch wieder ab, wenn dasselbe eine Bewegung machte, als ob es sich beobachtet wüßte.

Es war ein anmuthiges Bild, das die beiden Gestalten boten; jede für sich war schön und bedeutsam; beide mit einander mochten so nicht leicht wieder zu finden sein. Beide standen in der ersten Blüthe der Jugend; beide konnten gewissermaßen als Muster ihres Standes und Geschlechtes gelten. Der schlanke und doch derbkräftige Wuchs des Burschen trat durch die leicht anliegende Joppe aus grauem Lodentuch, den gestickten Gürtel, die kurze Lederhose und die stämmigen Beine mit den Wadenstrümpfen erst recht hervor, und das grüne Berglerhütchen mit Gemsbart und Spielhahnfeder saß auf dem braunen Kraushaar, als wäre es eigens für diesen hübschen, im Bewußtsein seiner Kraft etwas trotzigen Gesellen erfunden worden.

Auch das Mädchen war in die damals — es war vor mehr denn zwanzig Jahren — noch allgemein übliche Tracht der Bergler gekleidet, die jetzt fast nur noch bei alten Leuten und in abgelegenen Thälern gefunden wird, wohin Telegraph und Eisenbahn noch nicht gedrungen sind, sodaß mancher, der jetzt die Berge bereist, eine Enttäuschung erleben und den Erzähler im Verdacht haben kann, er tische ihm Fabeln und Märchen auf, welche die Wirklichkeit widerlegt. Der Anzug des Mädchens war nicht kostbar; die Trägerin gehörte offenbar nicht zu den Reichen der Gegend, aber alles an ihr war genau, anmuthig und mit sichtbar gutem Sinn geordnet. Auch im Sitzen standen ihr sowohl das schwarze Mieder mit dem silbernen Kettengeschnür, wie das franzenreiche seidene Brusttuch und das schwarze Halsflortuch mit filigraner[WS 1] Silberschnalle sehr wohl an. Das Mädchen hatte den Hut abgenommen und neben sich gelegt; er mochte ihr hinderlich gewesen sein, den Bindfaden um die Blumenstengel zu schlingen, den sie an einem Ende mit ihren blanken Zähnen hielt und etwas schwerfällig über sich hinweg zum Knoten schlang. Desto freier war das Gesicht zu sehen, ein Mädchengesicht, dem man nicht eben nachrühmen konnte, daß es von besonderer Schönheit sei, aber es lag in ihm ein angenehmer, freundlicher Ausdruck, der um den Mund als leichtes Lächeln schwebte, während um die Augen etwas wie ein Fältchen des Spottes und Muthwillens zuckte. So eifrig sie mit ihrer Arbeit beschäftigt war, fand sie doch auch Muße, manchmal flüchtig nach dem Burschen zu sehen. Es schien ihr eine Frage auf den Lippen zu schweben, die sie immer wieder zurückzuhalten für gut fand.

Dem Burschen währte endlich das Schweigen zu lange.

„Wie haben wir's denn eigentlich, Nannei?“ rief er, ohne seinen Platz zu verlassen. „Wird denn der Busch'n heut noch fertig, oder willst Dir auf morgen auch noch was aufheben? Wenn Du doch schon Kalender machst, mach fein viele Feiertäg' hinein!“

„Da müßt' ich mich erst besinnen,“ entgegnete Nannei aufblickend, aber ohne ihre Stellung zu verändern; „ich glaub', mit viel Feiertäg' wär' der Kogelbauer kaum recht zufrieden! Ich hab' auch an ganz was Andres denkt, Lenz. Ich hab' mich besonnen, was ich mit all dem Blumwerk anfangen soll. Ich hab' mir zu viel' abgebrockt und mein', es könnt noch einen zweiten großen und schönen Busch'n geben. Wär's nit das Gescheidteste, wenn ich noch einen binden thät' für die Königin? Denn wenn der König kommt, wird er wohl auch seine Königin bei ihm haben.“

„Seine Königin?“ rief der Bursche und brach in so lautes Lachen aus, daß dem Mädchen die Röthe des Zorns und der Beschämung in's Gesicht schoß. Sie ließ den Strauß sinken.

„No, was soll das hölzerne G'lachter bedeuten?“ rief sie und sah, als ob sie ihrer Frage Nachdruck geben wollte und wie zur Abwehr halb aufgerichtet, nach ihm hin.

„Mußt nit harb sein,“ entgegnete Lenz, nachdem er sich von seinem Lachen etwas erholt hatte; „aber so einen Diskurs, da müßt' eine Kuh lachen. Du bild'st Dir wohl ein, die Königin, eine so feine und vornehme Dam', steigt auch den Gemsen nach und kraxelt auf den Berg'n 'rum?“

„Ist das Alles?“ erwiderte sie kaltblütig; „ich hab' Wunder g'meint, was ich Dummes g'sagt hab'. Thut schon der Mühe ab, daß Du deswegen lachst, wie nit gescheidt — ich weiß freilich nit, wie es bei so hohen Herrschaften Brauch ist, aber dasselbe weiß ich — wann ich die Königin wär', ich müßt' da schon dabei sein — ich!“

Lenz konnte seine Lachlust noch immer nicht vollends bewältigen; die Antwort des Mädchens schien sie sogar noch zu steigern.

„Das glaub' ich wohl,“ pustete er heraus, „daß Du dabei wärst — wenn er Dich halt mitnehmen thät', der König!“

„O, das würde er wohl thun,“ versetzte Nannei mit der Zuversicht der Ueberlegenheit und setzte den Busch in einen Bierkrug aus weißem, mit blauen Blumen bemaltem Porcellan, der als ländliche Blumenvase auf dem Tische bereit stand. „Wenn ich's verlangen thät', müßt' er mich mitnehmen — das weiß ich, wenn ich auch nie keine Königin gewesen bin.“

„No, no,“ rief Lenz und steckte die Daumen beider Hände in den grünen Hosenträger, der sich unter der Joppe von dem schneeweißen Hemde kräftig abhob. „Du könntest vielleicht schon eine Königin abgeben. Anstellen thust Dich wenigstens, wie wenn Du als eine Prinzessin oder doch als Gräfin auf die Welt gekommen wärst. Du glaubst wohl, es müßt' Alles nach Deinem Kopf gehen?“

Das Mädchen hatte sich vollkommen erhoben und war dem

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: filigranerner
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_002.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)