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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


und so reizend zugleich, und der Kronprinz ist ein so redlicher vortrefflicher Mann, daß man ihm das seltene Glück einer solchen Ehe, den Besitz eines solchen Engels innig gönnt.“ Und im Winter 1794: „Die Kronprinzessin hatte einen wunderschönen Wuchs; ihre Erscheinung war zugleich edel und lieblich, jeder, der sie sah, fühlte sich unwiderstehlich angezogen und gefesselt.“

War die Königin schon bei Lebzeiten der Gegenstand schwärmerischer Verehrung und Liebe, so steigerte sich nach ihrem Tode diese Verehrung bis zur Anbetung. Blücher's Wort bei der Nachricht vom Tode seiner Königin: „Die Heilige ist im Himmel“ war nur der Dolmetsch der allgemeinen Volksstimme, das Echo des Volksglaubens, dem Frau von Berg einen so schönen Ausdruck gegeben hat: „Es war etwas in ihr, was wir eine Verklärung des Lebens nennen möchten, was dem Gewöhnlichen im Leben so ungleich war und in dessen Nähe man sich gleichsam so veredelt und beglückt fühlte, daß der Königin der Name 'Engel' bei Denen, die ihr Wesen ganz durchschauten, vorzugsweise geworden war. 'Der Engel' wurde sie genannt von Allen, deren Herzen sie am nächsten war.“

Und dieser Engel begeisterte die zornigen Rachegesänge unserer Dichter; er schwebte den Heeren voran, die über den Rhein gingen und den Tod und die Schmach der Königin blutig rächten. Der Gedanke der Einigung Deutschlands gewann nicht in Friedrich dem Großen, sondern im Geiste einer Frau, dem der Königin Luise zuerst eine feste Gestalt, aber die Heere, die für die hohe Frau hinauszogen, haben ihren Lieblingsgedanken nicht verwirklichen können.

„Von unserer Seite wird nie etwas geschehen, was nicht mit der strengsten Ehre verträglich ist und was nicht mit dem Ganzen geht,“ so schrieb die Königin, als Napoleon den Versuch machte, Preußen durch eine vorgehaltene Lockspeise von den übrigen deutschen Staaten zu isoliren. Sie sprach zuerst von ihrem „vielgeliebten Germanien“, und darum konnte ihr Sohn, Friedrich Wilhelm der Vierte, mit Recht sagen: „Deutschlands Einheit liegt mir am Herzen; sie ist ein Erbtheil meiner Mutter.“

„Als ein Stern in dunkler Nachts“, befreit von allen Schlacken der Endlichkeit, so lebt die Königin Luise im Gedächtniß des preußischen, nunmehr auch des deutschen Volkes fort. Wenn aber das Volk seine Ideale haben muß, so fordert daneben auch die Geschichte ihr Recht. Und die historische Königin Luise, die schlichte Frau, die an Bescheidenheit und Einfachheit keiner ihrer Unterthaninnen nachstand, sie, die selbst von sich sagte: „Die Nachwelt wird mich nicht unter die berühmten Frauen zählen“ – sie hat Encke in seinem Marmorbilde verkörpert, dessen rührende Schönheit eine ebenso eindringliche Sprache redet, wie die stolzeste Apotheose irdischer Majestät.

Adolf Rosenberg.




Die Spielwuth in San Francisco.
Ein Beitrag zur Geschichte des modernen Actienschwindels.
Von Theodor Kirchhoff.

Unter den Eigenthümlichkeiten der Stadt San Francisco nimmt das wüste Treiben, welches die hiesige Minenbörse (Stock Exchange) kennzeichnet, und die das ganze Leben hier wie ein böses Unkraut überwuchernde Spielwuth in Minenactien einen hervorragenden Platz ein. Die Bevölkerung dieser Metropole befindet sich in einer fortwährenden intensiven Aufregung, und es läßt sich schwer denken, wie ein San Franciscoer überhaupt zu leben vermöchte, sähe er nicht jeden Tag des Jahres die Möglichkeit vor Augen, über kurz oder lang ein reicher Mann zu werden. Waren ja die mehr als fünfzig Millionäre, welche San Francisco in seinen Mauern zählt, fast ohne Ausnahme einstens bescheidene Kaufleute, einfache Miner oder gar Arbeiter, welche durch ein glückliches Ungefähr auf den rechten Weg zu Ansehen und Reichthum gelangten! Warum sollte es denn nicht jedem anderen just so gescheiten Menschenkinde auch noch gelingen, dasselbe goldene Ziel zu erreichen, wozu die Stockbörse Jedem das Thor weit geöffnet hält?

Fast Jedermann in dieser Stadt speculirt in „Stocks“ (Minenwerthe). Die Ausnahmen davon sind so gering, daß sie gar nicht in Betracht kommen. Jahrelang mag sich Einer gegen den Spielteufel gewehrt haben, zuletzt faßt er ihn doch, und wen derselbe einmal in den magischen Kreis seiner Verführungskünste gezogen hat, den läßt er gewiß so leicht nicht wieder entwischen. Unter den weiblichen Bewohnern San Franciscos herrscht dieselbe eingefleischte Spielwuth, wie unter dem stärkeren Geschlecht, obgleich Jene ihre Stockspeculationen mehr im Stillen auszuführen gezwungen sind, und nicht, wie die Männer, im Lärm und Getöse der Minenbörse verkehren können. Die in Seidenroben und Biberpelze gehüllten und im Juwelenschmuck prangenden Damen der reichen Welt stehen in dieser Beziehung auf derselben Stufe mit ihren einfachen deutschen und irländischen Dienerinnen, und der Arbeiter und Handwerker riskirt Alles, was er besitzt, eben so leicht wie der Kaufmann und wohlhabende Bürger.

Andere Großstädte haben auch ihre Börsen, wo lustig in Werthpapieren aller Art speculirt wird und Vermögen gewonnen und verloren werden. Aber das Börsenspiel hat dort einen legitimen Anstrich und ist nicht, wie es hier meistens der Fall, auf Corruption und imaginäre Werte basirt, wobei das Capital den Räuberhauptmann spielt, der das Publicum ungestraft ausplündert. Der Hauptunterschied zwischen der Stockbörse in San Francisco und anderen Börsen besteht erstens darin, daß hier zum großen Theil in Papieren speculirt wird, die wenig oder gar keinen reellen Werth haben, zweitens in den fast unglaublich schnellen Schwankungen der Actienpreise, namentlich von solchen Minen, die erzproducirend sind. Den momentanen Nutzen von ¼ oder ½ Procent bei einer Capitalanlage in Werthpapieren würde ein San Franciscoer mit stiller Verachtung betrachten. Die Stocks dagegen haben die verführerische Angewohnheit, mit rasender Schnelligkeit im Preise auf- und abzusteigen, und da lohnt es sich schon, etwas zu riskiren.

Wird in einer Mine ein reicher Erzkörper entdeckt, so springen ihre Actien zwanzig bis fünfzig und mehr Point per Tag und ziehen alle anderen Papiere mit in den Strudel hinein. Zu solchen Zeiten ist San Francisco wie ein Tollhaus, das von Millionären voll ist. Jedermann in seinen Mauern denkt, redet und träumt alsdann nur von Stocks. Was Wunder, daß zu solchen Zeiten auch das phlegmatischste Individuum von der Spielepidemie angesteckt wird! Man müßte seine menschliche Natur verleugnen, um mit dem gewöhnlichen hausbackenen Verdienst zufrieden zu sein, wenn die Millionen wie reife Aepfel auf dem Baum hängen, den man nur zu schütteln braucht, um sie abfallen zu lassen und aufsammeln zu können.

Die große Schatzkammer der Stockspeculanten in San Francisco ist die weltbekannte Erzader (ledge) der Comstock-Silberminen[1] im Nachbarstaate Nevada. Die Goldminen in Californien sind mit Ausnahme der von Bodie bis jetzt nicht auf der Stockbörse notirt und befinden sich in den Händen von Privatgesellschaften, welche sie für eigenen Nutzen ausbeuten.

Man denke sich eine etwa zwei englische Meilen lange, im schrägen Winkel herabfallende irreguläre Erdspalte, mit einer Breite von 100 bis 200 Fuß und von unergründlicher Tiefe, die sich in der Urzeit öffnete und später durch hineinstürzenden Schutt und Felstrümmer wieder füllte. Das plutonische Feuer trieb Gold- und Silberdämpfe von unten herauf, welche sich in zerstreuten Quarzmassen, bald in reicheren, bald in geringeren Quantitäten, als Erz hier und da festsetzten; nach und nach verhärtete sich das Ganze zu einer compacten Masse – das ist die heutige Comstock-„Ledge“. Die Erzablagerungen liegen zwischen dem Gestein verstreut, „wie Rosinen in einem Pudding“, bald große, bald kleine. Die Schwierigkeit besteht für unsere Bergbaukundigen darin, diese „werthvollen Rosinen“ zu finden.

In den Hauptminen ist die Ader bis zu einer Tiefe

  1. Der Name „Silberminen“ ist für die Comstock-Minen der allgemein gebräuchliche. Obgleich diese etwa 60 Procent in Gold produciren, ist dasselbe doch in den gewaltigen Silberbarren für das Auge nicht erkennbar und muß später aus dem Silber durch Läuterungsprocesse geschieden werden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_007.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2024)