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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

untersucht worden zu sein; in Indien war es seit uralten Zeiten bekannt, wie eine Stelle in dem berühmten Drama „Sakuntala“ beweist, dessen Verfasser bereits vor dem Beginne unserer Zeitrechnung gelebt haben soll. Es heißt darin:

„In Büßern, denen Seelenruh’ das Höchste,
Ist ein verborgner Strahl, gar leicht entzündbar,
Den sie, wie die geschätzten Sonnensteine,
Aussprühn, sobald der fremde Strahl ihn aufweckt.“

Zu Bologna, der berühmten Gelehrtenstadt, lebte im Beginn des 17. Jahrhunderts ein Schuhmacher mit Namen Vincenz „Cascariolo“, der sich, gleich so vielen Leuten seiner Zeit, in den Kopf gesetzt hatte, die Urmaterie oder den Stein der Weisen zu entdecken, um damit unedle Metalle in Gold zu verwandeln. Er hatte bereits alle möglichen organischen und unorganischen Stoffe mit Feuer und Wasser gepeinigt, um die Urmaterie herauszutreiben, als er im Jahre 1604 (nach Anderen 1612) eines Tages auf dem Monte Paderno in der Nähe seines Wohnortes einen grauweißen, strahlig-faserigen Stein fand, in welchem er seiner ungewöhnlichen Schwere wegen etwas Besonderes vermuthete. Er glühte eine Portion desselben, mit Kohlen geschichtet, tüchtig durch und wollte seinen Augen nicht trauen, als er nach eingetretener Dunkelheit den gesammten Inhalt seines Ofens in röthlich gelbem Lichte weiter glühen sah, obgleich Alles beinahe kalt war. Mit zitternder Hand nimmt er die schimmernden Stücke heraus, denn sicher konnte das nur der Stein der Weisen sein, der lange gesuchte. Die Hoffnung wächst, als sich ergiebt, daß nur die Stücke im Finstern leuchten, die vorher dem Tageslichte oder Sonnenschein ausgesetzt waren; die Sonne, deren Strahlen der Stein aufsog, wie ein Schwamm das Wasser, galt ja den Alchemisten als der Planet des Goldes, mit ihrem Zeichen () wurde in ihren Schriften stets das Gold bezeichnet. Noch nähere Ansprüche gründete man auf eine kurze Inschrift, die im Mittelalter – man weiß nicht wo – aufgetaucht ist, nur in lateinischer Uebersetzung existirt, aber in einem ägyptischen Grabe gefunden sein soll, die sogenannte „Smaragdtafel des Hermes Trismegistos“, in der es unter Anderem heißt. „Der Vater des Dinges (das heißt des Steins der Weisen) ist die Sonne und der Mond seine Mutter … Scheide die Erde vom Feuer, so hast Du das Herrlichste von der Welt, und alles Dunkel wird von Dir weichen …“ Diese dunklen Worte legte man zu Gunsten des leuchtenden Steines aus, welchen man Phosphorus, das heißt: „Lichtträger“, nannte, und so erregte der Bologneser Leuchtstein das höchste Interesse aller Jünger der hermetischen Kunst.

Wenn er nun auch in der Folge die hohen Erwartungen nicht erfüllte und sich nicht als der Stein der Weisen bewähren wollte, so mag er seinem Entdecker doch viel Geld eingebracht haben, denn lernbegierige Menschen aus aller Herren Ländern strömten damals in Bologna, der berühmtesten Universitätsstadt jener Zeit, zusammen und kauften diese Merkwürdigkeit als Naturwunder, während die Gelehrten den berühmt gewordenen Schuhmachermeister in lateinischen Versen als den wahren Prometheus feierten, der das Feuer der Sonne herabzuholen verstanden habe, sodaß es in der größten Kälte fortleuchte. Es trat eine allgemeine Begeisterung für diesen Stein ein; man schrieb Bücher darüber und stand nicht an zu behaupten, daß Sonne und Mond selber nichts anderes wären, als große, unerschöpfliche Bologneser Leuchtsteine! Lange wurde geglaubt, daß das Rohmaterial zur Bereitung dieses Wunders, aus dessen Pulver man mit Mehl und Wasser runde Scheiben oder Kuchen bildete, die durchgeglüht wurden, nur bei Bologna zu finden sei, bis man später erkannte, daß es sich um den an vielen Orten der Welt vorkommenden Schwerspath oder schwefelsauren Baryt handelt.

Die Hoffnungen der Alchemisten wurden einige Jahrzehnte später neu belebt, als Christian Adolf Baldewein (latinisirt Balduinus), Amtmann zu Großenhain in Sachsen (1674), durch Glühendes Kalksalpeters einen ähnlichen „Sonnen-Magneten“ (Magnes luminaris) gewann. Er nannte ihn den hermetischen Phosphor oder das Sonnengold (Aurum Aurae) und sprach in zahlreichen Schriften die Ueberzeugung aus, daß dies der wahre Stein der Weisen sei, bei welchem es sich nur darum handeln könne, die richtige Anwendungsart desselben zu ermitteln. Die damals einzige Naturforschergesellschaft Deutschlands, die Leopoldinische Akademie der Naturmerkwürdigkeiten, nahm den Entdecker unter dem in Chemikerfamilien fortlebenden alchemistischen Ehrennamen Hermes unter ihre Mitglieder auf. Seitdem galt als ausgemacht, daß der hermetische oder philosophische Stein leuchten müsse, und der Leibmedicus König Karl’s des Zweiten von England, Dickinson, erzählt uns in seiner „alten, wahren Physik“ (1702), daß Vater Noah (einer der angeblichen Erzväter der hermetischen Kunst) jene im Hebräischen Zohar genannte Leuchtsubstanz in einem gewaltigen Stücke an der Decke der Arche angebracht habe, um sie des Nachts mit einem immerwährenden Mondlicht zu versehen, wie er es andererseits vermöge seiner Kunst auch verstanden habe, ohne Futtervorräthe, mit einer Art vorliebigschen Fleisch- und Heu-Extracts alle Thiere zu speisen, wobei obendrein der Vortheil herauskam, daß es keinen Mist wegzuschaffen gab.

Es war damals eine wunderliche Blüthezeit der chemischen Träumereien, denn etwa zu derselben Zeit mit Baldewein entdeckte (1669) der der Alchemie-beflissene Soldat Brand in Hamburg durch Destillation menschlicher Excremente eine in leuchtenden Dampf übergehende und sich zu gelben Tröpfchen verdichtende Substanz, die, ohne der Anregung des Sonnenlichtes zu bedürfen, aus eigener Kraft im Dunklen leuchtete. Mit Entzücken verkündete der würtembergische Professor Kirchmaier der staunenden Welt, daß die lange gesuchte „beständige Nachtleuchte“ nunmehr gefunden sei, und Kunkel, einer der ersten Eingeweiheten und Nachentdecker, veröffentlichte eine Schrift über den „Phosphorus mirabilis und dessen leuchtende Wunderpilulen“. Auch hier erwartete man mehr, als die Zukunft hielt, aber wenn sich auch Vieles als Schein und Schimmer erwies, so ist doch diese Substanz, welcher der von den Sonnen-Phosphoren entliehene Name Phosphor als Eigenname verblieb, eines unserer unentbehrlichsten Bedürfnisse geworden.

Auch die Untersuchung der Sonnen-Phosphore trat nunmehr allmählich in ein wissenschaftliches Stadium. Im Jahre 1786 hatte der englische Chemiker Canton durch Glühen von Austerschalen mit Schwefel einen neuen Sonnen-Phosphor erhalten, und man ermittelte, daß die besten „Lichtsauger“ von den Schwefelverbindungen der drei Erdalkalimetalle (Calcium, Baryum und Strontium) gebildet werden, obwohl auch andere Schwefelmetalle, Selen-Verbindungen und andere Stoffe durch Glühen die Eigenschaft erhalten, nach der Bestrahlung mit elektrischem, Sonnen- oder Magnesiumlicht im Dunklen fortzuleuchten. Bei der Beschaffung guter Leuchtsteine kommt sehr viel auf die Bereitungsweise an, und je nach dem Verfahren leuchten sie in verschiedenfarbigem Lichte. Man kann sie nämlich sowohl durch Glühen der schwefelsauren Salze mit organischen Substanzen, wie durch Erhitzen der kohlensauren Salze mit Schwefel darstellen, und zwar erfordern die Barytleuchtsteine die stärkste, Kalkleuchtsteine eine schwächere, Strontianleuchtsteine die allerschwächste Gluth. Dabei erhält man aus natürlichem Schwerspath orangeleuchtende, aus künstlich dargestelltem grünlichleuchtende Sonnensteine. Sehr schön leuchtende Steine lehrte später Osann durch Glühen von Kalk mit Schwefelarsenik (Realgar) oder Schwefelantimon darstellen, und ein anderer Chemiker, Wach, erhielt durch Glühen von Schwefel mit gebrannten Austerschalen, die er vorher mit einer Auflösung von Schwefelarsenik in Ammoniak bestrichen hatte, so vorzügliche Sonnensteine, daß man ihr blaues Licht selbst bei Tage wahrnahm.

Nach diesem oder einem ähnlichen Verfahren hatte man wahrscheinlich den Ueberzug der nach kurzem Bestrahlen im Dunklen herrlich blau leuchtenden Kornblumen hergestellt, die im vorigen Jahre von Paris her in den Handel kamen. Da man nämlich diese Sonnensteine pulverisiren und das weiße Pulver mit Firniß oder einem anderen Bindemittel zum Ueberziehen von allerlei Flächen oder zum Schreiben und Zeichnen anwenden kann, so lassen sich unter Anwendung verschiedenfarbig phosphorescirender Pulver sehr anmuthige Spielereien, bunte Blumensträuße, leuchtende Schmetterlinge, Inschriften etc. ausführen. Die interessanteste Anwendung ist indessen wohl die leuchtende Photographie.

Wenn man nämlich eine derartige, gleichmäßig mit Leuchtsteinpulver überzogene Papierfläche kurze Zeit durch das photographische Glaspositiv einer Person, Landschaft etc. belichtet, so erscheinen natürlich die vollbeleuchteten Theile nachher stärker leuchtend als diejenigen, von denen eine mehr oder weniger starke Schattirung das Licht völlig oder theilweise abhielt. Jedes beliebige Glasportrait kann so in ein „Lucifer-Haupt“ verwandelt werden. Da übrigens diese Phosphore auch durch Wärme

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_010.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)