Seite:Die Gartenlaube (1880) 014.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Eine Sammlung kleinerer Diamanten, wahrscheinlich von verschiedenartiger Herkunft, die zusammen in einem anderen luftleeren Behälter eingeschlossen war, phosphorescirte in allen möglichen Farben, blau, rosa, roth, orange, gelbgrün und blaßgrün durcheinander.

In einem dritten luftleeren Behälter hatte Crookes eine Sammlung roher Rubine eingeschlossen, die im Scheine des elektrischen Glimmlichtes in einem so prächtigen rothen Lichte erglänzten, als ob sie durch und durch rothglühend wären, und zwar leuchteten die künstlich von Feil in Paris dargestellten (vergleiche „Gartenlaube“ 1878, Seite 228) ebenso schön, wie die natürlichen, und die farblosen Thonerde-Krystalle ebenso gluthroth, wie die rosa und dunkelroth gefärbten.[1] Einen so prachtvollen Karfunkelschein dürfte selbst der Dichter des Märchens kaum geträumt haben. „Aber,“ so höre ich am Schlusse Jemand einwerfen, „wir sollten ja vom ‚geborgten Sonnengold‘ hören?“ Nun, auch das elektrische Licht ist geborgtes Sonnenlicht, wenn auch aus dritter und vierter Hand und nicht so direct bezogen, wie es die Sonnensteine vom Helios zu entleihen gewöhnt sind.

Carus Sterne.

Die Cremoneser Geige.
Den Mittheilungen eines alten Musikers nacherzählt von Hermann Müller.

Es war ein herrlicher Augustabend – irre ich nicht, im Jahre 1843 - als ich, von einem Ausfluge in den Taunus zurückkehrend, mich auf dem Schloßberge in Homburg vor der Höhe befand. Die Sonne war im Begriff, hinter den Vorbergen des Altkönigs zu verschwinden, und ich wendete eben den trunkenen Blick von den Herrlichkeiten der Wetterau und des Maingaues ab, als silberhelle Töne an mein Ohr schlugen.

Ich lag am obern Bergabhange, hinter einem abgeblühten Jasminstrauch im Grase; deshalb glaubten sich die soeben anlangenden Besucherinnen des Schloßbergs, zwei reizende junge Mädchen von etwa vierzehn und elf Jahren in eleganter Kleidung, allein und ließen mich die folgende Unterhaltung belauschen.

„Ist das nicht entzückend schön, Maria?“ sagte die ältere von beiden, eine schlanke, schwarzäugige Schönheit, zu ihrer jüngeren Schwester, einem zarten, blassen Kinde, das mich an die Engelsköpfchen Murillo's erinnerte. „Ach, wie gern bliebe ich hier in Homburg! So schön war es weder in England, noch in Frankreich oder Spanien.“

„Du hast wohl Recht, Teresa,“ sagte das niedliche Engelsköpfchen. „Es ist sehr schön hier, und seit den letzten acht Tagen fühle ich mich auch bedeutend wohler. Die gute Luft am Rhein und die herrliche Gegend haben mir wohlgethan; aber ich sehne mich doch nach der Heimath, nach unserm trauten Savigliano zurück.“

Ein Thränenstrom folgte diesen letzten, in schmerzlicher Erregung schluchzend gesprochenen Worten.

„Sieh, da weinst Du wieder, Marietta!“ rief die ältere Schwester halb erschrocken, halb vorwurfsvoll, die Weinende an sich drückend. „In sechs oder acht Wochen bist Du ja zu Hause. Zwei lange Jahre haben wir es ertragen, uns nach der Heimath gesehnt und niemals geglaubt, daß wir diese ewige Zeit überleben würden, und nun, fast im letzten Augenblicke der Abreise, willst Du noch weinen?“

„Mir ist gar zu bange, Teresa,“ schluchzte die Kleine, „ich glaube, das Heimweh verzehrt mich.“

„Du bist ein herziges Kind, Marietta,“ beruhigte die größere Schwester; „Du wirst mir zu Liebe Deinen Schmerz unterdrücken! Sieh', müßte es mich nicht tief betrüben, wenn das Publicum -“

„Schweige, um Gottes willen, Teresa!“ rief die Kleine mit allen Anzeichen jähen Schreckens plötzlich thränenlos. „Nein, ich will mich ja bezwingen. Das Publicum soll mir niemals etwas vorzuwerfen haben.“

Eine Weile schwiegen die Schwestern. Die Sonne war jetzt hinter dem Altkönig verschwunden, und der landschaftliche Hintergrund trübte sich nebelhaft.

„Komm, Marietta!“ sagte die Aeltere, „die Abendluft schadet Dir.“

Schweigend gingen sie Arm in Arm den Schloßberg hinunter, nicht ahnend, daß ihnen Jemand folgte, der ihr Gespräch belauscht und im tiefsten Herzen ergriffen, erfahren wollte, welche Rücksichten die Beiden auf das Schreckgespenst Publicum zu nehmen hatten. –

Die Straßen der Stadt waren bald erreicht. Die ersten Vermuthungen, daß die beiden Mädchen etwa der augenblicklich in Frankfurt gastirenden Kunstreitergesellschaft oder vielleicht dem Balletcorps der Wiesbadener Hofoper angehören könnten, schienen mir bald gewagt. Schon ihr ungesucht elegantes Costüm sprach dagegen. Viel eher schienen sie mir Kinder einer reichen Touristenfamilie zu sein. Hätte die Kleine nicht Savigliano, sondern etwa Birmingham oder Roubaix als Heimath genannt, und wäre das verhängnißvolle Wort Publicum in ihrer vertraulichen Unterhaltung nicht in so bedeutungsvoller Weise gefallen, dann hätte ich an den Mädchen nichts Auffälliges gefunden. Aber – vornehme Italiener sind am Rhein eine Seltenheit!

Ich stand vor einem Räthsel.

„Sieh, Teresa“, sagte das Engelsköpfchen, „dort im Schaufenster hängt eine Harfe.“

Ich hatte mich den Geschwistern, sobald die Stadt erreicht war, so weit genähert, daß mir kein Wort ihrer Unterhaltung entgehen konnte.

„Wahrhaftig, Maria!“ entgegnete die Aeltere, „es sind auch Geigen dabei. Laß uns näher treten!“

Es war ein kleiner Laden, den ich ganz gut kannte und in dessen zwei unansehnlichen Schaufenstern Baumwolle, Schreibmaterialien, Kurzwaaren und musikalische Instrumente in malerischer Unordnung durch einander lagen. „Ephraim und Isidor Hirsch“ hieß die Firma. Ephraim, der ältere Bruder, hatte von Hause aus das angeerbte Talent zum Kaufen und Verkaufen in berufsmäßiger Weise ausgebildet; Isidor dagegen war Kunstjünger geworden und hatte es im Laufe der Jahre bis zum Mitglied der Frankfurter Theatercapelle gebracht. Er war Musiker, zweiter Geiger, stets verkanntes Genie und Accessist für das erste Geigenpult geblieben, bis ihm eines schönen Abends die Geduld riß; am anderen Morgen sagte er gleichzeitig dem Capellmeister und seiner Künstlerlaufbahn Adieu.

„Was soll ich mer lassen cujoniren?“ sagte Isidor Hirsch mit stoischer Ruhe zu seinen bisherigen Collegen, „ich kann's ja haben bequemer und besser.“ Und ebenso entschieden, wie Verrina zuletzt ausrief: „Ich geh' zum Andreas!“ sagte Isidor: „Ich geh' zum Ephraim!“ Und er ging.

Mit offenen Armen empfing ihn sein Bruder und übergab ihm sofort das Portefeuille des Innern, „'s Buch“, während er selber fortan nur das Aeußere, „'s Geschäft“, besorgte.

„Ephraim, das sag' ich Dir,“ begann Isidor am Tage seines Geschäftseintritts, „der Kunst kann ich nicht ganz werden untreu. Von heut' ab muß das Geschäft auch führen musikalische Instrumente.“

„Was soll ich sagen dazu?“ hatte Ephraim in der ersten Aufwallung des brüderlichen Gefühls, wenn auch achselzuckend, erwidert. „Die Anlage kann ich machen Deinetwegen, aber ich kümmer' mer nicht drum. Ich hab' von dem Artikel keine Kenntniß!“ –

Als ich an den beiden Schwestern vorüberging, sagte die jüngere ganz enthusiasmirt:

„Es ist sicher eine Cremoneser, Teresa. Sieh' nur die hohe Decke! Laß uns eintreten!“

Es war nämlich allerdings eine Guarneri-Geige, die Isidor seit einiger Zeit als Prachtstück an einer bevorzugten Stelle im Schaufenster ausgehängt hatte.

  1. Der Leser kann die letzteren Experimente in einem soeben in deutscher Sprache erschienenen Vortrage von W. Crookes, „Strahlende Materie oder der vierte Aggregatzustand“ (Leipzig, Quandt und Händel), auf welchen wir ausführlicher in dieser Zeitschrift zurückzukommen gedenken, beschrieben und abgebildet finden.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_014.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2021)