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In einer Tiefe von 2300 Fuß sollte endlich ein Querstollen durch Sierra Nevada geschlagen werden, um den Thatbestand einer veritablen Bonanza in dieser Mine gegen jeden Zweifel festzustellen. Es war ein Unglückstag für die vielen Hunderte von Millionär-Aspiranten in San Francisco, als dieser Querschnitt (cross cut) vom Seitenwalle des Comstock-Ganges durch die Ledge geschlagen wurde. Wie Mancher hätte wohl daran gethan, seine Actien, die ihm 5 oder auch 50 Dollars gekostet hatten, zu 250 oder 300 loszuschlagen, ehe der Telegraph die Schreckensbotschaft aus Virginia City brachte: der „cross cut“ sei auf ein Porphyrpferd gestoßen! Das Resultat dieser Nachricht war eine Panik auf der ganzen Linie der Comstocks. Es nutzte nichts, daß man sagte, das „Pferd“ sei nur ein kleiner Pony. An einem Tage purzelten die Sierra Nevada-Actien hundert Point, und Union Consolidated folgte hinterdrein. Man verlachte jetzt die Leichtgläubigen, welche Stein und Bein darauf geschworen hatten, daß Sierra Nevada um Weihnachten runde 1000 Dollars per Share werth sein werde. Niemand glaubte mehr an die schönen Historien von längst entdeckten, aber immer noch geheim gehaltenen fabelhaft reichen Erzlagern in dieser oder in jener Mine – z. B. an die „eiserne Thür“ in der Gould und Curry-Mine, welche eine dort etwa 2000 Fuß unter der Erde liegende Riesenbonanza verschließe, bis Herr Flood es für gut befinden würde, den Riegel vor Aladin’s Schätzen zum Nutzen der Menschheit zu öffnen. Man glaubte an gar nichts mehr, und Jeder suchte zu retten, was er konnte.

Seit jenen Schreckenstagen haben sich die Gemüther der leidtragenden Stock-Speculanten in San Francisco wieder etwas beruhigt, und auf's Neue wird die Möglichkeit neuer Bonanzas am Comstock stark befürwortet. Allerdings sind die Shares der Bonanzaminen auf fünf herunter gesunken, und Union Consolidated, welches im vergangenen Monate einen Sprung auf 100 machte, ist wieder auf 40 zurückgefallen (mit einem Verluste am Marktwerthe dieser Mine von 6 Millionen Dollars in einem Monat!), aber das sind nur die unvermeidlichen „Ups and Downs“, denen die Actien aller Minen gelegentlich ausgesetzt sind. Gegenwärtig (Herbst 1879) herrscht auf der Stockbörse in San Francisco eine Windstille wie vor einem Sturme, der in jedem Augenblicke losbrechen kann.

Der weltbekannte Sutro-Tunnel, das Riesenwerk unseres genialen Landsmanns Adolf Sutro, der durch denselben die unteren Theile des Comstock-Gangs entwässern will, ist nach einer unausgesetzten Arbeit von beinahe zehn Jahren endlich vollendet worden, und mit den Minengesellschaften ist nach endlosen Processen ein Vergleich zu Stande gekommen, der von beiden Parteien acceptirt wurde. Der Riesentunnel, dessen Länge über 20,000 Fuß beträgt, hat den Comstock-Gang in einer Tiefe von 1750 Fuß sozusagen angezapft, und es wurde am 1. Juli damit begonnen, die Massen heißen Wassers, welches die mächtigsten Dampfmaschinen aus mehreren Minen nicht mehr herauszupumpen vermochten, nach dem Carsonfluß zu drainiren. Möge es der beispiellosen Energie unserer Mineningenieure gelingen, trotz plutonischer Hitze und dem Hereinbrechen dampfender Wasserströme, neue riesige Bonanzas bis 4000 Fuß unter der Erde in den Tiefen des gewaltigen Comstock-Gangs zu entdecken!

Ehe wir von dem märchenhaften Glanze der Bonanzas und dem tönenden Klange gewonnener und verlorener Millionen Abschied nehmen, womit meine Feder den fernen Leser in der stilleren deutschen Heimath zu unterhalten versucht hat, wollen wir noch der weltberühmten Minenbörse (Stock Exchange) in San Francisco einen Besuch abstatten, wo die Würfel fallen, welche, trotz tausendfach zu Grabe getragener Hoffnungen, dem leichtlebigen Volke dieser schönen Stadt so unentbehrlich geworden sind, wie der lachende Sonnenschein des californischen Himmels.

Das an der Pinestraße liegende stattliche Gebäude, mit der Façade und den hohen Säulen aus Granit und der rings von einer breiten Gallerie umgebenen prächtigen inneren Rotunde, ist das Hauptquartier der Bullen (welche auf das Steigen der Stocks speculiren) und der Bären (denen das Fallen der Stocks Lebensaufgabe ist) und von Morgens bis Abends der Sammelplatz einer erregten Menge. Von hier aus senden die Drucktelegraphen – eine Erfindung des genialen Edison – ihre unsichtbaren elektro-magnetischen Sendboten aus, welche in jedem Maklerbureau, in den Hôtels, den feinen Trinksalons und an anderen vielbesuchten Plätzen der Stadt die Stockcourse auf den langen, sich selbst abrollenden Papierstreifen für die Belehrung des stets wissensdurstigen Publicums notiren.

Jeden Morgen – mit Ausnahme des Sonntags und der wenigen nationalen Feiertage – um elf Uhr beginnt die erste Hauptsitzung des „großen Board“, des Collegiums der Stockbrokers, welcher eine zwanglose Sitzung in der Hauptbörse selbst sowie andere „auf der Straße“, wie der technische Ausdruck lautet, und in den kleineren Minenbörsen vorangehen. Die breiten Asphalttrottoirs in der Pinestraße und den nahegelegenen Straßen sind bereits lange vor der Eröffnung der Hauptbörsensitzung voll von Menschen, worunter viele vom zarteren Geschlecht, denen die Aufregung in jedem Gesichtszuge zu lesen ist. Die an zahlreichen großen Schaufenstern ausgehängten Bogen, mit den letzten Stockcoursen darauf, werden stets von Jung und Alt kritisch betrachtet, welche das Steigen und Fallen der verschiedenen Minenactien auswendig lernen, um die Gelegenheit zu einer guten Speculation ja nicht zu versäumen.

Wir wollen uns das Leben und Treiben innerhalb der Mauern jenes granitnen Palastes etwas näher betrachten. Durch die Vermittelung eines uns befreundeten Maklers erhalten wir Zutritt in die große Halle, welche sonst nur für Börsenleute und Abonnenten geöffnet ist. Es ist halb elf Uhr Morgens, da wir den prächtigen Raum der großen Rotunde betreten. Die oben die Halle rings umgebende Gallerie, mit den amphitheatralisch darauf angebrachten Sitzen, ist bereits von Zuschauern beiderlei Geschlechts gedrängt besetzt, weil heute ein besonders lebhafter „Markt“ in Aussicht steht, indem das Gerücht verbreitet ist, daß der Diamantbohrer in der Ophir-Mine auf Erz gestoßen sei.

In dem offenen Binnenraum der großen Halle entwickelt sich ein Lärm, ein Schreien und Durcheinanderrennen von einer wild gesticulirenden Schaar, als ob die Insassen eines Tollhauses dort herumtobten. Es sind dies die Makler des „großen Board“, welche vor dem Beginn der regulären Sitzung ein kleines Geschäft unter sich abmachen. Von der Gallerie und den rings um die Wände laufenden Sitzen blickt das Publicum mit gespannter Aengstlichkeit in das wilde Gewühl der Stockbrokers, um die schrillen Worte der sich gegenseitig überschreienden Börsenmänner zu erhaschen.

Ein Uneingeweihter versteht absolut kein Wort in dem Schallen und Getöse, das, von den Wänden der Rotunde zurückhallend, aus dem wilden Knäuel hervordringt, der sich dort unten hin und her wälzt. Man kommt in Versuchung, diese Börsenhelden für eine zügellose Bande von Schülern zu halten, welche sich in der Zwischenpause des Classenunterrichts im Hofe eines Gymnasiums herumbalgen. Die Brokers, jeder mit einem Notizbuch in der Hand, schreien, bellen und grunzen sich gegenseitig an, lachen, schlagen sich die Hüte vom Kopfe, stecken einander Papierschnitzel in den Rockkragen, stoßen und schieben sich hin und her, zerren sich an den Kleidern, als ob Jeder von ihnen darauf versessen sei, den Verrückten zu spielen. Mitunter schreit Einer ein halbverständliches Wort, womit er eine Anzahl von Minenactien zum Kaufen oder Verkaufen anbietet, worauf sofort der ganze Knäuel auf ihn eindringt und unter einem Bedlam-Skandal dieses oder jenes Geschäft mit ihm abschließt. Telegraphenjungen, an ihren goldberänderten Kappen und uniformirten Röcken erkennbar, stürzen hinaus und herein, Boten von den Maklerbureaux ellenbogen sich durch die lärmende Menge und bringen den Ausschreiern neue „Orders“.

Würdevoll betritt jetzt der Präsident des großen Collegiums der Stockbrokers seinen erhabenen Herrschersitz, an dem rechts und links von ihm die Secretäre Platz genommen haben, um die gekauften oder verkauften Stocks stenographisch zu notiren. Der ganze Schwarm drängt sich nahe an das Pult heran, von dessen Höhe der Präsident, sich weit vornüberlehnend, mit unverwüstlicher Ruhe in das Getümmel herniederblickt. Sein Amt ist es, die Stocks der Reihe nach zu rufen und die Angebote sozusagen zu verauctioniren, Streitigkeiten zu schlichten und die wilde Bande der Brokers im Zaum zu halten.

Die tiefe Metallstimme einer stationären Glocke bezeichnet den Beginn der Sitzung, welche allen parlamentarischen Regeln geradezu Hohn spricht, und bei welcher Ruhe und Stillsitzen namentlich verpönt zu sein scheinen. Der Präsident ruft zuerst „Ophir“ aus, den Tonangeber für die ganze Reihe der Comstocks.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 027. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_027.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)