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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


an Gutmann richtete und in welchem die Aeußerung sich findet: „Ich würde gern die Augen zugedrückt haben all dem gegenüber, was ich um mich sehe“ – wie schon gesagt, hatte George Sand bereits ihre Liebe einem Andern zugewandt – „wenn man mir nur erlaubt hätte, mit ihnen zu leben!“

Im April, als es wieder mit seiner Gesundheit etwas leidlich ging, reiste Chopin, dem Paris durch diesen Bruch und durch die politischen Unruhen verleidet war, nach England, wohin ihn viele wohlwollende und liebenswürdige Personen jenseits des Canals auf das Herzlichste eingeladen.

Hier hatten schon lange Chopin's Compositionen die verdiente Popularität erlangt. Es ist daher ganz natürlich, daß der Meister überall, wo er sich zeigte, mit großer Achtung und jener herzlichen Sympathie empfangen wurde, die der schönste Lohn des Dichters und Künstlers ist und die nicht wenig dazu beitrug, ihn sein Leid eine kurze Zeit lang vergessen zu machen. Nachdem er bei der Herzogin von Sutherland der Königin Victoria vorgestellt worden war und bei Hofe gespielt hatte, erhielt er Tag für Tag Einladungen in die ersten Häuser Englands, und überall wurde er mit Ehrenbezeugungen und als erklärter Liebling empfangen.

Jedoch dieser Trubel, die späten Abendgesellschaften und die Unbequemlichkeiten des Salonlebens waren natürlich dem angegriffenen Zustande des Gefeierten nicht zuträglich, weshalb dieser einer Einladung nach Schottland Gehör gab. Aber da kam er von der Skylla in die Charybdis; denn, wie vorauszusehen, wirkte der Aufenthalt in dem dortigen rauhen Klima erst recht nachtheilig auf seine Gesundheit. Die in Schottland herrschenden Nebel, nervösen Menschen besonders schädlich, beeinflußten seine Gemüthsstimmung und erzeugten von Neuem jene wilden Phantasien und Gedanken, die ihn schon früher während seiner Krankheiten gequält hatten.

Anfangs des Jahres 1849 kehrte Chopin nach Paris zurück, wo er bald nach seiner Ankunft einen schweren Verlust erlitt: Dr. Molin, der Arzt, dessen Sorgfalt der leidende Künstler die Verlängerung seines Lebens bei seinen früheren Krankheiten zu verdanken hatte, starb plötzlich.

Von dieser Zeit an ergriff den tiefbetrübten Patienten vollständige Verzweiflung, und seine Krankheit machte rapide Fortschritte. Die Aerzte wünschten, daß er seine ungünstige Wohnung mit einer luftigeren, sonnigeren vertauschen möge. Eine solche fand sich auch; allein leider war dieselbe für die Verhältnisse Chopin's zu theuer, und schon glaubte man, auf ein Miethen derselben verzichten zu müssen, als die Frau des Generals Obreskoff, eine Russin, die in Paris wohnte und eine große Verehrerin des Meisters war, davon erfuhr. Schnell eilte dieselbe zu dem Hauseigenthümer und sagte zu ihm:

„Ihre Wohnung kostet – wie ich gehört habe – vierhundert Franken pro Monat; – bitte, fordern Sie von Chopin nur die Hälfte. Den Rest werde ich Ihnen im Geheimen zahlen, ohne daß natürlich der Componist Etwas davon erfahren darf.“

Und so geschah es auch.

Eine andere Schülerin, die Gräfin Adele von Fürstenstein, welche von der drückenden Lage des Meisters ebenfalls hörte, besuchte den Kranken und legte beim Weggehen eine Rolle Gold auf den Kamin mit dem zarten Bemerken:

„Das ist die Vorausbezahlung für die Stunden, die ich nächsten Winter zu nehmen gedenke.“

Eine dritte Dame, Miß Stirling, wollte auch Etwas für ihn thun, als sie die pecuniäre Verlegenheit ihres Lehrers erfuhr. Allein da sie die delicate Natur Chopin's kannte, war sie um die Art der Ausführung sehr verlegen. Endlich schloß sie, da ihr im Augenblick kein anderes Mittel einfallen wollte, fünfzehn Stück Banknoten zu tausend Franken in ein Couvert und ließ dieses Päckchen anonym durch eine vertraute Hand seiner Pförtnerin überreichen, damit diese es Chopin gebe.

Es verflossen nun einige Tage, aber es trat keine sichtbare Aenderung in den Verhältnissen des Meisters ein, und Miß Stirling war deshalb über das Schicksal ihrer Sendung sehr beunruhigt.

Was war da zu thun?

Zuerst stellte sie die Pförtnerin, welche eine raffinirt dreinschauende Alte war, zur Rede; allein dieselbe wollte alle Briefe, die für Chopin angekommen waren, diesem stets sogleich überliefert haben. Darauf erfand Miß Stirling ein Märchen und erzählte dem kranken Meister, sie habe während seiner englischen Reise für ihn in die Lotterie gesetzt, und auf seine Nummer sei neulich ein Gewinn von fünfzehntausend Franken gefallen, die sie ihm in einem Couvert verschlossen durch seine Pförtnerin gesandt habe. Doch Chopin wußte von nichts. Er hatte ein Couvert mit fünfzehntausend Franken nicht erhalten, und so schien diese Summe für immer verloren.

Ein Proceß gegen die Pförtnerin, der das Geld übergeben war, konnte nicht gut angestrengt werden, da man derselben nicht das Gegentheil ihrer Aussage, sie habe alle angekommenen Briefe stets gleich dem Kranken überbracht, zu beweisen vermochte, zumal recht wohl einer der vielen Fremden, welche täglich bei Chopin vorsprachen, den Brief genommen haben konnte. Im Gegentheil, hätte man die Pförtnerin bei Gericht verdächtigt oder angeklagt, so würde dieselbe ihren Anklägern wahrscheinlich mit einem Verleumdungsproceß geantwortet haben.

Die Miß Stirling hatte nunmehr schon alle Hoffnung auf Wiedererlangung des Geldes aufgegeben; da kam dem kranken Maëstro, der seinen Verdacht gegen die Pförtnerin nicht los werden konnte, ein Gedanke, den er auch sofort ausführte, da er ihm, falls er nicht den gehofften Erfolg hatte, doch nicht weiter nachtheilige Folgen bereiten konnte.

Er sagte nämlich zu der Pförtnerin, als sie ihm eine neue Arznei heraufbrachte:

„Liebe Frau, die Aerzte sind alle zusammen Esel; sie wissen nicht, was mir fehlt. Darum rathen meine Freunde mir, ich solle den Alexis consultiren. Aber Alexis sagt, er könne nichts machen, bevor er nicht Haare von der betreffenden Person habe, über die man seinen Rath wünsche. Bitte, geben Sie mir doch von Ihren Haaren, damit ich Alexis damit anführen kann.“

Dieser Alexis war ein damals beim Volk in hohem Ansehen stehender Wahrsager.

Die Frau lachte verschmitzt über den Einfall Chopin's, entfaltete ihr Haar und schnitt ein Stück davon ab. Kaum aber war der Maëstro im Besitze desselben, da sagte er, Jene scharf fixirend:

„Ah, nun wird man Alles wissen, was Sie thun.“

In demselben Augenblicke bemerkte er einen Schauer von Schrecken bei der Pförtnerin, die nun in ihrer Angst gestand, daß sie das Geld in dem Couvert bemerkt und behalten habe.

Diese Geschichte klingt etwas unglaublich, ist aber dennoch streng wahr, und der Herausgabe jener Summe ist es zuzuschreiben, daß Chopin, bereits todtkrank, sich neu einrichten konnte. Es wurden noch Möbel gebracht, als er schon als Leiche auf der Bahre lag, was für die anwesenden Freunde ein schmerzlicher Anblick war.

Doch greifen wir nicht vor!

Zu Anfang des Octobers wurden Chopin's Verwandte von dem Zustande des Kranken benachrichtigt, und sofort eilte seine älteste Schwester Louise von Warschau nach Paris zu dem geliebten Bruder, begleitet von ihrem Gatten und ihrer Tochter.

Die Stunde der Auflösung ließ nicht lange auf sich warten. Chopin's Schwester Louise und sein treuer Gutmann verließen ihn keine Minute. Die Hand des Letzteren hielt er fast beständig in der seinigen.

Am 15. October – einem Montage – schien sein Zustand bedenklicher als je. Die Sprache hatte schon ihren Klang verloren, aber dennoch versuchte er Denen, die sein Lager umstanden, zuzulächeln, namentlich der Gräfin Delphine Potocka, welche tief ergriffen und unter strömenden Thränen am Fuße seines Bettes stand. Groß, schlank, weißgekleidet, schien sie ihm in ihrer hehren Schönheit eine himmlische Erscheinung zu sein, und als die Schmerzen ihm einen Moment der Ruhe gönnten, bat er sie leise, ihm etwas vorzusingen. Anfangs glaubte man, er phantasire. Allein er wiederholte seine Bitte noch einmal mit ernstem Nachdruck, und so bezwang die Gräfin Potocka ihre Thränen und sang mit glockenreiner, durch das Schluchzen leise vibrirender Stimme die berühmte Hymne an die Jungfrau, welche Stradella das Leben gerettet haben soll. Chopin schien weniger zu leiden, während er ihr zuhörte.

„O, wie schön ist das! Mein Gott, wie schön!“ sagte er leise. „Noch einmal – bitte, noch einmal!“

Die Gräfin, obwohl überwältigt von der schmerzlichsten Aufregung, setzte sich wieder an den Flügel und begann, wie von oben gestärkt, einen Psalm von Marcello.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_039.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)