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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


die ihm nach dem letzten Gespräch entkommen war und die er nicht mehr anzutreffen wußte. Auch ihn hatte das Begebniß stark angegriffen; er war durch den Ruß hindurch blaß geworden, die frühere lustige und listige Schnellkraft seines Wesens schien ihn verlassen zu haben. So schmerzlich er die Kränkung empfunden, die seinem Liebling zugefügt worden, war es doch hauptsächlich der Zorn, was ihn dazu brachte, manchmal unverständliche Worte vor sich hinzumurmeln und dabei mit den Händen in der Luft zu fuchteln, als habe er Jemand vor sich, den er es fühlen lassen möchte, daß mit den Jahren die Kraft nicht vollständig aus seinen Armen gewichen war. Er war grimmig über sich, weil sein so schön eingefädelter Plan vereitelt worden war; er war es gegen Lenz, der ihm das angethan, gegen den Vorsteher und dessen Weib und gegen die Nachbarn alle, die so einstimmig gegen das arme Mädchen aufgetreten, die das arme Ding geschmäht hatten und doch so viel Ursache hätten, an die Bibelstelle vom Aufheben des ersten Steines zu denken, oder, nach der Sprachweise des Volkes, „sich selbst bei der Nase zu nehmen“. Die Gedanken schnurrten ihm durch den Kopf wie das Rad einer ablaufenden Uhr. Jeder Augenblick brachte neue Pläne, wie er sich und Nannei dafür an ihnen rächen, wie er ihre gekränkte Ehre wieder herstellen solle und Lenz, vor Allem aber das hochmüthige Bauernvolk zu demüthigen vermöchte – jeder neue Einfall verdrängte den alten, um nach kurzem Bedenken ebenso unausführbar zu erscheinen, wie sein Vorgänger.

Endlich war er so glücklich, die Gesuchte in der Küche anzutreffen, wo sie eben beschäftigt war, ein paar Hühner zu brühen und zu rupfen, die zum Abendessen für die Gäste bestimmt waren; so zuwider dem reichen Bauern an und für sich der Besuch war, er wollte sich doch nicht filzig zeigen und hatte daher die Schlachtung der besten Stücke befohlen. Nannei stand vor dem Herde, auf welchem bereits der Bratspieß und das Bratgestelle zurecht gerückt waren. Der Schein des offen lodernden Feuers fiel auf ihr Gesicht und spielte darauf, daß es nicht zu unterscheiden war, ob der röthliche Schimmer von dessen natürlicher Farbe herrührte, ob das Zucken in ihren Mienen ein Zeichen innerer Erregung oder die Folge der Beleuchtung war.

„Ich such' Dich überall wie eine Stecknadel,“ begann der Alte das Gespräch, nachdem er eine Zeitlang auf eine Anrede Nannei's gewartet und sich auf dem Küchenbänkchen neben dem Wassereimer niedergelassen hatte, auf welchem die Schüssel mit den gebrühten Hühnern stand. „Wo steckst Du denn eigentlich? Wie ist Dir jetzt und was hast im Sinn?“

„Wo werd' ich sein?“ sagte sie, indem sie den Blick abwandte und auf das Feuer heftete, als ob darin etwas ganz Besonderes zu sehen gewesen wäre. „Es giebt doch über und über aufzuräumen im Hof. Ich hab' zuerst die Kühe hereingetrieben und ihnen Futter vorgesteckt; jetzt hab' ich alle Hände voll mit der Kocherei zu thun. – Und wie wird mir denn sein?“ fuhr sie nach einer kleinen Pause wie geringschätzig fort. „Wie halt alleweil! Ich wüßt' nicht, warum mir anders sein sollt' als sonst.“

„Mach' mir nichts weiß!“ sagte der Alte. „Du thust ja, als ob gar nichts vorgefallen wär'.“

„Es ist ja auch nichts Besonderes geschehen,“ sagte sie höhnisch – „nichts Anderes, als daß der Lenz und die Bauern sich mit mir einen groben Spaß gemacht haben. Das muß sich eine so keinnütze Person, wie ich, schon gefallen lassen.“

Der Alte machte wieder seine gewohnte Bewegung, indem er mit den Händen auf den Knieen trommelte; der Unmuth schien in ihm aufzusteigen, aber in demselben Augenblicke fiel der in ihm aufgequollene Zorn wie das Wasser in einem Zugbrunnen wieder zurück: Nannei's Kraft und Verstellungsvermögen hatte nur bis zu dieser Secunde gereicht, in der nächsten erlag sie dem Gewichte des Schmerzes, und ihr zurückgehaltenes Leid machte sich in einem plötzlichen schmerzhaften Aufschluchzen Luft. Wie emporgeschnellt stand der Alte aufrecht da und hülfsbereit neben ihr, aber das starke Mädchen hatte nicht mehr als die Erleichterung eines solchen Ausbruches bedurft, um die alte Fassung wieder zu gewinnen. Mit einer entschieden zurückweisenden Geberde trat sie von ihm hinweg und griff nach irgend einem Geschirr, das sie nicht bedurfte, blos um ihm auszuweichen.

„Das Gescheidteste ist wohl, wir reden nicht mehr von der dummen Geschichte,“ sagte sie, „das Allergescheidteste aber wäre freilich gewesen, wenn Du mich nicht so hättest aufwachsen lassen, wie ein Henn'l, das aus dem Ei kriecht und nicht weiß, wo's hergekommen ist! Wenn Du mir von Anfang an gesagt hättest, wer ich bin, dann hätt' ich es nicht anders gewußt und hätte heut' nicht Schand' und Spott aushalten müssen. – Es wird aber wohl auch noch zu verwinden sein,“ setzte sie hinzu, „darum laß die Fragerei nur gut sein, Pechler Kaspar!“

Dem Pechler war schon wieder ein warmes Wort der Erwiderung und Beruhigung auf der Zunge gesessen, aber nun vermochte er nicht, dasselbe auszusprechen. Daß Nannei ihm Vorwürfe machte – Vorwürfe wegen all der Liebe, die er ihr erwiesen, mit der er alles Unangenehme von ihr fern zu halten gesucht hatte – das traf den Alten wie ein Messerstich mitten in's Herz und machte ihm Puls und Athem stocken. Daß sie ihn obendrein nicht, wie sie von Kindesbeinen auf gethan, Vater geheißen, daß sie ihm den Namen gegeben hatte, mit dem ihn jeder, auch der fremdeste Mensch bezeichnete, das war mehr, als der Greis mit dem Kindergemüthe zu ertragen vermochte. Gleichwohl barg er in demselben so viel Mannesstolz und Kraft, daß auch er die Bewegung niederhielt, wenn gleich sie ihm beinahe die Kniee brechen machte.

„No, das ist ja recht schön,“ sagte er, ohne ein leichtes Schwanken der Stimme völlig unterdrücken zu können, „das ist ja recht gescheidt von Dir, daß Du so resolut bist. Wenn Du die Sache so leicht nimmst, nachher ist Alles gut, nachher wird mir auch kein graues Haar deswegen wachsen, wenn überhaupt,“ setzte er bitter lachend hinzu, „auf dem alten Schädel noch ein Haar wachsen könnt'. Nachher verzeih' mir halt, daß ich meine Sach' so dumm angestellt hab'! Nachher geh' ich halt meiner Weg' – das Henn'l ist ausgekrochen und braucht den Pechler Kaspar nicht mehr.“

Er wankte der Thür zu. Auf der Schwelle hielt er an; er vermochte nicht, sie zu überschreiten, ohne noch einen Blick auf den Herd und Nannei zurückzuwerfen.

Auch dem Mädchen zuckte es durch Herz und Sinn, ihn nicht so gehen zu lassen und ihm ein gutes herzliches Wort auf den Weg mitzugeben, aber sie wandte sich trotzig wieder ab, und der Alte verschwand im Dunkel des Hausgangs.

Ueber dem Hause war das Gewitter losgebrochen. Ein blendender Blitz zuckte durch die früh hereingebrochene Dämmerung, und ein furchtbarer Donnerschlag schien die Grundvesten der Erde und die Felsen in ihrer Festigkeit prüfen zu wollen. Mit demselben waren die Schleußen des Gewölkes geöffnet, und ein dichter Platzregen brauste hernieder.

Der Weg bis an den Rand des Waldes und durch denselben bis an die Pechlerhütte war nicht weit. Das war die Veranlassung gewesen, warum Nannei schon in jungen Jahren auf den Kogelhof zuerst als Helferin, dann als Dirne gekommen war; und es war doppelt günstig – hatte der Alte so doch die Möglichkeit gehabt, an Feierabenden oder, wenn es die Woche hindurch wegen vieler Arbeit nicht möglich gewesen war, wenigstens am Sonntage hinüberzukommen, um Nannei zu besuchen und sich an ihrem Gedeihen, ihrem Wohlergehen und ihrer Bravheit zu erfreuen.

Ungeachtet des kurzen Weges war der Alte bis zum Walde schon so durchnäßt, daß ihm das Wasser vom ganzen Leibe troff, aber er fühlte und achtete es nicht. Der Auftritt mit Nannei, die letzten harten Worte derselben waren hinter ihm her wie hetzende Hunde. Zugleich war ihm, was er über den Ereignissen völlig vergessen hatte, plötzlich wieder eingefallen, daß er vor seinem Fortgehen den Schweelofen augezündet, aber in der Hoffnung baldiger Rückkehr unterlassen hatte, das nöthige Holz und Harz nachzulegen.

Bald war die schluchtartige Enge erreicht, aus welcher ihm schon von ferne die Luftlöcher des Ofens wie ein Paar glühende Augen entgegenstrahlten; dichter Qualm, der Rauch und Gestank des Ofens, lag über der Erde wie eine schwere Wolke, welcher der Wind verwehrte, zwischen den riesigen Fichtenstämmen der Umgebung und den Felswänden, die das Thälchen umschlossen, in die Höhe zu steigen.

Hastig stürzte er auf den Ofen zu; es war glücklicher Weise noch nichts versäumt. Das Holz brannte ruhig fort, und aus dem Ausflußrohre quoll das Pech in hellen Tropfen langsam und lautlos in die vorgestellten Fässer, in denen es erkaltete.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_042.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)