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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Rentabilität im Landwirthschaftsbetriebe hoch entwickelter Cultur- und Industrieländer. Somit erscheint, besonders für die letzteren, die Versorgung aus viehreichen Ländern Europas, Amerikas und Australiens unerläßlich, und der Vieh- und Fleischhandel mit solchen Ländern hat denn auch in der neuesten Zeit einen ganz bedeutenden Aufschwung genommen. Aber er stößt auf sehr viel größere Schwierigkeiten, als die kosmopolitische Brodversorgung, und ist gezwungen, Wissenschaft und Technik in weit höherem Maße in Anspruch zu nehmen, als jene.

Der primitive Viehtransport, welcher ursprünglich die Landstraße, dann die Eisenbahn, in neuester Zeit aber auch die transatlantischen Dampfer in Anspruch nahm und durch letztere amerikanische Rinder auf den Londoner Viehmarkt brachte, scheint jetzt dem ungleich rationelleren Fleischtransport weichen zu sollen. Nicht allein, daß bei letzterem der Gefahr der Einschleppung von Seuchen sehr viel wirksamer vorgebeugt werden kann, auch die Transportkosten werden erheblich verringert; man kann eine Auswahl treffen, um nur das bessere Fleisch zu versenden, und die Abfälle können eine wegen Wegfalls der Transportkosten ergiebigere Verwendung im Lande, wo die Thiere geschlachtet werden, finden.

Wie nun aber das Fleisch transportiren? Während bei trockenem Getreide die gewöhnlichsten Vorsichtsmaßregeln genügen, um die Waare unverändert an den entlegensten Bestimmungsort zu schaffen, ist das bei dem leicht veränderlichen Fleisch ganz anders; und doch: wenn es nicht gelänge, Conservirungsmethoden anzuwenden, durch welche Ansehen, Geruch und Geschmack des Fleisches auf längere Zeit unverändert erhalten blieben, so wäre dem Fleischtransport gar keine Zukunft zu prophezeien. Hier sind für die Fleischversorgung dicht bevölkerter Länder sehr große Schwierigkeiten zu überwinden; aber wir sehen auch auf die Lösung der klar gestellten Aufgabe so viel Fleiß und Intelligenz verwandt, und die bisher erzielten Resultate sind so ermuthigend, daß wir unbedingt hoffen dürfen, in nicht ferner Zeit zum Ziele zu gelangen.

Das Fleisch, welches im Wesentlichen aus Eiweißkörpern mit sehr viel Wasser besteht, ist bekanntlich in hohem Grade der Fäulniß unterworfen. Es unterliegt, wie alle ähnlich zusammengesetzten thierischen Stoffe, von dem Moment an, wo das Thier geschlachtet wurde, immer tiefer greifenden Veränderungen, die es bald ungenießbar machen. Diese Processe haben viel Aehnlichkeit mit Gährungsprocessen; sie treten unter denselben Bedingungen ein und verlaufen wie jene; auch müssen als nächste Ursache derselben mikroskopische Organismen und zwar Bakterien angesehen werden, welche in jeder faulenden Substanz in großer Zahl auftreten. Die Keime dieser als Gährungserzeuger wirkenden Wesen scheinen in der Luft so gut wie allgegenwärtig zu sein, und sie besitzen die Fähigkeit, sich mit außerordentlicher Schnelligkeit zu vermehren. Sie entwickeln sich aber nur bei Gegenwart von Wasser und in einer gewissen Temperatur. Wenn man also eine fäulnißerregende Substanz trocknet oder bei sehr niedriger oder hoher Temperatur aufbewahrt, so entgeht sie der zersetzenden Einwirkung der Bakterien. Es genügt auch, sie stark zu erhitzen und dann den Zutritt der Luft, mit anderen Worten: nach der Tödtung der vorhandenen Bakterien den Zutritt neuer Keime zu verhindern. Endlich giebt es gewisse Stoffe, welche gleichsam als Gifte für die Bakterien zu betrachten sind, und von denen oft geringe Mengen genügen, um den Eintritt der Fäulniß zu verhindern. Auf diese wenigen Sätze ist Alles zurückzuführen, was sich speciell auf die Conservirung des Fleisches bezieht, die ältesten primitivsten Verfahren, wie die neuesten Vorschläge, deren Ausführung die ganze Leistungsfähigkeit der modernen Technik in Anspruch nimmt.

Wo es das Klima gestattet, haben selbst wenig civilisirte Völker seit lange das Fleisch durch Entziehung von Wasser zu conserviren gesucht. Man schneidet in Nord- und Südamerika, vielfach auch in Afrika, Kleinasien und den Donaufürstenthümern das frische Fleisch in Streifen und trocknet diese auf einfachste Weise an der Luft. Als „Charqui“, „Tassajo“ spielt dieses Präparat eine große Rolle in der Neuen Welt, und dasselbe Verfahren liefert im Norden Europas den Stockfisch. Wirkt hier zur Conservirung lediglich die Entziehung des Wassers, so tritt beim „Pemmikan“, den die nordamerikanischen Indianer bereiten, noch der Abschluß der Luft hinzu, der durch Vermischen des getrockneten und zerkleinerten Fleisches mit viel Fett, welches die Fleischtheilchen umhüllt, und Einpressen der Masse in lederne Säcke erzielt wird. Den höchsten Triumph aber feiert die Methode des Luftabschlusses bei dem Appert'schen Verfahren, welches der französische Koch François Appert seit 1804 anwandte und in einer eigenen Schrift 1810 beschrieb, nachdem ihm die Regierung einen Preis von 12,000 Franken ertheilt hatte.

Dieses Verfahren besteht in seiner neuesten verbesserten Form im Wesentlichen darin, die Nahrungsmittel, wie Fleischspeisen oder Gemüse, mit den gewöhnlichen Zuthaten nahezu fertig gekocht in Blechbüchsen einzuhüllen, sodann den Deckel sorgfältig aufzulöthen, sodaß nur eine kleine Oeffnung bleibt, die Büchsen im Dampfbade weiter zu erhitzen und endlich auch die letzte Oeffnung zu verschließen. Durch das Kochen werden hierbei alle Fäulnißorganismen getödtet, bei dem letzten Erhitzen treibt der sich bildende Wasserdampf die Luft vollständig aus, und wenn man nun die Büchsen luftdicht verlöthet und sie zur Vorsicht noch in Salzwasser auf 108 bis 110 Grad erhitzt, so sind alle Bedingungen erfüllt, um den Conserven eine unbegrenzte Dauer zu sichern. Dabei verlangt dieses Verfahren keine fremden Zuthaten, und die Speisen bewahren das appetitliche Ansehen, an welches wir gewöhnt sind und welches wir verlangen.

Das Appert'sche Verfahren hat denn auch die allgemeinste Verwendung gefunden. Australisches Ochsen-, Hammel-, Känguruhfleisch spielt im Welthandel, dank dieser Methode, eine große Rolle. Aus Nordamerika kommt schwach gepökeltes Fleisch als beliebte Waare in Büchsen auch auf den deutschen Markt; für die feinere Küche werden in großen Fabriken allerlei Speisen conservirt; die condensirte Milch wird nach demselben Verfahren verpackt, kurz, die Blechdose ist zu ungeahnter Bedeutung gelangt.

Eine ganz andere Richtung nimmt die Fleischconservirung bei Anwendung fäulnißwidriger Mittel. Man salzt das Fleisch und verwandelt dadurch den Fleischsaft, in welchem sich die Bakterien so reichlich vermehren, in eine Flüssigkeit, welche das Leben der Fäulnißorganismen nicht mehr unterhält. Das gesalzene Fleisch läßt sich dann ohne große Gefahr trocknen, und geschieht letzteres in Rauch, so nimmt das Fleisch auch noch Dämpfe von Kreosot auf, welches in höchst energischer Weise die Fäulniß hemmt. Hier wird, wenn man blos die Conservirung in's Auge faßt, ein vollständiger Erfolg erzielt; allein man muß doch auch die Beschaffenheit des conservirten Fleisches berücksichtigen, und da zeigt sich nun, daß beim Einsalzen sehr nachtheilige Veränderungen mit dem Fleisch vorgehen. Bekanntlich bildet sich beim Pökeln eine sogenannte Lake, welche nichts anderes ist als eine Lösung von Salz in Fleischsaft. Dieser Fleischsaft geht verloren, und wenn man denselben untersucht und das Verhalten des gepökelten Fleisches beim Kochen beobachtet, so zeigt sich, daß das Fleisch nach diesem alten und ganz allgemein verbreiteten Verfahren außerordentlich an Nahrungswerth einbüßt. Man hat ursprünglich keine Kenntniß von dieser Thatsache gehabt und behält auch jetzt das Verfahren bei, weil es durch ein gleich einfaches noch nicht ersetzt werden konnte. Indeß verdient hervorgehoben zu werden, daß die liebe Gewohnheit doch auch ein Wörtchen mitspricht. Das schöne neue Pökelverfahren von Lignac, bei welchem dem Fleisch nur die unentbehrliche Menge Salz zugeführt und die Lakebildung vermieden, also der ganze Nahrungswerth erhalten bleibt, ist einfach genug und verdient wohl allgemeinere Beachtung, als es bisher gefunden hat. [1]

Auch den zahlreichen neueren Verfahrungsarten der Fleischconservirung ist vielfach der Vorwurf zu machen, daß sie nur die Conservirung, nicht auch die Erhaltung der Verdaulichkeit und des Nahrungswerthes des Fleisches berücksichtigen. Methoden, welche in dieser Hinsicht nicht besser sind als unser altes Pökelverfahren, verdienen gar keine Beachtung. Eine andere Gruppe neuer Methoden sieht vom Kochsalz mehr oder weniger ab und wendet fäulnißwidrige Stoffe an, welche zum Theil erst durch die chemischen Forschungen der letzten Jahre bekannt geworden sind. Würde nun auch der Haushalt, vor Allem die Küche, recht wesentlich gewinnen, wenn die Hausfrauen mit den Lehren der

  1. Das Lignac'sche Verfahren ist folgendes: Zwischen den Knochen und die häutige Ausbreitung der Sehnen wird mit Hülfe eines Trokars eine Sonde eingeführt, die durch ein Rohr in Verbindung mit einem 8–10 Meter über dem Fleischstück befindlichen Behälter voll Salzlösung gebracht wird; nach Oeffnung eines Hahns strömt die Lösung ein, wird von dem Zellgewebe, welches den Knochen umgiebt, aufgesogen und durchdringt bald von hier aus das Fleisch, welches man dann noch in Salzwasser legt, um es auch äußerlich zu incrustiren.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_047.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)