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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Chemie sich ein wenig vertraut machten, so soll man doch recht vorsichtig sein, wenn es sich um Anwendung von Chemikalien und chemischen Processen auf die Nahrungsmittel handelt. Sollen hier wirklich günstige Resultate erzielt werden, so sind viele Vorbedingungen zu erfüllen, und wer alle Schwierigkeiten sachverständig würdigt, wird gewiß zahlreichen Erfindern auf diesem Gebiete zurufen: Nur nicht zu viel Chemie!

Die längst bekannte Verbindung der Salicylsäure, welcher der Genius Kolbe's zu so hohem Ruhm verhalf, hat sich eine sichere Stellung in Medicin und Technik errungen. Es war nun gewiß nicht zu erwarten, daß nichts weiter erforderlich sei, als nur eben das Fleisch mit Salicylsäure in Berührung zu bringen, um die äußerst schwierige Aufgabe der Fleischconservirung zu lösen, und in der That schlugen zuerst sogar sinnreich angestellte Versuche, mit Salicylsäure zu conserviren, fehl. Indessen hat jetzt ein Münchener Techniker, Eckart, ein Verfahren, und zwar zunächst für Fische, ersonnen, welches eine große Zukunft haben dürfte. Man erfährt, daß er die ausgenommenen Fische mittelst eines hydraulischen Apparates in 15 Minuten mit schwacher Lösung von Salicylsäure durchtränkt, dann in Fässer oder Kisten verpackt und sie endlich mit Gelatinelösung übergießt, welche um und in die Fische fließt, sie geschmeidig erhält und das Austrocknen verhindert. So präparirte Fische können als gewöhnliches Frachtgut auf die Eisenbahn gegeben werden und ertragen einen Transport von 10 bis 14 Tagen, ohne irgendwie Schaden zu leiden. Das Verfahren ist gleicherweise auf Süß- und Salzwasserfische anwendbar, und ein hydraulischer Apparat, der 100 Kilogramm Fische faßt, kann täglich 4000 Kilogramm verarbeiten.

Daneben scheint auch die Anwendung von Borsäure wichtige Resultate zu versprechen. Zuerst hat man dieselbe vor etwa acht Jahren in Schweden unter dem Namen Aseptin zur Conservirung leicht veränderlicher Nahrungsmittel angewandt, und Hirschberg constatirt, daß Milch und Bier durch einen geringen Zusatz von Borsäure auf längere Zeit vor dem Verderben geschützt würden. Herzen in Florenz behandelte dann Fleisch mit Borsäure, welcher er Kochsalz und Salpeter zusetzte, um die rothe Farbe desselben unverändert zu erhalten, und er fand, daß so präparirtes Fleisch in Kisten oder Büchsen ohne besondere Verschlußmaßregeln nach einem Jahr, in welchem es zwei tropische Seereisen mitgemacht hatte, völlig genießbar geblieben war. Die Borsäure, deren größere Menge vor dem Gebrauch des Fleisches durch Abwaschen entfernt wird, ist, in der erforderlichen Verdünnung angewendet, geschmacklos und macht sich in keiner Weise bemerkbar. Sie gilt auch als völlig unschädlich, und man kann daher nur empfehlen, ein borsäurehaltiges Präparat, wie das Herzen'sche, auch im Haushalte anzuwenden, wozu sich reichlich Veranlassung bietet. Nun hat sich Hugo Jannasch in Bernburg 1877 ein Conservesalz patentiren lassen, welches er durch Einwirkung von Borsäure auf Chlorkalium und Salpeter erhält, und dieses Salz ist bei uns im Handel zu haben. Man kann es zum Conserviren von frischem Fleisch, Wildpret, Geflügel, Fischen, bei der Wurstbereitung, als Zusatz zur Milch, um diese mehrere Tage vor dem Sauerwerden zu schützen, zur Conservirung von Bouillon, Butter, auch beim Einmachen von Früchten, Spargel etc. benutzen und erzielt damit nach den zahlreichen vorliegenden Erfahrungen sehr günstige Resultate. Der billige Preis des Salzes erleichtert seine Anwendung.

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß nach diesen ersten Erfolgen, welche durch Benutzung fäulnißwidriger Substanzen gewonnen wurden, die allgemeine Aufmerksamkeit sich noch in erhöhtem Maße denselben zuwenden wird. Jetzt ringen noch viele Methoden um den Sieg, und man hat sowohl durch comprimirte Luft, wie durch verdünnte Schwefelsäure, Schwefelkohlenstoffdämpfe etc. eine befriedigende Conservirung des Fleisches erzielt. Die nächste Zeit wird zeigen, welcher Substanz schließlich der Vorzug gebührt; bis jetzt scheinen Salicylsäure und Borsäure weit im Vordergrunde zu stehen.

Was indeß die Anwendung im Großen betrifft, so wurden bis jetzt die Chemikalien durch die Kälte in Schatten gestellt. Den Werth des Eises für die Wirthschaft kennt Jedermann, und der Eisschrank ist ein unentbehrliches Hausgeräth geworden. Wie vortrefflich sich Fleisch in Eiskellern hält, ist längst bekannt, und es lag daher nahe, den Transport transatlantischen Fleisches durch Anwendung von Eis zu ermöglichen. Trotzdem hat man damit erst vor einigen Jahren begonnen, nun aber entwickelte sich die Sache überraschend schnell zu einer ungeahnten Bedeutung, und schon 1877 wurde 56,824,707 Pfund Fleisch im Werthe von 5,356,365 Dollars aus den Vereinigten Staaten (über 42 Millionen Pfund aus New-York) nach Europa, und zwar so gut wie ausschließlich nach England, verschifft.

Das für den Seetransport bestimmte Fleisch stammt von Thieren aus Kentucky, Ohio, Illinois, Indiana, Missouri und Iowa. Das Vieh wird lebend auf der Eisenbahn nach den Verschiffungshäfen transportirt, dort geschlachtet und nach vollständigem Ausbluten in Viertel zerlegt. Diese kühlt man in den Schlachthäusern sofort mit Eis, umnäht sie mit Mussolin und schafft sie dann an Bord, wo sie in den Kühlkammern untergebracht werden. Letztere fassen etwa 600 Tonnen, sind vor Erwärmung durch die äußere Luft gut geschützt und können luftdicht verschlossen werden. Jede Kammer enthält einen Eisbehälter und ein Röhrensystem, durch welches mittelst eines Gebläses die Luft in beständiger Circulation zwischen Eisbehälter und Fleischkammer versetzt wird. Man braucht für jede Reise von Amerika nach Europa 70 Tonnen Eis und erhält in der Fleischkammer eine Temperatur von eineinhalb bis dreieinhalb Grad. Dies System hat sich vollständig bewährt; das Fleisch ist in vortrefflichem Zustande nach Europa gekommen.

Ein solcher Erfolg hat aber zur Voraussetzung, daß das Eis bis zur Ankunft des Schiffes ausreicht; verzögert sich die Fahrt durch irgend einen Unglücksfall und geht der Eisvorrath zu Ende, dann ist die ganze Ladung verloren, und das Fleisch muß in's Meer geworfen werden. An solchen Erfahrungen hat es nicht gefehlt, und man ist deshalb zu dem Entschlusse gekommen, Eismaschinen aufzustellen, welche die Mitführung von Eis unnöthig machen, da sie durch Verdampfung einer sehr leicht flüchtigen Flüssigkeit (deren Dämpfe in einem anderen Theile des Apparates durch Abkühlung wieder verdichtet werden) eine bedeutende Kälte erzeugen. Der französische Dampfer „Frigorifique“, welcher im August 1877 zum ersten Mal den Hafen von Rouen verließ, um nach Südamerika zu dampfen, war mit solchen Eismaschinen versehen, die mit Methyläther gespeist wurden. Diese Flüssigkeit ist noch sehr viel flüchtiger, als der gewöhnliche sogenannte Schwefeläther, und verdampft daher unter außerordentlicher Temperaturerniedrigung. Die Wärme, welche er hierbei bindet, wird einer Chlorcalciumlösung entzogen, und diese circulirt durch ein Röhrensystem in der Fleischkammer, welche auf solche Weise beliebig abgekühlt werden kann.

Für den Transport von Fleisch auf Eisenbahnen benutzt man in Nordamerika die sogenannten Refrigerator-Cars, mit Kühlapparaten versehene Wagen. Diese Kühlwagen sind im Wesentlichen nach demselben Princip construirt, wie die Kühlkammern der Schiffe, und dienen auch zum Transport von Weintrauben, Birnen, Pflaumen Eiern etc. Will man sich bei uns auf den Bezug von amerikanischem Fleische einrichten, so wird man auch diese Wagen nicht entbehren können, und selbst wenn wir von der billigen Fleischversorgung aus Amerika im Interesse unserer deutschen Landwirthe abzusehen gezwungen würden, so behielten die Kühlwagen immer noch großen Werth, da sie wesentlich den Uebergang vom Viehtransport zum Fleischtransport, von welchem wir bereits sprachen, erleichtern würden. Ein Schreiber'scher Eiswagen faßt, nach den Angaben, welche Professor Reuleaux, jüngst machte, das Fleisch von 25 Stück Hornvieh oder 300 Schafen, während dieselbe Zahl lebender Thiere 3 bis 4 Waggons erfordern würde. Da nun diese Wagen in Kriegszeiten die Versorgung der Armee mit frischem Fleische sehr wesentlich erleichtern würden, so ist vielleicht zu hoffen, daß man im Staatsinteresse den Bau solcher Wagen begünstigt und dadurch nebenbei auch dem Proletariat, welches jetzt unter den theueren Fleischpreisen schwer leidet, einen kleinen Vortheil zuführt. Könnten wir auch amerikanisches Fleisch in unsere Industriebezirke führen, so wurden die Preise sehr bald fallen und der Ernährungsstand der Fabrikbevölkerung sich bessern, die Sterblichkeitsziffer aber sinken.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_048.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)