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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Und doch war es, als er das Wort aussprach, als ob etwas in ihm widerstrebte und ihn heimlich Lügen strafe.

„Desto besser!“ sagte Philomena. „Dann können wir von etwas Anderem reden. – Du wirst wohl schon gemerkt haben, wie mein Vater gesinnt ist,“ sagte sie stockend, indem sie an der Schürze niedersah und spielend deren Saum umbog. „Er will meinem Bruder die Krämerei übergeben und mich – will er zur Kogelbäuerin machen.“

„Ja, ja,“ sagte Lenz halb lachend. „Das hätt' ich wohl merken müssen, wenn ich auch blind und thoret (taub) gewesen wär', aber –“

„Behalt Dein 'Aber', Vetter!“ unterbrach sie ihn, „und laß mich ausreden, eh' mein Vater herunterkommt! Ich seh' wohl ein, was das für mich für eine Ehre wär'; es wär' auch eine ganz gute Versorgung, wenn ich Kogelhoferin würde, und ich könnt' Dir so weit auch ganz gut sein –“

„Nur schade,“ platzte Lenz heraus, „daß zum Gutsein ihrer Zwei gehören.“

„Das sag' ich auch,“ rief Philomena wie erleichtert, „und gerad' deswegen will ich mit Dir reden.“

Lenz war es, als ob er unvermuthet mit kühlem Wasser übergossen würde.

„Mein Bruder,“ fuhr sie fort, „ist nicht gern bei der Krämerei. Er kann das Ladenhocken nicht leiden; ihm ist's wohler in Wald und Feld, und er möcht' nichts lieber als ein Förster oder Jäger werden. Ich aber, damit ich's nur gerad' heraus sag', ich bin gern im Geschäft, ich bin vom Kloster her, wo ich aufgezogen worden bin, die sitzende Lebensart gewohnt und möchte dabei bleiben. Ich glaub' auch, daß ich gar keinen Sinn hab' und kein Geschick zu einer Bäuerin.“

Lenz war so beschämt, daß er vergebens nach einer Antwort suchte; er hatte sich schon vorbereitet, einen Korb zu geben, und bekam selbst einen in unverblümtester Weise überreicht.

Philomena schien einen Augenblick auf eine Erwiderung zu warten; als keine kam, fuhr sie fort, aber die Fortsetzung klang merklich beklommener, als der Anfang geklungen hatte: „Und so muß ich Dir halt sagen, Vetter, daß Du mir nicht bös sein sollst, wenn ich Dich nicht mag, und daß Du mir helfen sollst, wie ich von Dir loskomm'!“

„Nun, das wird nicht so schwer sein,“ rief Lenz halb ärgerlich. „Du darfst Deinem Vater nur sagen, daß Du nicht Kogelhoferin werden willst.“

„Das kann ich nicht,“ entgegnete sie wie erschrocken. „Das untersteh' ich mich nicht; der Vater ist gar zu bös. Da hab' ich mir halt gedacht, es wär' das Allerbeste, wenn Du es über Dich nähmst und thätst dem Vater sagen, daß Du mich nicht magst. Der Maxl hat auch gemeint –“

„Der Maxl? Wer ist das?“ fragte Lenz ahnend und die Veränderung in den Zügen des Mädchens beobachtend, die sich über die begangene Uebereilung purpurroth färbten.

„Der Maxl,“ erwiderte sie kaum verständlich, „das ist halt unser Commis.“

Lenz konnte nicht länger an sich halten. Die Lage, in der er sich befand, war so eigen, daß er unwillkürlich in Lachen ausbrach, das aber keineswegs vergnügt, sondern fast wie erbittert klang. Welche Demüthigungen hatte ihm dieser Tag gebracht! Eine Bauerndirne, die so tief unter ihm stand, hatte sich trotzig und hoffährtig gegen ihn benommen, hatte keinen Augenblick gezögert, ihm ganz und gar aus dem Wege zu gehen, und ihm dadurch so recht gezeigt, wie blutwenig ihr an ihm gelegen war, und nun, zum Schlusse des Tages, mußte er erfahren, daß eine bucklige Dirne, die zu nehmen ihm im Traume nicht eingefallen wäre, ihn verschmähte.

„No, wenn's weiter nichts ist,“ rief er, „kann ich Dir und dem Maxl schon helfen. Ich will's dem Vater schon ausdeutschen, daß ich Dich nicht mag. – Wenn Dir statt eines reichen Bauern ein Schubladlzieher lieber ist – den kannst Du haben.“

Philomena kam nicht mehr dazu, zu antworten, denn der Krämer trat ein, pustend wie immer und wie immer zu Späßen und Neckereien aufgelegt.

„So ist's recht!“ rief er lachend. „Ihr Zwei seid da so mutterseelenallein im Zwielicht, zwischen Dunkel und Siehstmichnicht? Das freut mich – im Dunkeln ist gut munkeln.“

„Der Vetter wird schon Recht haben,“ sagte Lenz, indem er nach der Thürklinke griff, „und wenn der Vetter erst erfahren thät', was wir Zwei zusammen gemunkelt haben, das thät' ihn erst freuen. Jetzt muß ich aber doch schauen, wo das Essen so lang bleibt.“

Damit ging Lenz aus der Stube und überließ beide Gäste ihren einsamen Betrachtungen, die sehr verschiedener Art sein mochten; während das Mädchen im Bewußtsein, ihren Willen erreicht zu haben, vergnügt vor sich hin lächelte, wollte dem dicken Krämer die Sache nicht recht behagen. „Es gefällt mir nicht,“ murrte er, während eine Magd mit den gebratenen Hühnern eintrat und sie auf den Tisch stellte. „Wenn das morgen nicht aus einem andern Ton geht, werd' ich Eines aufspielen. Heut' aber will ich mich nicht mehr ärgern und mir den Appetit zu den Hendeln nicht verderben, die prächtig ausschauen.“ Er schickte sich auch sogleich an, seinen Vorsatz zu erfüllen und die Hühner so kunstgerecht zu zerlegen, als wäre er einmal Vorschneider bei einer fürstlichen Tafel gewesen.

Es währte nicht lange, so war das Mahl verzehrt, und bald war Alles zur Ruhe gegangen. Stille lag im ganzen Hause; nur die Dachtraufen gingen noch vernehmbar, und eine finstere Wetternacht legte sich mit undurchdringlichem Schwarz auf die einsame Gegend. Als aber der Hahn auf dem Hofe krähte und es im Osten hell zu werden anfing, war der ganze Himmel wieder klar: der Vollmond hatte nach dem Glauben des Volkes seine Schuldigkeit gethan und das ganze Wetter aufgesogen. Nichts war von dem gewaltigen Sturm übrig geblieben, und die Gefahren, womit er gedroht, hatten sich in Segen verwandelt, der in Millionen von Perlen und Diamanten an Blättern und Halmen blitzte. Im ruhig klaren Aether stieg der Kogel über seinen Schützling, den Kogelhof, hinan, und auch der Wachterkopf hatte es für unnöthig gefunden, den Sturmhut länger aufzubehalten.

Noch war es ziemlich früh, als der alte Bauer durch Geräusch aus dem Schlafe geweckt wurde, in den er erst gegen Morgen, nach einer halb durchwachten, halb unruhig durchträumten Nacht versunken war. Ein Blick durch das Fenster zeigte ihm, daß einer der Knechte das Scheunenthor geöffnet hatte und aus demselben das Wägelchen des Krämers herausschob, um es fahrbereit zu machen.

„Was ist's denn?“ rief er durch das schnell geöffnete Fenster halblaut hinab. „Ist's so eilig mit dem Einspannen?“

„Guten Morgen, Kogelbauer!“ rief der Knecht zurück. „Ich weiß nicht wie's ist, aber der Herr Rab hat gestern spät noch gesagt, ich soll für alle Fälle das Wägerl herrichten; er müßt' erst sehen, was heut für ein Wind geht. Da richt' ich halt her,“ sagte er nach dem Himmel emporsehend, „denn ich mein', es geht der beste Wind von der Welt.“

Der Bauer antwortete nicht; er schloß das Fenster und lachte in sich hinein.

„Den Wind, den der Kramer möcht', den kenn' ich,“ sagte er, „ich glaub' aber wohl, daß sich das Fahnl bald dreht.“

Der Gedanke, die ungebetenen Gäste so unvermuthet und bald los zu werden, hatte ihn ganz vergnügt gemacht, und als die Frühstücksstunde gekommen war, zögerte er nicht, in die Stube hinunter zu gehen und den Krämer zu begrüßen. Er war ein zu gerader Mann, als daß er vermocht hätte, diesem ein Bedauern über seine schnelle und unvermuthete Abreise auszusprechen, das er nicht empfand, aber wenn er ihn auch zu den Gästen rechnete, von denen man lieber die Fersen sieht als die Zehen, so wollte er doch ein Uebriges thun und den alten Verdruß, den er immer noch nicht verwinden konnte, wenigstens nicht mehr zeigen und sich mit der Hoffnung trösten, daß die Gäste sobald nicht wiederkehren würden.

Es sollte anders kommen.

Auch der Krämer war früh zur Hand; seine Nachtruhe schien noch minder gut gewesen zu sein als die des Bauers; während dieser offenbar gestärkt und rüstig aussah, war der Krämer ganz gegen Gewohnheit blaß; vermuthlich hatte der Aerger über das gestrige Mißlingen seines wohldurchdachten Planes ihn nachträglich noch mehr verstimmt, oder er konnte ein unwillkürliches Bangen über den Erfolg des bevorstehenden neuen Angriffs nicht bemeistern.

Nach kurzer Begrüßung setzte sich der Krämer an den Tisch, wo die Schalen bereits des Kaffees harrten, der Bauer aber ging mit großen Schritten in der Stube auf und nieder. Lenz hatte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_059.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)