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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

unsere Zeit mitten im Donner der Schlacht triumphirend über dem Kämpfen der Menschen das Zeichen der Liebe, die Flagge mit dem rothen Kreuze, aufpflanzte, so that sie es auch im Donner der Brandung, und weit hinaus in See winkt sie dem Schiffbrüchigen die frohe Zuversicht, daß sie für ihn am Strande wacht, ihm Hülfe bringt in der höchsten Todesnoth. Und damit trat die Rettung Schiffbrüchiger in Reih’ und Glied mit allen den humanen Thaten, welche einst der Größe unseres Jahrhunderts als Maßstab dienen werden.

Hinter sich die feindliche See – vor sich ein feindliches Land – das war vor Zeiten die verzweifelte Lage des landfremden Schiffers, der auf geborstenem Fahrzeuge nach Rettung ausschaute. Entrann er auch den Wogen, so verfiel doch all seine Habe dem Strandraub, er selbst der Leibeigenschaft, aus der er sich nur durch schweres Lösegeld befreien konnte – Zustände, die wir zum Theil noch im vierzehnten Jahrhundert vorfinden und die erst nach wiederholten Kämpfen der Hansastädte mit den Küstenbewohnern ihr Ende fanden. Liegt auch diese Zeit in weiter Ferne hinter uns, so doch nicht diejenige, wo die Leute am Strande ihren Herrgott baten, wenn er einmal Schiffe stranden lasse, dabei doch möglichst ihren Strand zu berücksichtigen.

Gerade solch ein Rückblick in die Vergangenheit zeigt den Contrast, welchen die Gegenwart darbietet, in um so schärferem Lichte. In unserem Jahrhundert hat man sich an der deutschen Küste die Aufgabe gestellt, im hartnäckigsten Kampf mit dem Meere ihm möglichst viele der Opfer zu entreißen, welche dem gierigen Elemente sonst rettungslos verfallen wären. Muß diese Errungenschaft an sich unser Aller Theilnahme schon lebhaft bewegen, so wird dieselbe unserm modernen Denken und Fühlen um so näher gerückt, wenn man in Betracht zieht, daß sie hervorgegangen ist aus dem freien Entschlusse eines thatkräftigen Bürgerthums – daß sie getragen wird von dem einmüthigen Beifalle der ganzen Nation.

Die Idee einer Organisation der Rettung Schiffbrüchiger gehört übrigens ebenso wie die ersten Anfänge ihrer Ausführung bereits dem vorigen Jahrhundert an, und ihre Geburtsstätte ist nicht Deutschland, wie selbstständig auch die deutsche Gesellschaft sich organisirt hat, sondern England. Die Idee des Unternehmens darf in neun Jahren ihr hundertjähriges Geburtsfest feiern, indem im Jahre 1789 in Shields in England die erste Association dieser Art gebildet wurde.

Aus Selbsthülfe gegründet, von der Bevölkerung der Küstenstädte getragen, breitete sich das Unternehmen bald an der englischen Küste aus, mußte aber, da jeder Ort lediglich für sein Gebiet Sorge trug, im Verhältniß zur Gesammtküste große Ungleichheiten zeigen, indem manchmal lange Strecken unbeschützt blieben. Diese Nachtheile wiesen unmittelbar auf die Nothwendigkeit einer einheitlichen Leitung hin, welche denn auch einige dreißig Jahre später in’s Leben trat, jedoch in Folge mangelhafter Organisation des Ganzen nicht recht zur Wirkung kam, bis endlich nach weiteren zwanzig Jahren unter allgemeiner Betheiligung der Nation und unter dem Protectorat der Königin die „Royal Nation Lifeboat Institution“ begründet wurde, welche noch heute ihrer segensreichen Thätigkeit obliegt. Die Erfahrungen und Lehren dieser hier kurz angedeuteten Entwickelungsgeschichte der englischen Organisation sind für die anderen, namentlich auch die deutsche, von hervorragendem Einfluß geworden.

Nachdem schon früh Amerika dem Beispiele Englands gefolgt war, geschah dies auf dem Continente zunächst von Seiten Hollands, wo zwei Gesellschaften sich in den Küstenschutz theilen. In Frankreich entstand in den fünfziger Jahren eine der englischen ähnliche Gesellschaft; nur unterscheidet sie sich von jener wesentlich dadurch, daß sie einen etwas exclusiven, der Nation in ihrer Gesammtheit ferner stehenden Charakter trägt.

In Deutschland ist Emden die Wiege der Gesellschaft für Rettung Schiffbrüchiger geworden. Dem Emdener Beispiele folgte Hamburg und diesem Bremen, worauf sich dann andere Küstenstädte der Nord- und Ostsee anschlossen. Damit war aber derselbe ungünstige Weg betreten, der anfangs eine nachdrückliche Thätigkeit des englischen Rettungswesens verhinderte – das isolirte Vorgehen einzelner Centren ohne gemeinsame organisirte Vereinigung. Doch wurde diese Gefahr beizeiten erkannt, und auf Anregung Bremens wurde zu Kiel im Jahre 1865 die deutsche Gesellschaft für Rettung Schiffbrüchiger begründet, welche unter kaiserlichem Protectorat für einen einheitlichen Rettungsdienst von der holländischen bis zur russischen Grenze sorgt.

Die Organisation selbst ist eine außerordentlich einfache. Für die Erhaltungsmittel sorgen selbstständig wirkende Bezirksvereine; die Verbindung unter diesen wird durch den Gesellschaftsvorstand hergestellt, dem zugleich die Förderung aller Interessen der Gesellschaft obliegt. Die oberste Leitung besorgt der aus der Vertretung sämmtlicher Bezirksvereine zusammengesetzte Gesellschaftausschuß. Der Gesellschaftsvorstand hat seinen dauernden Sitz und seine Bureaux in Bremen, wo thatkräftige Männer, durchdrungen von der Bedeutung ihrer humanen Aufgabe, mit größter Aufopferung den umfangreichen Geschäften der Gesellschaft vorstehen. Die von Jahr zu Jahr an Bedeutung wachsenden Resultate ihrer Thätigkeit bilden zugleich den Lohn für dieselbe, und wie großartig diese Resultate sind, darüber kann der Leser in den jährlich über ganz Deutschland verbreiteten Publicationen der Gesellschaft sich leicht unterrichten; nur das eine Hauptresultat, auf das es ja zuletzt ankommt – die Zahl der seit Begründung des Vereins Geretteten sei hier genannt: sie hat bereits die Höhe von 1045 Seelen erreicht.

Der eben geschilderten Organisation wird aber erst Leben eingehaucht durch die Rettungsthätigkeit selbst, für welche sie die Grundlage bildet. Als Träger aber des gesammten ausführenden Rettungswesens erscheint die Station, der Sammelpunkt aller helfenden geistigen und mechanischen Kräfte. Wir sagen geistige und mechanische, denn die mechanischen Hülfsmittel würden ohne stete und enge Verschwisterung mit dem geistigen Element ein nutzloses Material bleiben.

Der Natur der Sache nach ist es die Küstenbevölkerung, welcher es zufällt, das lebendige Material zu liefern. Jedes aus Seegefahr gerettete Menschenleben wird, den verfügbaren Mitteln der Gesellschaft entsprechend, der Mannschaft des Rettungsbootes mit zwanzig Mark bezahlt – eine Summe, deren Geringfügigkeit den lediglich auf Gewinn gerichteten Antrieb zur Rettung ausschließt; wenn demnach diese Küstenbewohner sich jetzt in bereitwilligster Weise mit Verachtung der augenscheinlichsten Todesgefahr für das Rettungswesen zur Verfügung stellen, so können jene zwanzig Mark ihr sittliches Verdienst nicht schmälern. Freilich ist ihnen von der Gesellschaft ein technisches Material für das Rettungswerk in die Hände gegeben, auf das sie sich verlassen können, und es kommt zu ihrer moralischen Unterstützung hinzu, daß sie sich in ihrem freiwilligen Thun eins wissen mit der Nation, daß sie sich gewissermaßen als die Bevollmächtigten der ihre Gaben beisteuernden binnenländischen Bevölkerung fühlen und daß sie wissen, jede ihrer Rettungsthaten findet im Kreise ihrer Stammesgenossen einen Widerhall. Nicht unerwähnt darf zugleich bleiben, daß, im Fall sie beim Rettungswerk das Leben verlieren, durch Lebensversicherungen für Weib und Kind Sorge getragen ist.

Steht es mit der Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit der Küstenbevölkerung gut, so liegen die Verhältnisse in Bezug auf das numerische Verhältniß ungünstiger, entsprechend der für das Rettungswesen sehr ungünstigen Küstengestaltung. Gerade wo gefährliche Bänke liegen, ist die Küste oft spärlich oder gar nicht bewohnt, sodaß man sogar an einigen Orten die Frauen zur Bedienung des Rettungsbootes mit heranziehen muß. Man hat deshalb für einige Strecken der ostfriesischen Küste auch Besiedelungen in Vorschlag gebracht.

Die Station, gewissermaßen der Alarm- und Sammelplatz, wird durch den Bootsschuppen bezeichnet, der bald in den großen Häfen an den Vorsetzen selbst, bald einsam in fernen Dünen, bald am Siel eines Deiches liegt. Im Bootsschuppen steht das Rettungsboot auf dem gleich noch zu schildernden Bootswagen zur Ausfahrt bereit; ferner sind daselbst alle für den Rettungsdienst nothwendigen Materialien, Anweisungen u. dergl. m. untergebracht.

Die Bedienungsmannschaft wird aus den seetüchtigsten Leuten, so viel deren zu haben sind, gebildet und steht unter dem Commando eines vom Stationsausschuß Deputirten, dessen Posten Verantwortlichkeit in sich schließt und Selbstständigkeit verlangt, insofern dem Betreffenden die Einübung der Mannschaft, die Sorge für das exacte Ineinandergreifen der Stationsmaschinerie und bei Beginn der Rettungsthätigkeit selbst das Commando obliegt. In den Häfen ist die Besetzung durch den Lootsencommandanten oder Hafenmeister nicht schwierig; anders dagegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_062.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)