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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

modificirt durch das Spandauer Feuerwerks-Laboratorium. Neben der Rakete giebt es auch noch Mörser, doch ist die Rakete wegen mehrfacher Vorzüge an unseren Küsten fast allein in Gebrauch. Das abgesandte Wurfgeschoß führt nur eine dünne Leine über das Wrack, wo dieselbe von der Mannschaft aufgefangen wird; vermittelst dieser Leine wird sodann das Rettungstau nebst einem Läufer an Bord geholt, und dann mit Hülfe des letztern wieder eine Hosenboje, in welcher nun ein Mann der Mannschaft nach dem andern an Land gezogen wird. Unser Mittelbild rechts zeigt einen Mann in dieser scheinbar höchst gefährlichen Situation, die aber in Wirklichkeit für den Betreffenden die sichere Errettung bedeutet.

Unser linkes Mittelbild zeigt noch zwei Reiter in der Fluth, einem Wrack zustrebend; wir haben diesen Moment der Vollständigkeit wegen beigefügt, ohne daß damit eine regelmäßige Form der Rettung dargestellt werden soll – es ist aber vorgekommen, daß Reiter einem naheliegenden Wrack über Prielen hinweg bei nicht zu stürmischer See Leinen zugeführt haben; freilich gelang die Schwimmtour von acht Pferden nur zweien.

Hiermit sei der Ueberblick über die Hülfsmittel des Rettungswesens zur See geschlossen.

Als die „Gartenlaube“ seinerzeit die Begründung der Gesellschaft für Rettung Schiffbrüchiger freudig begrüßte und wiederholt zu ihrer Unterstützung anregte (vergl. Jahrg. 1861, Nr. 51; 1865, 23; 1866, 22; 1867, 17), da galt dies einer jugendlichen Schöpfung, welche sich im Laufe der Zeiten mit ihren, in diesem Falle wörtlich zu nehmenden, Stürmen erst bewähren sollte. Daß sie dies gethan, beweist der lebensfrische, thatkräftige Organismus der Gesellschaft, wie sie sich jetzt unserem Blicke zeigt. Immer nach Ausdehnung ihres Wirkungskreises strebend, getragen von den – leider nicht eben sonderlich werkthätigen – Sympathien der Nation, kann sie mit Stolz auf mehr als ein Jahrzehnt erfolgreicher Thätigkeit zurückblicken. Wir schließen mit dem Wunsche, daß die „Gartenlaube“ nach einem weiteren Decennium von vermehrten Erfolgen dieser ebenso nationalen, wie allgemein menschlichen Zwecken gewidmeten Schöpfung möge berichten können.[1]

F. Lindner.




Die Erziehung zur Arbeit.
Eine Forderung des Lebens an die Schule.
Von Karl Biedermann.

Durch die Bildungsgeschichte unseres deutschen Volkes zieht sich in den letzten zwei, drei Jahrhunderten wie ein rother Faden hindurch der immerfort nach Vermittlung ringende, aber auch immer wieder auseinanderklaffende Gegensatz von Wissen und Können, Theorie und Praxis, Schule und Leben.

Manche von unseren bedeutendsten Gelehrten selbst haben diesen Uebelstand tief empfunden und an dessen Beseitigung gearbeitet. Leibnitz eiferte wiederholt gegen die Vernachlässigung der Realien (Naturwissenschaften, Geschichte, Geographie) und der Muttersprache über der allzu ausgedehnten Beschäftigung mit dem Alterthum; das Gleiche thaten namhafte Pädagogen, wie Ratich und Comenius, ja selbst classische Philologen, wie Gesner. Galt dies für die höheren Stufen des Unterrichts, so konnte allmählich auch die niedere, Elementar- oder Volksschule sich der Forderung nicht entziehen, daß sie mehr als bisher „für’s Leben“ erziehen und vorbilden sollte.

Die wirksamen ersten Anregungen zu einer Ergänzung des bloßen „Lernens“ in der Schule durch einen mehr auf das „Können“, auf die praktische Uebung auch der äußeren Fähigkeiten des Kindes, der Sinne und Gliedmaßen, gerichteten Unterricht kamen uns Deutschen von außen, von England und Frankreich her. Locke und Rousseau waren es, die auf die Herstellung eines größeren Gleichmaßes zwischen Körper und Geist in der Erziehung und deshalb auf die Aufnahme gewisser mechanischer Beschäftigungen in das System des Unterrichts drangen. Die deutsche Pädagogik erfaßte den Gedanken mit großer Wärme, besonders die sogenannten Philanthropen, Basedow und seine Schüler. Noch heute werden mechanische Beschäftigungen neben den gewöhnlichen Lernstunden in der einzigen aus jener Zeit noch übrigen Tochteranstalt des Basedow’schen Philanthropins, der von Salzmann gegründeten Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal in Thüringen, getrieben. Salzmann’s „Ameisenbüchlein“ und seine Schrift „Ueber die Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal“, sowie seines Schülers Blasche Schrift „Grundsätze der Jugendbildung zur Industrie als Gegenstand der allgemeinen Menschenbildung“ behandeln dieses Thema in lehrreicher Weise.

Die Regierungen selbst faßten den Gedanken einer Fruchtbarmachung der Schule für das Leben in’s Auge, und so entstanden in verschiedenen deutschen Ländern sogenannte „Industrie-“ oder „Erwerbsschulen“, von denen einzelne noch heute existiren. Namentlich die weibliche Jugend (allerdings nur die der unteren Stände) ward in diesen Schulen in den einfachsten weiblichen Handarbeiter geübt und dadurch zum Fortkommen im Leben geschickter gemacht.

Umfassender in ihrem Plane und zugleich von größerer Lebensfähigkeit waren die 1796 von dem edelsinnigen Herzog Peter von Oldenburg auf seinen Fideicommißgütern im Eutin’schen in Holstein errichteten „Arbeitsschulen für Landgemeinden“. Dieselben bestehen noch heute, wenn auch mit etwas veränderten Lehrplane. Der menschenfreundliche Herzog hatte die Leibeigenschaft auf seinen Gütern aufgehoben und wollte bewirken, daß die sich selbst überlassene ländliche Bevölkerung auch die neue Freiheit recht gebrauchen lerne, daß sie nicht in Müßiggang verfalle, vielmehr von früh auf in der Liebe und Gewöhnung zur Arbeitsamkeit geübt werde. Jene Schulen erscheinen im Sommer als „Gartenschulen“, im Winter als „Spinn-, Näh- und Strickschulen“ für die Mädchen und als „Klüterschulen“ (Schulen für Holzarbeiten) für die Knaben. Die „Klüterschule“ soll nach der ausgesprochenen Absicht ihres Stifters „nicht die Knaben zu Handwerkern bilden“, wohl aber sie „im Gebrauch der verschiedenen Werkzeuge ihres künftigen Berufs und in der Fertigung solcher Arbeiten üben, welche im Hause, im Stall in der Scheune etc. des Landmannes vorkommen“. Diese Schule haben sich, wie Michelsen in seiner Schrift über dieselben bezeugt, als sehr wohlthätig bewährt.

Wie im Norden, so faßte auch im Süden, in der Schweiz, der Gedanke der „Arbeitsschule“ kräftige Wurzel. Der Pädagog Pestalozzi pflegte ihn dort theoretisch; sein Zeitgenosse Fellenberg, ein großer Landwirth, Besitzer des Gutes Hofwyl, verwirklichte ihn praktisch – allerdings hauptsächlich nur nach der landwirthschaftlichcn Seite hin und für ärmere Kinder. Landwirthschaftliche Arbeiten waren in den Fellenberg’schen Anstalten die Hauptsache, der theoretische Unterricht ward nur dazwischen hinein (in drei Stunden täglich) gegeben; man glaubte aber zu bemerken, daß dieses geringe Maß ebensoviel, ja mehr wirke, als in anderen Lernschulen ein weit größeres, weil die Zöglinge von den körperlichen Arbeiten geistig erfrischt zum theoretischen Unterricht zurückkehrten.

  1. Was unsere Rettungsstationen leisten, haben wir in dem vorstehenden Artikel gesehen; mit welchen Gefahren die Bewohner unserer Seeküsten zu kämpfen haben, machen die Illustrationen auch dem Laien klar; wie viel Angst und Schmerz die Angehörigen der Männer und Jünglinge zu ertragen haben, welche in den Rettungsböten ihr Leben für das Anderer wagen, das berechnet Niemand. Dagegen ist bei Heller und Pfennig zu berechnen, wie viel die durch die Rettungsanstalten selbst schon so schwer belasteten Uferlande auch noch an baarem Gelde zur Erhaltung derselben beitragen – und wie wenig das gesammte übrige Deutschland dazu hergiebt. Vor zwölf Jahren schon baten wir dringend um regere Betheiligung des Binnenlandes an einer der ehrenwerthesten Anstalten, die Deutschland besitzt und die auf die freiwillige Unterstützung der Nation angewiesen ist; wir baten um Bildung von „Bezirksvereinen“ in möglichst vielen deutschen Städten: seit dieser Zeit ist der alte Wunsch der Nation nach einer Flotte, nach Schutz unseres Handels auf den Meeren in Erfüllung gegangen, die so lange ersehnte Reichseinheit ist errungen – aber die Opferfähigkeit für die deutschen Rettungsstationen an unseren Küsten ist in der großen Zeit nicht ihr entsprechend gewachsen. Viele große und reiche Binnenlandstädte können sich noch heute keines „Bezirksvereins der deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger“ rühmen, ja, es ist tiefbeschämend, neben der Zahl der deutschen Städte die verhältnißmäßig sehr kleine Ziffer der Bezirksvereine zu nennen. Dürfen wir hoffen, daß das Jahr 1880 auch in dieser Angelegenheit eine Besserung herbeiführe?
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_064.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)