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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


trotzdem nach Alexandrien und Tantah übersiedeln und seine Häuser und Villen am Nilufer und am Meeresstrand beziehen. –

„... Somit wären die Damen sämmtlich untergebracht,“ schloß der Pascha eine stundenlange Berathung, die er mit seinem Leibarzt gepflogen hatte.

„Vergebung, Excellenz!“ beeilte sich der Doctor – ein Europäer – zu sagen. „Ueber die zwölfte und die vierzehnte Section trafst Du noch keine Bestimmung.“

„Wallah, Du hast Recht,“ erwiderte der Muslim. „Indeß bleibt die zwölfte Abtheilung in Masr (Kairo),“ fügte er bedeutsam hinzu.

„Wird die schwüle Witterung Fatma-Hanem nicht ungnädig stimmen?“ fragte der kleine Doctor mit boshaftem Lächeln; denn er wußte, daß die zwölfte Section aus der augenblicklichen Favoritin des Pascha und deren Dienerschaft bestand.

Der Pascha rückte seinen rothen Tarbusch etwas zur Seite, eine Bewegung, die ihm eigen war, kraute sich ein wenig und zupfte dann an seinem schwarzen, dünnen Vollbarte.

„Fatma-Hanem ist eine nervöse Dame,“ fuhr der Arzt fort. „Der Chamsin ...“

„Du hast nicht so Unrecht,“ fiel ihm der Pascha in die Rede. „Die Schöne würde es mich entgelten lassen, wenn sie im Stadtpalais verweilen müßte. Was sagst Du zu einer Villa in der Schubra-Allee?“

„Die Villa müßte abseits vom staubigen Wege liegen.“

„Natürlich! Nicht allzu weit, damit ich jeden Tag hinausfahren kann. Sage dem Haushofmeister, daß er noch heute ein solches Haus auftreiben muß.“

„Wenn aber keines zu verkaufen wäre? ...“

„Das ist nicht denkbar. Jeder wird sich glücklich fühlen, mir seine Villa abzutreten. Aus Furcht vor uns Großen und um Geld thun die Aegypter Alles. Das wäre also abgemacht. Was die vierzehnte Section meines Harems betrifft, so bestimme ich derselben mein Schloß in Alexandrien zum Aufenthalt. Die Seeluft wird meiner Gemahlin wohlthun. Wie?“ Und ohne auf eine Erwiderung zu warten, fuhr er fort: „Lebe wohl! al allah!“

Damit schritt er nach der in den Harem führenden Thür.

„Noch ein Wort, Pascha! In der vierzehnten Abtheilung befindet sich eine Kranke: Mebruhki, die Lieblingssclavin Deiner Gemahlin. Das Mädchen kann nicht nach Alexandrien transportirt werden – es muß hier bleiben.“

„Wo denkst Du hin! Ich sollte eine einzelne Sclavin hier behalten? Das geht ja nicht.“

„Allerdings! Mebruhki könnte ja bei Fat ...“

„Doctor, Du bist von Sinnen. Fatma-Hanem ist in hohem Grade eifersüchtig. Schlüge ich ihr vor, Deinen Schützling bei sich aufzunehmen, so würde sie glauben, daß ich irgend einen Liebling von mir bei ihr einschmuggeln möchte. Das gäbe Auftritte. Allah bewahre mich davor!“

„Die Sclavin ist sehr schön,“ betonte der Arzt, welcher hoffte, daß sich der Pascha für die Kranke interessiren würde, wenn er erführe, daß sie schön sei.

„Desto schlimmer für sie,“ hieß es zurück. „Wenn sie noch unschön wäre, würde Fatma-Hanem sie vielleicht aufnehmen, aber eine schöne Sclavin! ... Kurz, kümmere Dich nicht weiter um die Sache! Ueberlasse das kranke Geschöpf dem Alexandriner Hausdoctor. Abd-Allah wird sie curiren, und wenn nicht, nun, so giebt es eine Sclavin weniger in meinem Harem.“

Er winkte mit der Hand, schlug die Portière der Haremsthür zurück und verschwand hinter derselben.

Acht Tage waren vergangen. Fatma-Hanem hatte eine luftige Villa in Schubra bezogen und der übrige Harem befand sich in Tantah und Alexandrien.

Der Pascha saß allein der Veranda seines Stadtpalais. Sämmtliche Beamte hatten die Kanzlei verlassen, und die Excellenz konnte sich nicht entfernen. Sie wartete auf einen Tschauwisch (Courier) des Khedive, der seinem Minister ein wichtiges Schreiben zu senden versprochen hatte.

Wartet ein Orientale auf Etwas, so läßt er sich auf einen Divan nieder, zieht einen seiner Stiefel aus – wenn er welche an hat – streichelt seinen Fuß und raucht oder trinkt schwarzen Kaffee dazu. Dies that auch unser Pascha. Sein Gesicht hatte indeß nicht jenen halb elegischen, halb schläfrigen Ausdruck, der sich bei dem Orientalen einzustellen pflegt, sobald er „Rauch und Mokka zu schlürfen“ beginnt. Mürrisch sah der große Herr vor sich hin. Die Beschäftigung des heutigen Tages mochte schuld an seiner üblen Laune sein. Hatte er doch stundenlang nichts gethan, als sein Siegel unter gewisse lange weiße Papierstreifen gedrückt. Lauter Rechnungen waren es gewesen. Und was für Rechnungen! Dreihundert Beutel (zu je 106 Mark) für Schuhe, achtzig Beutel für Zöpfe und Chignons, fünfzig für Strümpfe und Strumpfbänder, vierzig für Stecknadeln etc.

Der Pascha seufzte. Er mochte an die guten alten Zeiten denken, als die muslimischen Weiber noch keine falschen Haare trugen, als die Gemahlinnen des Propheten von Quellwasser und frischen Datteln lebten und ihre Besitzthümer aus zwei Röcken einem Kohel-Apparat (zum Schwarzfärben der Augenbrauen) und zwei silbernen Armspangen bestanden. Und das waren Prophetenfrauen!

Da erschien Doctor O. in der Veranda. „Excellenz, Du mußt mir erlauben, nach Alexandrien zu reisen. Abd-Allah-Effendi telegraphirte –“ hier wies der Arzt auf das Papier in seiner Hand – „daß Mebruhki – das ist jene Sclavin von der ich neulich mit Dir sprach – im Sterben liege. Laß mich fort! Ich will versuchen, sie zu retten. Abd-Allah ist ein Quacksalber, wie Dir bekannt ist. Der Himmel weiß, was der ihr eingab, etwa Papierstreifen mit Koransprüchen beschrieben“ (eine in Aegypten sehr beliebte Medicin); „der Effendi hat eine besondere Vorliebe für derlei Heilmittel.“

„Wohl möglich,“ erwiderte der Pascha. „Du darfst indeß nicht abreisen, mußt hier bleiben. Fatma-Hanem hat Kopfschmerzen.“

„Pascha!“ rief entrüstet der Leibarzt. „Es handelt sich um ein Menschenleben.“

Der Orientale rückte seinen Tarbusch hin und her, sah eine kleine Weile sinnend in die Höhe und sagte alsdann:

„Weißt Du was – ich lasse Deinen Schützling nach Kairo zurückkommen. Hier kannst Du ihn meinetwegen pflegen.“

Der gute Doctor öffnete den Mund, um Etwas zu sagen, allein in demselben Augenblick stürzte ein sporenklirrender, säbelrasselnder Tschauwisch des Khedive in die Veranda, um dem Pascha das ungeduldig erwartete vicekönigliche Schreiben zu überbringen.

Der Minister nahm den Brief, führte ihn an Mund und Stirn, verabschiedete den fürstlichen Sendboten und stieg eilig in seinen Wagen, ohne von den Einwendungen und Fragen seines Leibarztes die geringste Notiz zu nehmen.

Auf seinem Wege nach der Schubra-Allee hielt der Pascha vor dem Telegraphenbureau und ließ durch seinen Secretär folgende Depesche aufgeben:

„Sclavin Mebruhki noch heute per Extrazug nach Kairo expediren.“

Niemand fiel es auch nur im Traume ein, dem Befehl des Pascha nicht Folge zu leisten. Noch in derselben Nacht langte die Todtkranke in Kairo an.

Als der Arzt, der am andern Morgen in aller Eile zu dem Pascha gerufen wurde, in dessen Zimmer trat, fand er denselben in fieberhafter Aufregung. Der sonst so gelassene Mann ging im Sturmschritt auf und nieder.

„Wallah!“ rief der Erregte dem Eintretenden zu. „Sie ist schön, unglaublich schön! Warum sagtest Du mir niemals, daß mein Harem ein solches Kleinod berge? Sie ist wahrlich eine Mebruhki (Gesegnete) – gesegnet von Allah und dessen Propheten.“

„Mebruhki!“ rief erschrocken der Doctor.

„Ja, Mebruhki ist in Kairo, in jenem Zimmer dort.“

„In Deinen Privatgemächern Pascha?“

„'Oft wird Liebe durch einen einzigen Blick in's Leben gerufen!'“[1] entgegnete der Orientale mit glühenden Augen. „Ein wahres Wort!“

Noch wahrer ist dieses: „'Er verscheuchte sein Vöglein und lief ihm alsdann nach.'“[1]

„Auch das ist wahr – doch jetzt gehe hinein und heile sie!“

Der Doctor mußte über diesen Befehl unwillkürlich lächeln, um sofort im ernsten Tone zu sagen:

„Mebruhki's Zustand muß sich in Folge der Reise verschlimmert ...“

  1. a b Arabische Sprüchwörter.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_068.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)