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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Das Jahr 1848 fand Kreyssig als jungen, noch nicht dreißigjährigen Lehrer an der Elbinger Realschule. Kurz vorher hatte ihn eine Studienreise nach Paris geführt und in nahen persönlichen Verkehr mit den Männern gebracht, von denen später die Februarrevolution ausging. Um praktische Politik zu spielen, den modernen Staat aus den Ueberlieferungen der Geschichte organisch herauszuentwickeln als ein bestimmtes Einzelwesen mit bestimmten Einrichtungen und bestimmtem Charakter, dazu waren wir als Volk damals noch zu unerfahren, zu jung. Kreyssig hat allen Begeisterungsrausch mitgemacht, von dem damals die ganze Welt, nicht nur die deutsche, ergriffen war – aber nicht lange. Zu den Menschen, die immer mit dem Strome schwimmen, gehörte er durchaus nicht. Auch dem reißendsten vermochte er zu widerstehen, wenn seine Erkenntniß, sein selbstständiges Urtheil ihm dies gebot.

Den innersten Kern seines politischen Wesens bildete ein starker deutscher Patriotismus. So neigte er, bald nachdem die Stürme von 1848 vorüber gerauscht waren, zu den Altliberalen und Gothanern. weil diese den nationalen Gedanken hochhielten; so löste er sich bereits 1864 innerlich von der großen Fortschrittspartei, als er in Schleswig-Holstein wahrnahm, daß Bismarck nationale Politik zu treiben entschlossen war; so sprach er sich noch kurz vor seinem Tode aus, daß Steuer- und Handelsfragen uns nimmermehr in Opposition mit den Kräften bringen dürften, mit deren Hülfe allein der Ausbau und die Vollendung des nationalen Staates möglich sei. Der starke nationale Zug, der sein ganzes Denken und Fühlen bestimmte, hat seine außeramtliche Stellung in Frankfurt oft erschwert, die amtliche nicht gerade erleichtert. Doch hat andererseits diese bewußte, gemäßigte Politik überzeugend und fruchtbar gewirkt in den Kreisen Süd- und Westdeutschlands, mit denen er durch mannigfache Thätigkeit in Berührung kam.

So war der Mann vom Schicksale auf eine rauhe Lebensbahn gewiesen, von Kämpfen immer in Anspruch genommen, ohne ruhigen Glücksgenuß gewachsen und geworden, ohne sich jemals selbst aufzugeben, ohne jemals zu verzagen. Das harte Leben hatte seine Kraft gestählt; ein Körper, der niemals versagte, den Geist an Spannkraft fast noch übertraf, unterstützte den eisernen Willen des Mannes. Für den Verzicht auf gemächlichen Lebensgenuß konnten ihn seine Erfolge wohl entschädigen. Bis 1869, wo er Elbing verlassen hat, war es die Reihe seiner Bücher und Schriften, die ihm diesen Erfolg brachte. Sie sind früher hier bereits erwähnt worden. Sie alle zeichnet die Kunst der feinen Modellirung, der plastischen Darstellung, eine Fülle von Gedanken und originellen Gesichtspunkte aus. Nicht ausschließlich kritisch beleuchtet und zersetzt er die Gestalten der Dramen Shakespeare’s. Jede einzelne erschafft er wieder, läßt sie vor uns hintreten, losgelöst von der Umgebung, in voller, lebenswahrer Gestalt. Sein Richard der Zweite, sein Falstaff, Hamlet, Antonio sind meisterhaft entworfene und durchgeführte Charakterbilder. Ein noch vollendeteres enthalten die Abhandlungen aus der französischen Literar- und Culturgeschichte dieses Jahrhunderts. Da stellt er Napoleon den Dritten als Schriftsteller vor uns hin, dabei den ganzen Menschen mit allen Fältchen des Charakters und Wesens, mit allen Licht- und Schattenseiten dieses merkwürdigen Mannes. Später, als Kreyssig nach Kassel und dann nach Frankfurt berufen ward, hat ihm leider die Muße zu größeren schriftlichen Arbeiten gefehlt. Die Organisation der Schulen, die von allen Seiten begehrten öffentlichen Vorträge nahmen seine Zeit und Kraft völlig in Anspruch. Schmerzlich hat er diesen Verzicht stets empfunden. Mit einer größeren tüchtigen Arbeit auf dem Gebiete der Literar- und Culturgeschichte hervorzutreten, war Jahr für Jahr sein heißester Wunsch. Massenhaft häufte sich das durch die Vorträge gewonnene Material. Aber es fehlte ihm an Ruhe und Sammlung, um es zu einem einheitlichen Ganzen zu verarbeiten. Einem Verleger hatte er bereits eine große französische Literaturgeschichte zugesagt, zu deren Vollendung er nicht hat kommen sollen. So boten denn die Schule, das Lehren und Organisiren, der Unterricht, den er auch außerhalb derselben einem großen Kreise Frankfurter Damen ertheilte, und der geistige Verkehr mit guten gesinnungsverwandten Freunden ihm hauptsächlich die innere Befriedigung, deren er bedurfte.

Zum Lehrer für Schüler und Freunde war Kreyssig doch eigentlich vorzugsweise bestimmt. Auf keinem Gebiete seines mannigfachen Wirkens hat er mehr geleistet, nachhaltiger und erfolgreicher gewirkt als auf diesem. Denn da kam zu allem Wissen und Können der mächtige Reiz seiner Persönlichkeit. Er verstand es, die Menschen seiner Umgebung über sich selbst zu erheben, ihren Blicken einen weiten Horizont zu erschließen und dabei immer mitfühlender, mitgenießender Mensch zu bleiben mit allen Unebenheiten und Schwächen, die ihm anhafteten wie jedem, der sich die Ellenbogen freihält, um große Ziele zu erreichen.

Mitten in seinem vollen Wirken hat den Unermüdlichen ein schneller Tod ereilt. Eine fast vierzigjährige Berufsthätigkeit mag doch nicht ganz spurlos an seinem herculischen Körper vorübergegangen sein. Besonders die schnellen, weiten Winterreisen, welche die Vorträge nothwendig machten, die Kälte, die mangelnde Nachtruhe und das allzulange Sprechen haben seine Lungen krank gemacht. Schon vor vier Jahren wurde er von einer heftigen Entzündung derselben auf’s Krankenlager geworfen. Er hat sich vollständig erholt, aber eine gewisse Müdigkeit war zurückgeblieben. Die Sehnsucht nach behaglicher Ruhe, nach Muße für schriftstellerische Arbeiten, nach Lebensgenuß beherrschte ihn mit fast dämonischer Gewalt. Seine Schulorganisation sollte zu Ostern vollendet werden; seine Ansprüche auf Pension wurden mit dem nächsten Jahre erheblich günstiger. Immer sprach und schrieb er davon, daß er sich dann ein stilles freundliches Nest im Grünen, in heiterer Weltabgeschiedenheit bereiten und dort mit seinen Töchtern – die Gattin war vor drei Jahren gestorben – leben und arbeiten wollte. Wer ihn kannte, hat schwerlich an die Verwirklichung dieser Träume glauben können. Die Schule, das Wirken nach außen waren ihm zu sehr an’s Herz gewachsen, als daß er dieser gewohnten Thätigkeit jemals hätte entbehren können, mit wie glänzenden Farben die Phantasie ihm jene ruhige, pflichtfreie Zukunft auch ausmalte. Zu Ostern 1881 sollte dieselbe beginnen. Ein kurzes Krankenlager, eine tödtlich verlaufende Lungenentzündung hat all seinem Hoffen und Sehnen ein jähes Ende bereitet. Einer der besten Männer Deutschlands, der glänzendsten, beredtesten, kühnsten Geister, der anregendsten, liebenswürdigsten Arbeitsgenossen, der wärmsten Vaterlandsfreunde ist in ihm von der Welt geschieden.

Ueberall, wo Kreyssig gewirkt, ist die Nachricht von seinem Tode mit Bestürzung, mit erregter Theilnahme aufgenommen worden. Die Vereine und Gesellschaften weit im Lande, die sich noch kurz zuvor an seinen Vorträgen erfreut, haben den Sarg mit Lorbeeren und Palmenzweigen geschmückt; Frankfurt, Kassel, Elbing sammeln Beiträge zu Erinnerungsmalen, die in Elbing, der Stätte seines dauerndsten und erfolgreichsten Wirkens, und in Frankfurt errichtet werden sollen. Man sucht abermals dem Todten zu zollen, was man dem Lebenden schuldig geblieben ist.




Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.
Von C. Michael.
9. „Es geht nicht.“

„Es geht nicht.“

Was geht nicht?

Alles, was wir aus Feigheit oder Trägheit nicht thun mögen; es giebt wenig Dinge, die nicht „gehen“, wenn wir ernstlich wollen, und in neunundneunzig von hundert Fällen würde man statt: „Es geht nicht“, besser sagen: „Ich will nicht“.

Unsere Sprache besitzt leider ein ganzes Lexikon bequemer Redensarten zur Beschönigung jener beiden häßlichen Fehler; es wäre eine interessante Aufgabe, sie alle zusammenzustellen: „Es geht nicht,“ „Ich kann nicht,“ „Das widersteht mir,“ „Dazu passe ich einmal nicht,“ „Ich könnte mich nicht dazu entschließen,“ „Meine Nerven vertragen es nicht,“ und wie die Ausflüchte sonst noch heißen, deren Anwendung auf unser Schaffen und Wirken ich gern ebenso sehr einschränken möchte, wie das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_079.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)