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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


das Loos der armen Thiere? Der Mayoral, welcher, auf dem Bock sitzend, die Zügel der Stangenthiere führt und zugleich eine sehr lange Peitsche mit Virtuosität zu handhaben versteht, mit der er die Ohren der Gespanne kitzelt, giebt sich alle Mühe, seine Zugthiere mit Hieben und Fußtritten zu foltern und zu animiren. Der neben den Thieren herlaufende Zagal, ein stämmiger, junger Bursche, theilt zu gleicher Zeit mit umgekehrtem Peitschenstock seine Kernhiebe aus und schont dabei weder den Rücken, noch die Weichen, noch den Kopf der Thiere, sodaß es kaum begreifbar ist, daß lebende Wesen unter solcher Behandlung nicht sofort verenden. Helfen Hiebe nicht, so sind Steinwürfe in Begleitung aller Kraftausdrücke und Fluchworte, deren ein spanischer Zagal mächtig ist, gewöhnliche Stimulirungsmittel für die überangestrengten Thiere.

Wenn die Staatskutsche ein Dorf oder einen Weiler passirt, so ist die ganze liebe Jugend männlichen und weiblichen Geschlechts darauf bedacht, den Gespannen eine halbe Stunde lang nachzulaufen und mit Knütteln, Stöcken und Steinen unbarmherzig auf die Thiere[WS 1] loszuschlagen. Stürzt eins, so wird ihm das Aufstehen mit Peitschenhieben erleichtert, und bergab, bergan ist Galopp die gewöhnliche Gangart. Daß die Thiere hierin nie nachlassen, dafür sorgt ein dritter Tyrann, der sogenannte Delantero, ein Vorreiter, dessen Amt es ist, mit Schmeichelworten oder im Nichtbeachtungsfalle mit Peitschenhieben die vorderen tonangebenden Paare stets in Athem zu halten. Wenn schon die Ausdauer der an jeder Hauptstation zu wechselnden Thiere eine bewunderungswürdige ist, so ist es noch mehr die ihrer Peiniger, welche zweitägige Reisen hin und zurück, in Staub, Hitze und beständiger Bewegung aushalten und dabei mit einer Brodkrume und einem Trunk Wasser vorlieb nehmen; denn das spanische Volk ist nüchtern, wie kein anderes. Aus der Behandlung seiner Gespanne möge man ferner keineswegs auf ein rohes Gemüth des Spaniers schließen. Im Stalle sind die Thiere seine besten Freunde, für welche er nur Schmeichelnamen, wie „mein Täubchen“, „mein Schätzchen“ hat, wie er im Dienste fast Unmögliches von ihnen verlangt, so pflegt er sie zu Hause mit aller Sorgfalt; er küßt und streichelt sie und füttert sie in aufmerksamster Weise.

Die ganze Gefährlichkeit für Leib und Leben, wie so ein spanischer Staatspostkasten sie darbietet, führt uns Professor Alexander Wagner (der Maler des in Nr. 30, 1878 vorgeführten „Römischen Stiergefechts“) in seinem vorstehend wiedergegebenen großartigen Gemälde „Die spanische Post“ in wahrhaft schwindelerregender Lebendigkeit vor Augen. Alles auf diesem mit realistischer Schärfe der Beobachtung erfaßten und mit viel künstlerischem Gestaltungsvermögen ausgeführten Gemälde trägt einen echt spanischen Charakter und illustrirt uns das Leben der dortigen Landstraße in den frischesten Farben.

Th. S.




Ernst Kossak. Es geht ein unheimlicher Zug durch die Geschichte unserer modernen deutschen Schriftstellerwelt. In ihrer vollen Lebensfrische, mitten in der Freude rüstigen Schaffens und Strebens, den Lorbeer auf der Stirn und große Entwürfe im Herzen, werden ernste wie lustige Geister von einem schwarzen Verhängniß erfaßt, unerbittlich niedergeworfen und dann auf Jahre hinaus zu einem Dasein hülfloser Abgestorbenheit verdammt, aus dem nur der Tod zu erlösen vermag. Die Ursachen dieser in erschreckenden Wiederholungen eingetretenen Fälle sind im Allgemeinen nicht schwer zu ermitteln. Das gesammte Arbeiten der geistigen Sphäre wandelt nicht mehr auf so friedlich geebneten und bequem vorgezeichneten Bahnen, wie in früheren Tagen. Während jetzt schöpferische Naturen sich umbraust und umwogt sehen von einer ruhelos in ihren Tiefen erschütterten Welt leidenschaftlicher Gegensätze und Forderungen, rang und ringt in ihrem Innern eine Welt neuen Denkens, Anschauens und Empfindens nach neuen, den starken Bewegungen des Jahrhunderts entsprechenden Formen des Ausdrucks und der Gestaltung. Das ist nicht blos Arbeit, sondern ein täglicher Kampf, der viel Herzblut aufsaugt, viel Nervenkraft verzehrt, seine Werkleute absorbirt und seine Opfer und Märtyrer verlangt. Zu ihnen gehört auch Ernst Kossak, den älteren unserer Leser als gern gesehener Mitarbeiter bekannt. Nicht erst am 3. Januar d. J., wo er für immer seine Augen schloß, ist er der Welt entrissen worden. Er war ihr schon verloren, als eine Lähmungskrankheit rettungslos seine physische und geistige Lebensfähigkeit gebrochen, ihn grausam vom Schauplatz gestoßen, die flinke und tapfere Feder ihm aus der Hand genommen hatte. So hat er noch beinahe fünfzehn Jahre wie der traurige Schatten eines Gewesenen unter den Zeitgenossen geathmet. Erst bei seinem Hinscheiden ist seiner wieder gedacht, sind wehmüthige Erinnerungen an seine Persönlichkeit und sein Verdienst in allen Denen geweckt worden, die ihn, seine Laufbahn und die denkwürdige Zeitwende gekannt, welche sein Talent zur Entfaltung gebracht hatte.

Ernst Kossak war seiner schriftstellerischen Bildung und Richtung nach recht ein Sohn jener vierziger Jahre, die bei uns so reich an bahnbrechenden Geistesthaten waren und einen so entscheidungsvollen Auf- und Umschwung unserer Literatur und Presse herbeigeführt hatten. Von jenen wissenschaftlich und dichterisch erregten Jugendkreisen Berlins, in denen ein nach Durchbruch und Bethätigung strebender Reformdrang mächtig gährte, hatte auch der junge Philologe, der zugleich ein ausgezeichneter Pianist und theoretischer Musiker war, den Sporn für seine Lebensbestimmung empfangen. Mit den literarisch aufstrebenden Genossen der Zeit theilte er das Charaktergepräge derselben: die streitbare Mannhaftigkeit des Sinnes und der Ueberzeugung, ungebundene Vornehmheit der Haltung und eine der tief bewegten Innerlichkeit entsprossene selbstlose Hingabe an ideale Zwecke. Dem heutigen Geschlechte würde es kaum gelingen, sich in die gehobenen Stimmungen jener unter dem schlimmsten Polizei- und Censurjoche lebenden Jugend zurückzudenken. Bezeichnend für Kossak aber ist es, daß er in Betreff seiner Aufgaben nicht unsicher und fehlgreifend umhertastete, er wußte von vornherein, wohin Neigung und Begabung ihn wiesen: die Zeitung wurde sein Feld, der Journalismus das Ziel seiner Absichten, und zwar jener ästhetisch-kritische Theil desselben, der denn auch bald in der politischen Presse sein souveraines Revier erhielt und unter den bekannten Strich der Zeitungen geschoben ward.

An regelmäßigen Besprechungen solcher Art hatte es auch bis dahin in den großen und einflußreichen Organen Berlins keineswegs gefehlt. Sie waren aber das unbestrittene Monopol behaglicher Stimmführer, die sich mit gemüthlicher Loyalität in den ausgetretenen Pfaden eines handwerksmäßigen Schlendrians bewegten, zu nicht geringer Schädigung des öffentlichen Geistes und Geschmackes, welcher von dieser meist ehrlich gemeinten, aber zopfigen und hausbackenen Spießbürgerkritik bestimmt und gerichtet wurde. Hier war es, wo die neu erstehende Kraft Kossak’s umwandelnd eingriff, und zwar durch ihr eigenes Beispiel. Die zusammenfassende Chronik, welche er allwöchentlich über das gesellschaftliche Leben, über Theater und sonstige Literatur- und Kunstzustände der Hauptstadt schrieb, zeigte in der sachkundigen Gründlichkeit des Inhalts, in dem eleganten Schliff des Stils und der rückhaltlosen Selbstständigkeit der Gesichtspunkte alle Merkmale einer beginnenden Verjüngung. Es war in diesen farbigen und geistsprühenden Momentbildern des kritischen Federzeichners, in diesem verstandesscharf auf den Kern dringenden, gegen aufgeputzten Moder und gleißende Schwäche sich wendenden Urtheil, in dieser Mischung stimmungsvollen Humors mit schlagendem Witz ein wirklich neuer Reiz belebender Frische, der seines Eindrucks nicht verfehlen konnte, weil er den besten Regungen der Zeit entstammte. Die Kossak’sche Chronik errang sich daher nicht blos in Berlin die allgemeine Beachtung, sie wanderte auch bald allwöchentlich von seinem Schreibtische unter den verschiedensten Ueberschriften und in den verschiedensten Gestalten durch die hervorragendsten Organe Deutschlands. Kossak’s Name wurde berühmt, seine Stimme einflußreich, seine Stellung in der Tagesliteratur glänzend.

All dieses Wirken gehörte freilich in seinen einzelnen Aeußerungen meist nur dem Augenblicke an, und schon am nächsten Tage waren dieselben mit den Zeitungsblättern verweht, in denen sie sich kundgegeben hatten. Trotzdem ging ein nachhaltiger Anstoß von ihnen aus, und es floß davon etwas Unvergängliches über in die Auffassungsweise des Publicums und in die weitere Gestaltung des ganzen Thätigkeitszweiges. Wenn man dem heutigen kritischen Feuilleton der gutgeleiteten Blätter eine culturgeschichtliche Bedeutung beimißt – und wir glauben, es hat sich diese Anerkennung erzwungen – so wird die Geschichte des deutschen Journalismus es Ernst Kossak als Verdienst anrechnen müssen, der erste wirksame Anreger und einer der würdigsten und nachdrücklichsten Vertreter dieser ansprechenden Gattung volksthümlicher Kritik gewesen zu sein. Es war das kein leichter und sorgenloser Weg. In allen Schichten des Volkes wurde Kossak eifrig gelesen, und Tausende hat er durch die Anmuth seiner Darlegungen und durch seine kaustische Satire geweckt und ergötzt. Nur die Näherstehenden aber wußten, welch ein Ernst des Studiums, der Bildung und Gesinnung, wie viel Schweiß heißer und mühsamer Arbeit hinter den burlesken und scheinbar so leicht hingeworfenen Plaudereien des brillanten Feuilletonisten lag. An den Tagen, wo er seine größeren Artikel schrieb, saß er vom frühen Morgen in seinem Zimmer eingeschlossen, kaum sich Zeit zur nothwendigsten Nahrung lassend. Erst an den Abenden begrüßte er nach vollbrachtem Werke die Seinen und wankte dann mit der treuen Gattin tief ermüdet auf einen Spaziergang oder in’s Theater. An Kampf, Sturm und Aergerniß hat es bei der Weise seiner Thätigkeit natürlich auch niemals gefehlt, und alle diese endlosen Aufregungen und Anstrengungen waren es denn auch hauptsächlich, die den heiter gearteten Schriftsteller, eine imposante Männererscheinung von gewinnender Liebenswürdigkeit der Umgangsformen, so früh aufgerieben und seinem mit wärmster Inbrunst erfaßten Berufe entzogen haben. Als die Krankheit ihn unfähig gemacht, fand sie ihn, um dessen Lob fortwährend die Angesehensten sich beworben hatten, als einen gänzlich vermögenslosen Mann, durch die Unterstützung der „Schiller-Stiftung“ und einiger Freunde fortan sein hülfloses Dasein fristend. Die übrige deutsche Welt kümmerte sich weiter nicht um ihn; erst bei seinem ehrenvollen Begräbniß ist ihm der längst verdiente Lohn anerkennenden Dankes geworden. Trauriges Symptom trauriger Zustände! – Von Kossak’s Schriften würden seine humorvollen Bilder und Typen aus dem Berliner Leben eine Gesammtausgabe verdienen. Zu seinen besten Arbeiten gehört auch der umfassende Text, den er zu den berühmten Aquarellen von der Weltreise des Malers Hildebrandt geschrieben hat.

A. Fr.




Kleiner Briefkasten.


R. B. in Z. und Andere. Sie möchten Näheres über den Maler des mit so lebhafter Begeisterung aufgenommenen Bildes „Um Nichts!“ in der letzten Nummer vorigen Jahrgangs erfahren. Hier haben Sie, was wir wissen: Ernst te Peerdt ist im November 1852 zu Tecklenburg als jüngster Sohn eines Juristen geboren, welcher gegenwärtig als Amtsgerichtsrath in Wesel angestellt ist. Er hat seine Schulbildung in Wesel, seine erste künstlerische Vorbildung in Düsseldorf genossen, wo er ein Schüler Bendemann's war. Alsdann ging er zu Piloty und Diez nach München, das er aber, weil ihm das Klima nicht zusagte, schon nach Ablauf eines Jahres wieder verließ, vollendete, nachdem er als Artillerist sein Jahr abgedient, seine Studien in Berlin, hier unter Knaus von der Historie zum Genre übergehend, und arbeitete von da ab selbstständig. Seit dem Frühjahr 1878 lebt er ständig in Italien, geht aber mit der Absicht um, sich wieder Düsseldorf zuzuwenden. Der charaktervolle Ernst, mit dem sich der begabte junge Künstler zu der jetzigen Höhe seines Wollens und Könnens heraufgearbeitet hat, bürgt für ein weiteres tüchtiges Schaffen desselben, wenn auch so glückliche Würfe, wie das Duellbild, nicht alle Tage gelingen. Uebrigens ist außer dieser Arbeit noch ein zweites Bild te Peerdt's, seine „Klostertoilette“, in weiteren Kreisen bekannt geworden.

K-b in Amsterdam. Quittung über die Liebesgaben, welche für die Nothleidenden in Oberschlesien und die Hinterbliebenen der Zwickauer Verunglückten eingegangen sind, wird von nächster Nummer ab erfolgen.


Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Thüre
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_088.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)