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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Unter diesen Romanen steht in erster Linie „Gräfin Faustine“, die genialste Production dieser merkwürdigen Schriftstellerin. Die Heldin ist ein weiblicher Faust … und wie dieser unersättlich in seinem Wissensdurst, so ist sie es in ihrem Durst nach Lebensglück. Unbefriedigt in ihrer Ehe liebt sie einen andern Mann; indessen dies allein würde ihr noch nicht den Stempel einer Faustine aufdrücken, es ist alltäglich, wenigstens in Romanen; aber die Heldin liebt zwei Männer zugleich, und auch hierin, sowie in der Ausübung der Kunst findet sie keine Befriedigung. Sie wandert in den Orient und geht in ein Kloster: ein Weg, den auch die Dichterin selbst später einschlagen sollte, welche in diese „Faustine“ schon soviel aus ihrem eigenen Leben hineingeheimnißt hatte.

Wenn eine Frau einen reichen Geist, ein empfängliches Herz besitzt, so bietet die heutige Welt ihr kein anderes Ziel als die Weltentsagung. Das ist die Moral der „Faustine“. Wohl, so werden diejenigen Frauen glücklich sein, die sich zu beschränken wissen und nur bescheidene Ansprüche an das Leben stellen? Nein, antwortet die unerbittliche Richterin unserer Gesellschaft, auch diese sind es nicht, und in ihrem Roman „Clelia Conti“ beweist sie, daß auch aller sanft sich hingebenden Liebe und Treue nicht der ersehnte Lohn zu Theil wird. Ueber diesem mehr rührenden Bilde schwebt eine ironische Beleuchtung: das sind eure idealen Frauen, seht, wozu sie es bringen! Mein Ideal bleibt die geniale „Faustine“, welche dem Gesetz der Welt Trotz zu bieten wagt. Einen Reichthum weiblicher Charaktere hat die Gräfin Hahn-Hahn auch in ihrem Roman „Ulrich“ dargestellt; es ist viel echte Liebespoesie in demselben; aber der Held, ein häßlicher, geistreicher Mann, ist nicht viel mehr als ein Don Juan. So sind alle ihre Männer, entweder Don Juans, oder Tyrannen, rohe Wüstlinge; sie treten bei ihr ja nur als Liebhaber oder Ehemänner auf; irgend ein thätiges Wirken bewähren sie nicht, eine Bedeutung für das Leben haben sie nicht. Die Frauen dagegen sind Märtyrerinnen unserer Cultur, und in einzelnen Romanen, wie in „Zwei Frauen“, wird der Protest gegen das Gesetz der Gesellschaft, das Evangelium der Freiheit des Herzens mit großer Beredsamkeit verkündet. Die Willkür genialer Naturen steht über dem Gesetz: das ist das Dogma der Romantiker, welches unsere Schriftstellerin für sich acceptirt hat; das ist der Grundton, der auch durch ihre übrigen Romane: „Der Rechte“, „Cecil“, „Sigismund Forster“, „Sibylla“, „Levin“ u. a. hindurchklingt.

Gräfin Hahn-Hahn hatte mit ihrer Gegnerin, der Fanny Lewald, das gemein, daß sie eine eifrige Touristin war und eine große Zahl von Reiseschriften veröffentlicht hat: „Orientalische Briefe“, „Ein Reiseversuch im Norden“, „Jenseits der Berge“, „Erinnerungen aus und an Frankreich“ u. a. Ihrem ganzen Wesen war indeß ein unbefangenes Beobachtungstalent fern; sie blieb überall eingesponnen in ihre eigene Empfindungs- und Gedankenwelt; sie sah die Welt gleichsam durch den Schleier ihrer eigenen Seele. An genialen Einfällen, zu denen äußere Eindrücke die Anregung gaben, fehlt es nicht in ihren Reiseschriften; aber anschauliche Darstellung von Land und Leuten, abgesehen von poetisch beleuchteten Stimmungsbildern, würde man vergeblich in ihnen suchen.

Im Jahre 1845 nahm die Gräfin Hahn-Hahn einen dauernden Aufenthalt in Dresden, wo sie mit der Aristokratie, mit schriftstellerischen Collegen, wie Freiherr von Sternberg, verkehrte. Doch sollte das Behagen des Lebens ihr bald in trauriger Weise gestört werden. Augenleidend, ließ sie sich von Dieffenbach operiren; dennoch verlor sie 1848 das eine Auge. Im Jahre 1849 starb ihr innigster Freund Bystram, und die in Dresden so furchtbar ausbrechende Mairevolution zeigte am hellen Tageslicht der Geschichte Elemente, die ihr in hohem Grade widerwärtig und feindselig waren.

Aus jener Dresdener Epoche haben wir die Aufzeichnungen einer mit der Gräfin Hahn-Hahn gesellschaftlich verkehrenden Dame, die uns von der vierzigjährigen Frau das folgende Portrait entwirft: „Sie hatte bereits das eine Auge eingebüßt, und ihre zarten, feinen Gesichtszüge waren durchaus nicht mehr ansprechend zu nennen. Eine fast durchsichtige Hautfärbung und das erhabene, klug und tief blickende Auge verliehen ihrer Physiognomie den Ausdruck geistiger Begabung und eines mehr als gewöhnlich regen Seelenlebens. Ihre Figur, groß und sehr schlank, war sehr mager, sodaß ihre eigentlich graziösen Bewegungen zuweilen eckig und der feste Tritt ihres schmalen Fußes wohl bisweilen allzu männlich erscheinen konnte. Dem Fuße gleich, war ihre Hand ebenfalls lang und schmal, und sie widmete diesen beiden Theilen ihres Körpers eine ganz besondere Aufmerksamkeit, wie sie denn auch mit Vorliebe Hände und Füße, den ihren gleichend, an ihren Heldinnen zu schildern pflegte. Sie trug damals ihr mattblondes Haar gescheitelt; ihre Nase war fein, der Mund frisch und trotz der schmalen scharfgeschnittenen Lippen von einem so wohlwollenden, freundlichen Zuge oft umschwebt, daß die innere Güte des Herzens sich wie ein rosig Licht über ihr ganzes Gesicht zu verbreiten schien.“

Der Ausbruch der revolutionären Bewegung, deren Gewaltsamkeit sie in nächster Nähe bedrängte, trug wesentlich dazu bei, den Entschluß in ihr zu reifen, ihrer „Faustine“ erdichtetes Schicksal zum eigenen, zur Wahrheit ihres Lebens zu machen. Der Tod Bystram's konnte sie in diesem Entschlusse nur bestärken. Hierzu kam, daß sie in Dresden die Bekanntschaft eines der geistvollsten Vorkämpfer des streng kirchlichen Princips machte, der bald darauf den Mainzer Bischofsstuhl besteigen sollte.

Gewandt mit Wort und Feder, heimisch in allen Bewegungen der Zeit, für seine Zwecke benutzend, was sich irgend in den Dienst der Kirche zwingen ließ, war Freiherr von Ketteler ganz dazu angethan, eine Frau von romantischen Neigungen im Augenblick, wo ihr eigenes Leben des festen Haltes zu entbehren anfing und die ihr widerwärtige revolutionäre Richtung in Deutschland in den Vordergrund trat, zur Proselytin zu machen.

So trat die Gräfin Hahn-Hahn im Jahre 1850 zur katholischen Kirche über und vermehrte die Zahl der Bekehrten, an denen unsere Literatur allzu reich ist. Einer Nachricht zufolge ist sie zuerst 1852 zu Angers in ein Kloster eingetreten; jedenfalls kam sie bald darauf nach Mainz, wo sie als Klosterfrau ein katholisches Magdalenen-Stift leitete. Dreißig Jahre lang, bis zu ihrem jetzt erfolgten Tode, lebte sie in der schönen Rheinstadt in klösterlicher Zurückgezogenheit. Nicht blos dem Salonleben, auch den touristischen Launen hatte sie entsagt, keineswegs aber dem literarischen Schaffen.

Das lag nicht im Sinne des Mainzer Bischofs, der selbst ein so geharnischter Kämpe mit der Feder in der Hand war, wie viele seiner Vorgänger es mit dem Schwerte waren. Er wollte ein so reiches Talent nicht versumpfen lassen; es sollte befruchtend wirken im Dienste der Kirche. Und so erfuhr die Welt aus der Schrift „Von Babylon nach Jerusalem“ die große Wandlung im Leben der Dichterin: es war ziemlich das letzte Werk der Hahn-Hahn, von dem man in literarischen Kreisen Notiz nahm; die folgenden wurden mehr durch die kirchliche Propaganda verbreitet. Sie hatte ja ihr letztes Wort gesprochen; die goldschimmernde Legende in etwas „preciösem Stil“ wurde jetzt ihre Muse. Sie schrieb Gedichte „unserer lieben Frau“ gewidmet, im Sinne jenes Marien-Cultus, den Brentano und später sogar Daumer gepflegt hatten; sie verfaßte ein „Leben des heiligen Augustinus“, „Bilder aus der Geschichte der Kirche“, ein „Büchlein vom guten Hirten“ und Aehnliches; doch auch dem Roman wurde sie nicht untreu; was sie indeß für die Unterhaltung frommer Seelen schrieb, hatte für die Weltkinder kein Interesse. Alle Romane habe denselben Refrain: die Flucht aus eitler Weltlust, aus den Schmerzen des Lebens, aus verwirrten Verhältnissen in den Schooß der alleinseligmachenden Kirche. Wir erwähnen von diesen Romanen „Maria Regina“, „Doralice“, „Zwei Schwestern“, „Peregrin“, „Die Erbin von Cronenstein“ und andere.

Mochte es der Einsiedlerin von allen Entsagungen, die sie sich auferlegen mußte, nicht als die schlimmste erscheinen, daß diese Werke kein Echo mehr fanden in der deutschen Literatur, die ihr doch einst einen schönen Kranz gewunden, daß Nebenbuhlerinnen, die sie früher tief unter sich sah, sich jetzt im Lichte des Ruhmes sonnen konnten, welches ihr nicht mehr scheinen durfte? Sollte sie niemals in ketzerischen Augenblicken sich zurückgesehnt haben in die Zeit jener genialen Sünden, in den Wogenschlag des socialen und literarischen Lebens, der sie einst so hoch getragen? Wer kann es wissen?

Die Literaturgeschichte aber wird die fromme Pilgerin nicht vergessen; sie wird sie, gegenüber dem nüchternen und breiten Realismus der Gegenwart, als eine Dichterin anerkennen, welche,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_103.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)