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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

In sich versunken, regungslos saß sie in der Sopha-Ecke; immer noch klang ihr der herbe Ton in den Ohren, dessen erzwungene Gelassenheit ein leises Beben doch nicht ganz zu verbergen vermochte; immer meinte sie noch, es müsse ein weiteres Wort kommen, und doch wußte sie, daß der, von dem sie es erwartete, schon längst gegangen war. Allein, ganz allein saß sie in dem großen dämmerigen Raume; die Kälte jagte sie zuletzt empor; sie ließ die Depesche in die Tasche gleiten; es brauchte sie Niemand von der Dienerschaft zu finden.

Als sie wieder in ihr helles, warmes Schlafzimmer trat, da war ihr, als erwache sie aus einem Traume. Das noch immer auf dem Boden liegende, von Frip zerzauste Bouquet rief ihr wieder eine ganz andere Bilder- und Gedankenreihe zurück. Wo war das Blatt, das sie vorher so ganz und gar vergessen, und das ihr entfallen sein mußte?

Die auf dem Teppich verstreuten Papierflöckchen ließen darüber kaum einen Zweifel. Der Hund hatte sich des Billetdoux bemächtigt und es im Muthwillen zu Atomen zerrissen. Es war gut so. Die im Fauteuil eingenickte Kammerjungfer, welche erst, als die Thür aufging, schlaftrunken emporgefahren war, hatte es also noch nicht gefunden und gelesen.

Und wenn auch? Was lag am Ende daran?




2.

Ja, was lag am Ende daran?

Das fragte sie sich auch bitterlächelnd wieder, als sie mehrere Stunden später in ihrem Boudoir saß und die Kette der Gedanken von Neuem aufnahm, die ein kurzer unruhiger Schlaf, erst nach langem Zaudern einkehrend, mit häßlichen Traumcaricaturen unterbrochen hatte.

Ein Schubfach des mit schillernder Perlmutter kunstvoll ausgelegten Ebenholztisches, welcher kostbares Schreibgeräth, kleine eingerahmte Bilder, Figürchen und sonstiges Spielzeug trug, stand offen. Das in violetten Maroquin gebundene große Buch, mit dem sie sich beschäftigte, war offenbar aus demselben genommen. Ein kleiner vergoldeter Schlüssel steckte noch in dem Schlosse der Klammer. Jetzt war das Buch aufgeschlagen, und zwischen den Seiten lag eine Photographie, die einen jungen Husarenofficier darstellte, denselben, welcher sich mit dem vergessenen Strauße am Fuße der großen Treppe des Opernhauses eingefunden, nur daß der jetzt so volle Schnurrbart auf dem Bilde noch nicht zu solcher Stattlichkeit gediehen war. Auch manche Einzelnheit war verschieden, und das verstärkte noch jenen Eindruck der Fremdheit und Erstarrung, den gerade diese Gattung von Portraits nach einigen Jahren bei dem Betrachter immer hervorruft, besonders wenn sich wieder die Gelegenheit ergiebt, Vergleiche mit dem Originale anzustellen. Dieses lebt, und daneben erscheint das alte Conterfei wie erstorben und verzerrt.

Und dies hatte eben erst auch die schöne Träumerin empfunden, als sie das Blatt enttäuscht auf die beschriebenen Seiten des Buches zurückfallen ließ, zwischen denen es, in feines Goldpapier eingehüllt, aufbewahrt gelegen.

Nicht zufällig hatte es gerade hier seinen Platz gefunden.

Mit bewußter Absicht war es vielmehr an eine bedeutsame Stelle gethan worden; es bildete gleichsam ein Merkzeichen und eine Illustration.

Der Blick glitt unwillkürlich von der Photographie ab auf die feinen Schriftzüge, mit denen eine sicherlich nicht flüchtige, eher capriciöse und einigermaßen eigenartige Damenhand beinahe die Hälfte des Buches gefüllt hatte.

(Fortsetzung folgt.)


Thierbilder von nah und fern.
1. Der Flamingo.
Von Dr. Karl Ruß.

Dem heißen Sommertage ist eine laue, halbdunkle Nacht gefolgt. Wir haben die letzten Stunden am Ufer eines Gewässers in drückender Schwüle und lautloser Stille verträumt, und die allmählich vom Wasserspiegel aus heranziehende Kühle belebt uns wie auch andere Wesen. Allenthalben rings umher wird’s regsam; der laute, mehrmals ausgestoßene Schrei einer Ente, begleitet von schallendem Flügelklatschen, die heiseren Rufe großer Sumpf- und Wasservögel hallen vom jenseitigen Ufer herüber. Dann hören wir in der Ferne die grollende Stimme des Königs der Thiere und, gleichsam wie im Widerhall, das Brüllen mächtiger Wiederkäuer.

Wiederum wird es stille; nur dann und wann vernehmen wir das Huhu einer Eule, den Schrei einer Möve und den Trompetenton eines Kranichs. Nun aber erheben sich Laute, so wunderlich und widerwärtig zugleich, daß wir sie dem schöngefiederten Pfau kaum zutrauen möchten, und wie aufgestört kollert ein Truthahn, läßt eine kleine Taube ihren schrillen Ruf erschallen, und mancherlei grunzende, blökende und brüllende Töne mischen sich darein. Die Hunde werden wach; ihr Gebell und Geheul übertäubt zunächst alle anderen Stimmen, bis auch sie sich beruhigen und mit der zunehmenden Nachtkühle alles wieder still wird. Im Halbdunkel sehen wir lichte Gestalten über den Wasserspiegel hin und her wandern, bis sie stehen bleiben und alles regungs- wie lautlos verharrt.

Mit der nahenden Morgendämmerung erhebt der Pfau von Neuem sein Geschrei, und wie antwortend ertönt das grause Lachen der Hyänen, das Geheul anderer großer und kleiner Raubthiere und das Bellen der Hunde; dann beginnen die Hähne zu krähen, andere Hühnervögel zu rufen und zu gackern; die gellenden Schreie großer Papageien erschallen weithin, und allenthalben um uns her wird es lebendig. In den Gipfeln der Bäume werden die Staare munter, im Gebüsch die Sperlinge und vom unfernen Waldrande her vernehmen wir das Trommeln des Spechts.

Ein Entenschwarm schießt über die noch dunkle Wasserfläche dahin, und mit einem Schlage kommt in die großen weißen Punkte auf derselben Bewegung: Flamingos, Schwäne, Gänse im Wasser und Reiher, Störche, Kraniche am Ufer erwachen, schütteln sich, schreiten oder rudern bedächtig hin und her. Der bis dahin anscheinend öde Wasserspiegel hat sich plötzlich mit unzähligen Gestalten belebt und wir sehen mit einem Male ein Bild vor uns, so fremdartig schön, wie es der Griffel des Künstlers kaum wiederzugeben vermag. –

Das sind Eindrücke, nicht etwa aus den Tropen sondern aus einem zoologischen Garten, wo sie heutzutage Jeder empfangen kann, der Sinn und Verständniß für die Thierwelt hat; und damit stellt sich so recht deutlich der eminente Aufschwung vor die Seele, welchen die Naturbeobachtung in den letzten Jahrzehnten genommen hat.

Wohl lasen wir in unserer Jugend schon mit Entzücken die Schilderungen von Reisenden, welche fremdländische Thiere in deren Heimathgegenden, namentlich in den Tropen, beobachten konnten, und wir erinnern uns des Jubels, mit dem wir einst die guten oder schlechten Abbildungen einer Naturgeschichte durchblättert, des Eifers, mit dem wir dann die Beschreibungen verfolgt haben, um das Leben solcher uns wunderbar dünkenden Geschöpfe kennen zu lernen. Welche Errungenschaften aber sind aus diesem, wie auf so vielen anderen Gebieten der Forschung, seitdem gemacht worden! Zahlreiche tüchtige Männer sind hinausgezogen bis in die fernsten Wildnisse aller Welttheile und haben uns treue Berichte vom Leben und Treiben, von der Entwickelung und allen besonderen Eigenthümlichkeiten der Thiere gebracht; unsere Schul- und Hausnaturgeschichten wimmeln jetzt nicht mehr von Unrichtigkeiten wie früher, und noch mehr: wir finden gegenwärtig vielfach die Gelegenheit, die Mittheilungen der Reisenden gleichsam mit eigenen Augen zu controliren. Die zoologischen Gärten, und unter ihnen hoch obenan stehend der Berliner unter Leitung von Dr. Bodinus, züchten jetzt schon zahlreiche Arten der verschiedensten fremdländischen Thiere, und damit Hand in Hand geht die anderweitige Thierzucht von der Einbürgerung landwirthschaftlich wichtiger Fremdlinge bis zu der außereuropäischen Wildes, von der Bevölkerung der Seen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_108.jpg&oldid=- (Version vom 18.2.2021)