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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


in's Protokoll eingetragen waren, dessen Abfassung der Schreiber in der Wohnstube an derselben Tischecke besorgte, wo der alte Kogelhofer die Ankunft seines Königs in den Kalender einzutragen gedacht hatte. So eifrig und genau Alles durchsucht wurde, fand sich jedoch nirgends eine Spur von Papieren, in welche der Alte etwa seinen letzten Willen niedergeschrieben oder irgend welche Nachricht oder Andeutung über seine Erlebnisse gemacht hätte.

Der einzige Anhaltspunkt, der darüber zu erlangen war, kam von einem Bauer aus dem Flachlande, aus der Gegend, wo der Kogelhofer zuerst daheim gewesen; derselbe war eigens hereingekommen, um über das Schicksal des alten Freundes und Jugendbekannten genauere Erkundigungen einzuziehen, als in der Ferne möglich war. Der Mann wußte aus den eigenen Erlebnissen ziemlich genau Bescheid zu geben, wie der selige Kogelhofer gegen den Willen seines Vaters eine Liebschaft angefangen hatte mit einem geringen Mädchen, einer Bauernmagd, die nicht blos blutarm, sondern auch die Tochter eines Kleingütlers war, mit dem der Vater seit Jahren in abgesagter Feindschaft lebte. Der Alte hatte daher von einer Heirath durchaus nichts wissen wollen; es hatte viel Verdruß und Zorn darüber abgegeben, aber es half nichts mehr; das Unglück war geschehen, und als Lenz auf die Welt gekommen, war bereits vollends jeder Ausweg mit Brettern verschlagen. Der Vater hatte sich bei Seel' und Seelenheil verschworen, daß er die Heirath nun und nimmer zugeben würde; er war, wie der Kogelhofer, ein jähzorniger Mann gewesen, der denn auch einmal bei einem Disput mit dem Sohne vom Schlag gerührt ward. Als das geschah, war es aber schon zu spät gewesen, dem Mädchen seine Ehre wiederzugeben – sie hatte sich hinunter gehärmt und gekränkt und war vom Kindbett nicht mehr aufgestanden – dem Kogelhofer aber war es unheimlich geworden, und er hatte einen neuen Wohnort aufgesucht.

Endlich waren die meisten Gelasse durchforscht, der Landrichter schritt nur noch zu einer letzten Besichtigung an den Stuben und Kammern vorüber, in welchen die Ehehalten wohnten und ihre Habseligkeiten aufbewahrt hatten. Auch an dem Kämmerchen, das Nannei bewohnt hatte, ging er vorüber; die Thür stand offen; es war nichts Besonderes in demselben zu bemerken. Dennoch war Lenz mit einem Satz über der Schwelle und hob ein am Boden liegendes Blatt auf, das er rasch in die Tasche steckte.

Die Bewegung war wohl dem Landrichter, nicht aber den Geieraugen des Krämers entgangen, der allen Ernstes darauf drang, daß Lenz das Papier vorzeige, welches vielleicht Wichtiges und Geldwerthes enthalten könne. – Lachend, doch erröthend zog Lenz das Blatt hervor.

„Es ist nichts,“ sagte er, „nichts als ein Stück alte Zeitung; ich hab's nur aufgehoben, weil ich so alte Sachen oft gern nachlesen mag.“

Der Landrichter überzeugte sich davon, nahm das Blatt, drückte es zu einem Knäuel zusammen und warf es wieder zu Boden. Der Zug bewegte sich die Stiege herab, Lenz aber wußte es so einzurichten, daß er der Letzte war. Niemand achtete seiner, als er, wie ein Habicht auf seine Beute, nach dem Papier schoß und es in Sicherheit brachte.

In der Stube sollte zum Schluß das Verhandlungsprotokoll und die förmliche Erklärung des Krämers aufgenommen werden, daß er nach dem pfarramtlichen Zeugniß, welches er vorsichtiger Weise beigebracht hatte, den Antrag stelle, den Rücklaß an ihn, als einzigen und nächsten Erben, herauszugehen. Der Beamte war eben im Begriffe, die entsprechenden Sätze zu dictiren, als durch die kleinen Rundscheiben der Fenster die lustigen Töne eines Posthorns schmetterten und ein Dienstbote mit der Meldung in's Zimmer stürzte, ein Staffettenreiter sei angekommen, der für den Landrichter ein Schreiben vom König bringe.

Der Postillon folgte dem Boten auf dem Fuß. Der Glanzhut mit dem mächtigen weiß und blauen Federbusch, die blaue Jacke mit den silberbesetzten schwarzen Sammtaufschlägen, die rothe Weste, die blanke Reithose und die noch blankeren Reitstiefel ließen erkennen, daß der Posthalter die Depesche für sehr wichtig gehalten haben mußte und daher dem Postillon befohlen hatte, sich in große Gala zu werfen.

Kaum eine Secunde verging, und wie auf Commando war, was auf dem Kogelhof anwesend war, in der Stube zusammen gekommen; ein Schweigen tiefster Erwartung lagerte darüber, höchstens unterbrochen durch das gedämpfte Flüstern, von welchem nur einzelne Worte zu verstehen waren. „Ein Schreiben vom König! Wenn das der alte Kogelhofer erlebt hätte! Was mag wohl darin stehen, in dem Schreiben?“

Nur der Krämer theilte die freudig erregte Stimmung der Uebrigen nicht. „Ein Schreiben vom König?“ sagte er lachend und halblaut, doch so, daß der Landrichter, der eben das Schriftstück aufschnitt, es wohl vernehmen konnte. „Was wird darin stehen? Was kann denn darin stehen? Das habe ich lange gemerkt, daß der Kogelhofer, wie ihn der König aufgefordert hat, sich eine Gnade auszubitten, ihn darum angegangen hat, er solle Lenz für ein eheliches Kind erklären.“

„Nun, wenn es so wäre?“ fragte der Landrichter, indem er einen Blick auf das Blatt warf und dann den Krämer fest ansah.

„Dann möcht's dem Lenz auch nichts mehr helfen,“ erwiderte Rab. „So lange der Kogelhofer gelebt hat, hätte das geschehen können; da hat es noch keine Erbschaft gegeben, aber jetzt ist es damit vorbei. Der Kogelhofer ist vor der Legitimation gestorben, damals also war Lenz ein lediges Kind; ich habe geerbt, und was ich geerbt habe, das kann kein Kaiser und kein König mir mehr nehmen.“

Der Landrichter hielt immer noch den Blick auf den Krämer geheftet. „Es ist erstaunlich,“ sagte er dann, „wie gut Sie die Zeit, während der Sie bei Gericht verwendet waren, benutzten, um sich Gesetzkenntnisse zu verschaffen. Sie haben auch ganz recht, mein Herr, und doch haben Sie geirrt. Dieses Blatt – hört Ihr, Leute! – dieses Blatt enthält wirklich die Erklärung Seiner Majestät, worin derselbe kraft allerhöchster königlicher Machtvollkommenheit der Geburt des Bauernsohnes Lorenz Reiter vom Kogelhof jeden Makel nimmt.“

Aus der allgemeinen Stille brach ein nicht minder allgemeines Brausen von Stimmen los: Verwunderung, Freude, Zorn machten sich um die Wette laut, und der Schreiber hatte Mühe, die Ruhe soweit herzustellen daß die weitere Mittheilung des Landrichters vernommen werden konnte.

„Das Schreiben rührt wirklich von dem Cabinetsrath Seiner Majestät her,“ begann der Beamte wieder; „es enthält die Nachricht, daß der König, der gewohnt ist, jeden Abend Alles, was ihm tagüber vorgekommen, zu erledigen, dieser Gewohnheit auch an dem Tage, an welchem er auf dem Kogelhofe gewesen, treu blieb. Spät Abends noch, als er schon ermüdet sich zur Ruhe begeben wollte, hatte er in seinem Taschenbuche die Notiz über das Gesuch des Kogelhofers gefunden; er hatte sofort noch in der Nacht den Cabinetsrath rufen lassen und ihm die Genehmigung des Gesuches in die Feder dictirt: 'Der brave Kogelhofer,' sagte er dabei, 'hat sich auch nicht besonnen, mich über den Abgrund wegzutragen; so will ich mich auch nicht besinnen, seinen Wunsch zu erfüllen.' Das allerhöchste Decret wird in den nächsten Tagen eintreffen, und diese Nachricht kommt nur voraus zur Beruhigung des Alten – leider,“ schloß der Beamte ergriffen, „ist derselbe inzwischen bereits in die ewige Ruhe hinüber gegangen.“

„Das geht nicht an!“ rief der Krämer. „Ich protestire, Gnaden Herr Landrichter.“

„Es ist vergebens,“ antwortete dieser; „die Legitimation des Königs ist noch am 5. September Abends erfolgt; Lorenz Reiter war also bei dem am 6. September erfolgten Tode seines Vaters vollkommen erbfähig und erbberechtigt und ist demnach von Gottes und Rechts wegen rechtmäßiger Besitzer und Bauer auf dem Kogelhofe. Ich schließe daher die heutige Verhandlung, indem ich sie für aufgehoben erkläre bis zum Eintreffen des allerhöchsten Bescheides. Das kann ich aber heut wohl nicht besser thun, als indem ich sage: Hoch lebe unser gnädiger König!“

Der einstimmige Zuruf der Anwesenden war betäubend. Wenn auch im ersten Augenblick die Stimmung vielfach gegen Lenz gewesen war, hatte doch der furchtbare Ernst derselben bald mildernd gewirkt, und jetzt, da der König so recht wie eine Hand der Gnade aus den Wolken eingegriffen hatte, waren alle umgewandelt.

Nur der Krämer konnte nicht einstimmen; er war bereits aus der Stube auf den Hof gerannt und bedurfte diesmal keines Knechtes, um sein Wägelchen aus der Scheune zu schieben und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_114.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)