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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


sein Rößlein anzuschirren. Niemand war ihm dabei behülflich, Niemand hinderte ihn; Alle sahen seinem Beginnen aus der Ferne zu. Als er aber Philomena trotz ihrer verweinten Augen einen Puff gegeben, damit sie sich schneller auf dem Sitze zurechtfinden sollte, und dann wegfuhr, konnte er wohl, trotz des Rädergerassels, vernehmen, wie die Burschen ihm mit Spottliedern den Abschied gaben. Sie sangen:

„B'hüt Gott, sagt der Teufel,
Herr Geier und Rab,
Jetzt putz' halt den Schnabel
Und die Krallen fein ab!“

Die Freude des neuen Kogelhofers zu schildern, wäre vergebliche Mühe. Er hatte vom Landrichter das Cabinetsschreiben sich geben lassen und hörte nicht auf, das Glück bringende Blatt und das Siegel desselben an den Mund zu drücken; den ganzen Inhalt seines Lederbeutelchens aber schüttete er in den Hut des Postillons aus und wußte dann nichts Besseres zu thun, als einem der Nachbarn und Umstehenden nach dem andern die Hände zu schütteln oder ihm um den Hals zu fallen. Sogar den Pechler Kaspar, der ihm in den Weg kam, hielt er so fest, als wenn er ihn gar nicht mehr loslassen wollte.

Der Alte stieß ihn zurück; er war in der übelsten Laune, denn die Nachrichten, die er zu bringen hatte, konnten nicht schlechter sein.

Nannei hatte sein Kommen bemerkt und winkte ihm wieder nach der einsamen Tenne, wo sie am ungestörtesten ihn anhören zu können hoffen durfte.

Der Alte hatte seine diplomatische Sendung erfüllt, aber der Erfolg war gewesen, wie Nannei's richtiges Gefühl ihn vorhergesehen hatte. Der alte Baron hatte sich wie ein Unsinniger geberdet.

Er habe schon von der Geschichte gehört, schrie er, und er wolle sehen, ob Jemand sich unterstehen würde, Ansprüche gegen ihn zu erheben. Es sei Alles nicht wahr und eine abgekartete Sache; der Ring und der Trauschein seien nicht echt, und wenn sie es wären, habe das Weib sie offenbar gestohlen. Uebrigens habe er seinen Sohn längst enterbt und verstoßen, und wenn derselbe heute wiederkäme, würde er nichts von ihm zu fordern haben; um so weniger also könne eine angebliche Tochter von ihm etwas beanspruchen.

„'Ich habe selber nichts,' hat er geschrieen,“ erzählte der Pechler; „'ich bin selber ein armer Mann und bin's durch Niemand anderes geworden, als meinen ungerathenen Sohn. Macht, daß Ihr weiter kommt, oder ich lasse den großen Hofhund los.' – Ich glaube,“ schloß der Erzähler, „wenn ich nicht gutwillig gegangen wäre, er hätte wirklich Ernst gemacht und mich durch den Hund hinaushetzen lassen. – Nimm Dir's nicht zu Herzen!“ fuhr er fort, als er gewahrte, daß Nannei, wider Willen von dem Berichte ergriffen, sich eine Thräne abwischte; „wir wollen's ihm schon zeigen, dem Baron. Ich hab' schon mit Einem gesprochen, der was von der Juri versteht; der hat mir gesagt, wie wir's anfangen müssen, daß er doch zu Kreuz kriechen muß. Es wird doch schon noch Alles recht werden.“

„Das wird's, Vater – ganz gewiß wird noch Alles recht werden,“ sagte Nannei, indem sie die Hand des Alten faßte und herzlich drückte. „Ich brauch' keinen andern Vater und will keinen andern, als Dich. Von mir aus sollen die vornehmen Leut' dort thun, was sie wollen; ich will nichts von ihnen.“

„Aber was soll denn mit Dir werden?“ fragte der Alte. „Du wärst doch versorgt gewesen, und so mußt Du Dein Lebtag ein armseliger Dienstbot' bleiben.“

„Wenn's mir so bestimmt ist, muß ich 's auch annehmen,“ entgegnete Nannei, „es ist besser so. Ich hab' mir's wohl überlegt und hab' am Grabe mit meiner Mutter Zwiesprach gehalten – auf dem Land' bin ich geboren; auf dem Land' bei den Bauern bin ich aufgewachsen – ich thät' doch nicht hineintaugen unter die vornehmen Leut'. Eine Bäuerin bin ich gewesen; eine Bäuerin will ich bleiben; es wird auch noch einen Ort für mich geben, wo ich ein Heimath'l finde.“

„Eine Heimath wär' nicht schwer zu finden,“ sagte Lenz, der, von Beiden unbemerkt, hinzugetreten war und Alles mit angehört hatte! „Wie wär's, Nannei, wenn Du wieder auf den Kogelhof kämst?“

„Das ist nit schön von Dir, Lenz,“ erwiderte Nannei mit gesenktem Blick, „daß Du Dein Gespött mit mir treibst. Du weißt doch, daß das nicht angeht.“

„Mach', daß Du weiter kommst!“ fuhr Kaspar unwillig in die Höhe. „Schwimmst erst einen Augenblick oben, und bist schon wieder übermütig?“

„Was hast denn, Alter?“ entgegnete Lenz. „Ich habe nichts Uebermüthiges im Sinn. Gieb mir eine Antwort, Nannei! Du wirst schon davon gehört haben, daß ein neuer Bauer auf dem Kogelhofe ist, welcher eine Bäuerin braucht. Weißt mir keine?“

Nannei erröthete: sie fühlte sich von einem leichten Beben ergriffen, aber sie schwieg.

„Schau, Nannei!“ fuhr er nähertretend fort, „jetzt darf ich reden, und jetzt will ich auch reden und will Alles sagen, was ich schon so lang' auf der Seel' gehabt habe. Ich hab' es selber nie recht gewußt, aber ich hab' Dich gern, für mein Leben gern – geh, nimm mich an und werd' mein Weib!“

Sie schwieg noch immer.

„Bin ich Dir denn zuwider?“ begann er wieder. „Du hast mir doch verziehen! Kannst es denn gar nicht in Dir finden, daß Du mir auch gut bist oder doch mir gut werden könnt'st?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Ich glaub' Dir's nit,“ sagte Lenz, „und selbst, wenn Du es sagen thät'st – ich könnt's nicht glauben, weil ich's besser weiß. – Du schau her, kennst das?“ fuhr er fort, indem er das in der Kammer gefundene Zeitungsblatt hervorzog, „das da hab' ich in Deiner Kammer gefunden – es ist der Camerad von dem Zettel, in den ein gewisses Geld eingewickelt gewesen ist, das ich an einem gewissen Tage an einem gewissen Platz in meinem Hut gefunden habe – das Geld ist also von Dir gewesen, Nannei; Du bist die Einzige gewesen, die sich um mich gekümmert hat, Du hast Dein Spargeld mit mir getheilt und Du willst mich nicht gern haben? Geh, sei nicht falsch mit Dir selber, sag's, daß Du mich auch gern hast, sag's, daß Du mein Weib, meine Bäuerin sein willst!“

Er trat näher. Wie einst breitete er die Arme gegen sie aus.

„Wenn ich jetzt wieder ein Buß'l von Dir möcht',“ sagte er, „wenn ich's auf diese Weise verlange, Nannei, wirst mir nachher auch einen Renner geben?“

Sie widerstrebt nicht, als er den Arm um ihre Hüfte schlang, sie an sich zog und küßte. In Thränen sank ihr Köpfchen ihm an die Brust.

Dem Pechler Kaspar aber war es in die Beine gefahren, sodaß er sich auf einen Hackestock niedersetzen mußte und verwundert nach alter Gewohnheit mit den Händen auf die Kniee trommelte. –

Der Herbst verging; der Winter kam und verging auch, und als im Auswärts die Schwalben wieder kamen, da wurde auf dem Kogelhofe eine Hochzeit gefeiert, wie sie selten vorkam in den Bergen. Die Einrichtungen auf dem Hofe waren getroffen, und auch die anderen Verhältnisse hatten sich inzwischen geordnet, wie es von Niemand erwartet worden war, nun aber von Allen gut geheißen wurde.

Nannei hatte die Zeit doch im Hause des Barons zugebracht; denn seine dicke bürgerliche Ehehälfte war durchaus nicht mit ihm einverstanden, als sie erfuhr, wie er sich gegen die neugefundene Enkelin benommen hatte, und setzte es durch, daß Nannei in's Haus des Großvaters komme. Die Triebfeder ihres ganzen Wesens war die Eitelkeit – aus Eitelkeit, um des Titels willen hatte sie den dürftigen Baron geheirathet; aus Eitelkeit zeigte sie sich gegen Nannei freundlich und großmüthig: war sie doch gewiß, daß auf dreißig Stunden im Umkreis nur von ihr geredet und ihre Güte gepriesen wurde. War sie auch mehr als sparsam, so war ihr doch bei solcher Veranlassung auch eine ansehnliche Ausgabe nicht zu theuer. Sie verstand, den Widerstand des ohnehin eingeschüchterten Barons gründlich zu brechen – um so leichter, als die Furcht, wie seine strenge Gebieterin die Enkelgeschichte aufnehmen werde, die Haupttriebfeder seiner Ungeberbigkeit gewesen war.

„Ein Heirathsgut,“ hatte die einstige Bräuerswittwe gesagt, „kannst Du dem Mädel nicht geben, weil Du selber nichts hast,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_115.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)