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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 8.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Der Weg zum Herzen.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


Das Datum, auf welches sich das nachdenkliche dunkle Auge der Baronin richtete, griff über drei Jahre zurück. So lange war es, daß dieses Bild hier seinen Platz gefunden. Die Züge eines Bildes konnte die Zeit bleichen und entstellen, nicht aber die Gefühle eines Herzens; waren es nicht heute noch dieselben? Erwachten sie nicht mit voller Gewalt, einstimmend in dieses flammende Gelöbniß grausam geknickter Liebe, Wort für Wort?

„Den 17. November.

O, wißt Ihr denn nicht, daß ich zu leben aufhören muß, wenn Ihr mir das Athmen verwehrt? Du bist mein Odem, meine Lebenslust – Dich soll ich nicht mehr sehen, mit Dir nicht mehr sprechen, Deine Hand nicht mehr drücken, mein Geliebter! In Todesnacht unterzutauchen, wäre Seligkeit, und nur um Dir, harter Vater, die Gewissenslast nicht aufzuladen, Dein eigenes Kind in's Verderben getrieben zu haben, lösche ich das Licht meines Lebens nicht aus.

So ist es denn wahr, daß Alles hier auf Erden nur durch den elenden Mammon regiert wird! O, wie er die Herzen der Menschen verhärtet und ihre Gedanken erniedrigt! Weil Gustav nur ein armer Oberlieutenant ist, darf ich nicht sein werden; als ob wir nicht reich genug wären! Aber es ist nicht der Reichthum allein, der uns scheidet. Ich sehe klar genug. Schwägerin Hilma hat ihre langen, hageren Finger in der Sache. Gustav Steinweg und weiter nichts, kein Graf, kein Baron, nicht einmal ein simples 'von' – das wäre ja eine furchtbare Mesalliance für ein Fräulein von Mildner. Der 'uralte' Stammbaum unserer Ritterfamilie würde bis in die Wurzeln erzittern, und da dieselben erst von gestern sind, könnten sie in ihrer kindlichen Zartheit durch diese Mißheirath zerrissen werden. Man muß wackelige Stämmchen in Stöcke binden, damit sie festwachsen. Bruder Heinrich ist schon fest an den seinen geschnürt: er ist Gatte eines Fräuleins aus altem Geschlechte; wie dürfte er da die Schwester wieder in die kaum verlassenen bürgerlichen Schichten hinabsteigen lassen! Und wenn Heinrich in seiner gutmüthigen Schwäche Alles hingehen ließe, so müßte doch Frau Hilma in zärtlicher Fürsorge für die Zukunft ihrer theuren Schwägerin ihre Spinnennetze ziehen. Wäre es von ihr abgehangen, ich glaube, sie hätte mich trotz meiner achtzehn Jahre zu Lora zurück in's Pensionat geschickt.

'Aus den Augen, aus dem Sinne', soll es auch hier heißen! Werd' ich ihn nicht, wo ich auch sei, täglich morgens beim Klange der Trompeten unter meinem Fenster vorüber courbettiren sehen, den kühnsten Reiter der ganzen Escadron, den schmucksten Cavalier unter seinen Cameraden, obschon er keine Krone auf dem Siegelringe trägt, der seine weiße Hand schmückt? Wart Ihr denn blind, so oft er zu Euch in's Haus kam, daß Euch seine Eleganz, seine Gewandtheit, sein liebenswürdiges Wesen nicht auffielen? Giebt es einen bessern Tänzer im ganzen Regimente? Und wie geistreich und ritterlich ist er, wenn er von seinen Stationen und Garnisonen oder von seinen Jugendstreichen erzählt! Nur Richard schwärmt für ihn und ist, seit ihn Papa als Cadet zum Regiment gegeben, sein unzertrennlicher Freund. Dafür liebe ich diesen Bruder auch doppelt, der überhaupt viel schöner, stolzer und edler ist als Heinrich; und dennoch – welch ein Abstand wieder zwischen ihm und Gustav!

O Du Herrlicher, Unerreichbarer!

Nur eins verstehe ich nicht, daß Du so gelassen die Beleidigung hinnehmen konntest, die man Dir geboten hat. Ich habe es wohl gesehen, welchen Zwang Du Dir anthun mußtest, um Deine Ruhe zu bewahren, als Du gestern Papa verließest, den Du um meine Hand gebeten, und ich mußte es bewundern, wie leicht Du durch den Hof dahinschrittest und lächelnd Dein reizendes Schnurrbärtchen kräuseltest, bevor Du in Deiner ritterlichen Weise zu meinem Fenster hinaufgrüßtest. Aber daß Du hinter diesem Lächeln der Selbstbeherrschung, um das ich Dich beneiden möchte, keinen kühnen Plan verbargst, der uns Beide erlöst hätte, das kann ich immer noch nicht begreifen.

Ich habe geglaubt, es müßte ein Zeichen von Dir kommen, ein Brief, eine Andeutung, ein Ruf. Ich wäre ja bereit, Dir überall hin zu folgen, wenn Du mich auf Dein Pferd erheben wolltest und mich mit Dir nehmen, hinaus in die Welt; Du aber sahst wahrscheinlich in mir nur das heitere Kind und ahntest nicht die starke Seele, die in mir wohnt und die der Deinen mit entfalteten Schwingen entgegenflog. Ich küsse Dein Bild; ich lege es hier herein. Zu ihm will ich flüchten in den thränenvollen Nächten, wo ich unbewacht bin; an Dich will ich hier schreiben Tag für Tag, so lange meine Hand die Feder noch zu halten vermag. O, ich fühle es, nicht lange wird es mehr währen! So lange nur noch möge mich Gott am Leben erhalten, daß ich höre, wie Du glücklich geworden. Ich wünsche es Dir so sehr, Geliebter!

Aber vor meinen Augen steht noch ein anderes Bild, und ich vermag es nicht zu bannen.

Ich sehe ein Schlachtfeld; der Sieg ist unser, aber der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_121.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)