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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

und unmöglichen Tugenden ausstaffirt zu werden. Es war auch keines jener Brillantfeuerwerke, wo wir nach all dem Rauch und Geprassel schließlich doch nicht viel besser dastehen als die leeren Raketenstöcke, sondern ein einfaches Lob der Frau in ihrem segensreichen Wirken in Haus und Welt, vor Allem, wo sie ihrer schönen Aufgabe gerecht werde, dem Manne treulich zur Seite zu stehen, ihn zu fördern und zu unterstützen und ihm stets ein friedliches Heim zu bieten, in welchem er ausruhen und sein Gemüth erfrischen könne, das sonst verdorren müßte im Wüstenbrande des Welttreibens.

Es ist wahr, das sind keine neuen Gedanken; jetzt, wo ich sie niederschreibe, weiß ich, daß ich sie schon oft gelesen; aber freilich stehen mir auch die Worte nicht mehr zu Gebote, welche er dafür gebrauchte. Und wie sie ihm so von den Lippen flossen, da war es gar nicht, als ob er eine einstudirte oder auch nur improvisirte Rede hielte, sondern es kam wie ein Strom tiefen Gefühls, der Erinnerung entsprungen; es glich der Schilderung eines Bildes, das, in's Leben zurückgerufen, klar vor seinem feuchten Auge stand. Ja, ich habe die Thräne deutlich gesehen, da er zum Schlusse mit mir als seiner Nachbarin zuerst anstieß.

Der Arme! Es ist kaum anderthalb Jahr, daß er seine Frau verlor. Er scheint ihr ein treues Andenken bewahrt zu haben. Und dennoch erwähnte er ihrer über Tisch nicht ein einziges Mal gegen mich. Erst nachher sagte mir Papa, daß er vor drei Jahren seine Cousine geheiratet habe. Er selbst erzählte mir nur von seinem kleinen Mädchen, von Riefling, und dann von Italien, wo er ja auch gewesen ist, da er ursprünglich für die diplomatische Carrière bestimmt war, aus der ihn erst der plötzliche Tod seines Vaters riß. Nach Hilma's Andeutungen war er zur Uebernahme des Gutes gezwungen, wenn er es noch retten wollte, da der alte Baron Lomeda ein großer Lebemann gewesen und ganz zerrüttete Vermögenszustände hinterlassen; das werden wohl auch die Verhältnisse sein, die ihn verhindern, ein Mandat anzunehmen.

Er will einige landwirthschaftliche Einrichtungen von Papa übernehmen und sagte mir, daß er in nächster Zeit wiederholt nach Sternberg herüberkommen werde, worauf ich ihm in aller Aufrichtigkeit versicherte, daß mich das sehr freuen würde. Ich muß das ein bischen lebhaft gesagt haben; denn er blickte mich darauf so überrascht an, daß ich ganz verlegen wurde. Ich muß dunkelroth geworden sein, wie das einfältigste Gänschen; was wird er von mir gedacht haben!

Wir haben ein Gefühl gemein: den Schmerz. Er wie ich, wir trauern Beide um unsere Todten.“

Lange sah die Lesende auf den letzten Satz hin. Eine leise Röthe trat in ihre feinen Züge, die dabei eine eigene Durchsichtigkeit gewannen.

„19. Mai.

So ist es denn da,“ las sie weiter, nachdem sie einige Blätter umgewendet hatte, „wirklich und wahrhaftig da, das Unerhörte, Widerwärtige, nun ist es nicht mehr möglich, vor ihm die Augen zuzuthun, in der Hoffnung, daß es vielleicht doch noch vorübergehen würde, wie die drohende Wolke ohne Gewitter. Es ist niedergegangen, die Erklärung erfolgt, und sie wird nicht mehr zurückgenommen werden. Ich habe es an dem entschlossenen Ausdruck und den Falten auf der Stirn gesehen, als ich Papa mit gerungenen Händen beschwor, uns nicht die Schmach anzuthun, die er uns verkündete.

Kann ich ihn denn noch Vater nennen? Mir ist, als erstarrte mir das Wort auf der Zunge.

Mutter soll ich diese Heuchlerin nennen, die sich in das thörichte Herz eines alternden Mannes listig einzuschmeicheln wußte? Diese ehemalige Dienerin meiner lieben guten Mutter soll jetzt deren Stelle einnehmen, ihren Titel führen, ihre Rechte auf unsere Liebe und Achtung erben? Nimmermehr! nimmermehr! Für mich kann sie nie etwas anderes sein, als die ehrgeizige, ihre Ränke spinnende Wirthschafterin. Ich kann an ihr vorüber gehen, als ob sie nicht vorhanden wäre, ihr aber Gehorsam, Neigung, Ehrerbietung zollen, all das, was auch von einer Stieftochter gefordert wird – niemals!

'O Mutter, warum hast Du Deine Kinder verlassen? Unter diesem Dache ist kein Raum mehr für mich; thu' Dein stilles Grab auf und nimm mich auf in Deine Arme!'“

Der nächste Tag gab schon ein neues Stimmungsbild:

„20. Mai.

Ich muß wohl sehr verwirrt ausgesehen haben, als ich gestern an der Straße saß. Das Weh, der Zorn, die Verzweiflung hatten mich hinausgetrieben, und ich habe, während ich in die sinkende Sonne sah, wohl davon geträumt, wie es wäre, wenn ich so fort ginge auf der Straße, immer weiter und weiter ohne umzukehren, bis an das Ende der Welt. Sicherlich stand mir das auf der Stirn geschrieben, oder das ernste milde Auge Baron Lomeda's weiß tiefer in die Seele zu blicken als jedes andere, daß er, nachdem er den Wagen hatte halten lassen, sich so ohne Weiteres zu mir auf den Grabenrand setzte und mir weich und herzlich zuzureden begann, ich möge doch nicht so traurig sein.

Ja, es ist etwas in ihm, das zu mir spricht, wie die Stimme eines lieben treuen Bruders, nur daß ich Lomeda nicht mit meinen beiden Brüdern vergleichen will. Weder Heinrich noch Richard haben diesen Ton je gefunden. Es ist ein Geschwistergefühl, wie ich es leider nur aus Schilderungen Anderer kenne, die glücklicher sind als ich.

Hab' ich ihm das gesagt? Es mußte so sein, ich war ja meiner Worte und Gedanken kaum mächtig, während mir die Thränen von Neuem aus den Augen strömten, und sicherlich hätte er sonst nie gewagt, den Arm um mich zu schlingen und meinen Kopf an seine Schulter zu legen, wie man es allenfalls mit einem Kinde thut.

'Armes Kind!' sagte er und forderte mich auf, mich von dem feuchten Grase zu erheben und nach dem Schlosse zurückzukehren.

'Ach,' erwiderte ich, 'ich möchte, daß ich nie mehr heimzukehren brauchte – ich habe nun ja doch keine Heimath mehr.'

Er drückte meine Hand und sagte nach einer kleinen Pause mit seltsam zitternder Stimme, die mir das Herz fast stocken machte:

'Ich möchte Ihnen eine neue anbieten, Fräulein Lisa, wenn ich hoffen dürfte, daß Sie sich in derselben glücklicher fühlen werden.'

Ich war so erschrocken, daß ich keine Antwort fand, und er schien auch auf keine gewartet zu haben, sodaß wir eine ganze Weile still neben einander hergingen. Die Frage hatte ich wohl verstanden, aber sie war mir, was auch Hilma voll hämischer Anzüglichkeit hatte fallen lassen, so unerwartet gekommen, daß ich mich nicht zu fassen vermochte. Du, Buch meines Vertrauens, weißt ja, daß ich auch nicht mit einem einzigen Gedanken je die Möglichkeit erwog, in Lomeda einen Freier zu sehen. Glaubt sie, ich könne so rasch den Aschenkrug vergessen, in dem ich meine Liebe bestattet? Es giebt Naturen, die nur einmal sich diesem Himmelsfunken erschließen. Könnte er jemals erlöschen, zerfiele auch das Herz in Staub.

Nein, ich liebe ihn nicht, und ohne Liebe eine Ehe einzugehen, habe ich bis heute für eine Unmöglichkeit gehalten.

Zum Glück – nun ja, es mag stehen bleiben, da ich es schon einmal geschrieben habe – ich hoffe wenigstens: 'zum Glück' kam er dem schon in mir heraufschwellenden Worte zuvor. Er hatte eine Brieftasche hervorgezogen und nahm aus derselben eine Photographie, die er mir reichte.

'Sie lieben ja Kinder,' sagte er dabei, 'könnten Sie meinem Gretchen eine liebevolle Mutter sein?'

Es war ein herziges Kindergesicht, das mich wunderlich mit den erstaunten großen Augen unter den kurzen krausen Löckchen hervor anzusehen schien. War es doch, als lächle es – und indem ich es jetzt ansehe, ist es mir wieder, als lächle es und wolle ein süßes Wort lallen. Ja, ja, Du liebes, liebes kleines Wesen, Dich muß man küssen!

Es war ein so plötzliches stürmisches Empfinden über mich gekommen; es mag Mitleid, Erregung gewesen sein, vielleicht auch ein rein physischer Nervenreiz; die Thränen waren ja nur künstlich gestaut; ich drückte das Bildchen an die Lippen; dann war ich beschämt über die Auslegung, die man solcher Zärtlichkeit geben konnte, und wollte etwas zur Entschuldigung stammeln, aber ich kam nicht über 'den holden Engel' hinaus; ich brach auf's Neue und so heftig in Weinen aus, daß er mich wohl für eine hysterische Närrin gehalten haben muß.

Und ich fand nicht einmal Zeit, mich zu beruhigen und eine Erklärung meines ungereimten Verhaltens zu geben; denn Papa, der den vorausgefahrenen Kutscher im Hofe gesehen hatte, war uns entgegengekommen, und da ich mich vor ihm nicht so zeigen wollte, schlüpfte ich davon.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_123.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)