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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


von Mesmer und seinen zahlreichen Schülern bei von Magnetiseuren behandelten Personen noch eine Menge anderer Erscheinungen beobachtet worden, die durch ihre Fremdartigkeit und den Reiz des Mystischen, der ihnen anhaftete, die allgemeine Aufmerksamkeit erregten.

Es wurden geeignete Leute, besonders zu hysterischen Zufällen geneigte Mädchen und Frauen, mit ausgespreizten Händen derart gestrichen, daß die Streichbewegungen vom Kopfe anfingen und am Körper herabgingen, wobei nur eine leise oder gar keine Berührung stattfand. Gewöhnlich versanken die derart Behandelten nach Ablauf weniger Minuten in einen mehr oder minder tiefen Schlaf. Bei Einzelnen trat nach einiger Zeit noch ein eigenthümlicher traumartiger Zustand (Somnambulismus) ein, in welchem dieselben auf Fragen, die man an sie richtete, oft unerwartet treffende Antworten gaben; von Vielen wurde sogar behauptet, sie wären in diesem Zustande hellsehend gewesen, hätten also über Vorgänge, die sich in großer räumlicher Entfernung vollzogen hätten, Auskunft gegeben; es wäre ihnen möglich gewesen, zukünftige Dinge vorauszusehen, vor ihrer Zeit geschehener Dinge sich zu erinnern u. dergl. m.

Lange stritt man darüber, ob man es in solchen Fällen mit abgefeimten Betrügern oder mit Selbsttäuschung zu thun habe, oder ob wirklich etwas Wahres an den Berichten sei. Mehrmals gelang es thatsächlich, Betrügereien bei derartigen Erscheinungen nachzuweisen, in den meisten anderen Fällen ergaben Beobachtungen, welche vorurtheilsfreie Naturforscher und erfahrene Aerzte an solche in magnetischem Hochschlaf befindlichen Somnambulen anstellten, nichts Geheimnißvolles und Unerklärliches, was nicht auch sonst im Krankenzimmer bei Nervenleidenden wahrgenommen werden könnte. Allmählich verlor das ganze Gebiet in wissenschaftlichen Kreisen derart allen Credit, daß man glaubte, gegen die Wohlanständigkeit zu verstoßen, wenn man das heikle Feld berührte, und viele wissenschaftliche Genossenschaften verbannten sogar diesen Gegenstand durch besondere Beschlüsse aus ihren Discussionen, so z. B. die Pariser Akademie der Wissenschaften im Jahre 1830.

Gleichwohl gab es zu allen Zeiten gute Beobachter und wahrheitsliebende Gelehrte, welche für die Thatsächlichkeit der wunderbarsten Erscheinungen dieser Art eintraten. Noch heute finden sich in jeder größere Stadt eine Anzahl Leute, welche durch Streichen mit den Fingerspitzen Kranke curiren zu können meinen, und sehr viele „Gartenlauben“-Leser dürften von überraschenden Curerfolgen solcher Magnetiseure seitens durchaus glaubwürdig erscheinender Freunde und Bekannter berichten gehört haben.

Gerade das Geheimnißvolle, welches diesem Gebiete anhaftet, übt einen besonderen Reiz auf fast alle Kreise der menschlichen Gesellschaft. Jener wunderbare Zug nach dem Uebernatürlichen, welcher sonst im religiösen Glauben seine Befriedigung findet, sucht, wenn dieser Glaube durch eine materialistische Zeitstimmung erschüttert, oder wenn durch eine zelotische, buchstabengläubige Orthodoxie ein Widerwille gegen die Lehren und Formen der Kirche erzeugt worden ist, meist unbewußt auf anderen Gebieten die ersehnte Beruhigung.

Immer und immer wieder haben daher bis auf unsere Tage die Anhänger der Lehre Mesmer's Gläubige gefunden, und auch heute wird es noch Viele geben, die sich Angesichts der überraschenden Resultate, welche die Magnetiseure häufig erzielen, nicht von der Irrigkeit ihrer Meinung überzeugen lassen werden, auch wenn Gegenversuche unzweifelhaft beweisen, daß es sich bei allen sicher constatirten und oft wiederholten Experimenten mit dem sogenannten thierischen Magnetismus thatsächlich nicht um eine besondere, von Person zu Person wirkende Kraft, sondern lediglich um einen eigenthümlichen Zustand des Nervensystems solcher Personen handelt, mit welchen derartige Versuche vorgenommen werden können.

Doch will ich zunächst diese Versuche beschreiben, deren Zustandekommen man einer Wirkung des thierischen Magnetismus zuschreibt, und zwar werde ich vorzugsweise von Experimenten und Beobachtungen berichten, die ich selbst angestellt habe.

Den Anlaß zu diesen Untersuchungen, an welchen mehrere Naturforscher und Aerzte unserer Stadt (Chemnitz in Sachsen) theilnahmen, gab das Auftreten des dänischen Magnetiseurs Hansen. Bald überzeugten wir uns Alle, daß man es in den eigenthümlichen Productionen dieses Mannes keineswegs mit absichtlichen Täuschungen oder mit Selbsttäuschungen der den Versuchen Unterworfenen zu thun habe, vielmehr gelang es nach einigen Bemühungen nicht nur, die nämlichen Experimente, welche Hansen in seinen öffentlichen Vorstellungen anstellte, zu wiederholen[WS 1], sondern auch die Versuche beliebig abzuändern und die Ursache der zum Theil sehr überraschenden Erscheinungen zu erkennen.

Um festzustellen, ob eine Person sich zu solchen Experimenten eignet, läßt man sie eine Zeit lang ein helles Licht von geringer Ausdehnung, meist einen hellbeleuchteten kleinen geschliffenen weißen Stein in mattschwarzer Fassung, in einem sonst wenig hellen Raume fest ansehen, so zwar, daß sie regungslos zu verharren und alle Aufmerksamkeit nur darauf zu richten hat, daß ihre Augen von diesem hellerleuchteten Punkte nicht abweichen, während alle anderen Gedanken thunlichst zu unterdrücken sind.

Der eigenthümliche Zustand, um den es sich handelt, tritt hierauf bei manchen Menschen schon nach einigen Secunden, bei anderen erst nach längerer Dauer ein. Ist die angewendete Lichtquelle nicht zu grell gewesen und gehört die behandelte Person nicht gerade zu den im höchsten Grade Empfindlichen, so ist zunächst nichts Besonderes an dem Betreffenden wahrzunehmen. Die Pupille ist jedoch meist etwas weiter als sonst geöffnet, ein Gefühl der Schläfrigkeit und Mattigkeit macht sich bemerklich.

Läßt man nunmehr die Augen schließen, überstreicht dann mit einer gewissen Feierlichkeit, die in dem Betreffenden die Ueberzeugung hervorruft, es geschehe etwas Außerordentliches mit ihm, dieselben einige Male mit den Fingerspitzen und sagt in bestimmtester, überzeugendster Weise, es sei nicht möglich, dieselben zu öffnen, so sind Empfindliche in der That, trotz der größten Muskelanstrengung, nicht fähig, die Augen zu öffnen; die Lider sind wie zusammengeklebt.

Hochgradig Empfindliche verlieren schon bei dieser ersten Operation, oft schon durch scharfes Ansehen des Experimentators, vollkommen das Bewußtsein und geraten in einen eigenthümlich traumartigen Zustand; andere verfallen sogar in einen tiefen, ohnmachtartigen Schlaf, in welchem sie vollkommen starr und steif sind. Die Glieder behalten zwar ihre ursprüngliche Geschmeidigkeit, verharren aber in dieser Starrsucht in jeder noch so gezwungenen Stellung, die ein Mensch im bewußten Zustande kaum anzunehmen im Stande wäre.

Plötzliches Anblasen, Anwedeln mit einem Tuche, ein rascher, lauter Ausruf: „Wach auf!“ genügt, um die Möglichkeit, die Augen zu öffnen, wieder zu geben. Bei Solchen, welche schon beim erstmaligen Augenschließen bewußtlos oder starrsüchtig geworden sind, ist meist längeres Zuwedeln kalter Luft oder gar das Benetzen der Stirn und des Nackens mit kaltem Wasser nöthig, um ein Erwachen und die vollständige Rückkehr eines normalen körperlichen und geistigen Zustandes herbeizuführen.

Bei sehr Vielen gelingt nichts weiter, als das Schließen der Augen. Bei Manchen jedoch kann man durch Nachahmung des magnetischen Streichens auch andere Muskelpartien: die Kaumuskeln, den Arm, die Hand, ein Bein, beide Beine, einzelne Finger, den ganzen Körper starr machen, ohne den Betreffenden wirklich das Bewußtsein zu rauben. Derartige Versuche gelingen jeder Zeit dann, wenn man die geeignete Person, welche dem Versuche unterworfen wird, die Augen offen halten läßt – denn sonst schwindet leicht das Bewußtsein – und ihr in bestimmtester Weise nach Vornahme der betreffenden Operation erklärt: „Jetzt geht die geballte Faust nicht auf,“ oder: „Der Finger ist vollständig steif“ u. dergl. m.

Bei vielen von Hansen und auch von uns untersuchten empfindlichen Leuten trat nach kurzer Zeit in den behandelten Gliedern ein heftiger, auch äußerlich sichtbarer Starrkrampf ein; dies ist der beste Beweis dafür, daß es sich bei diesen Experimenten nicht etwa blos um Selbsttäuschungen der Objecte über die Fähigkeit handelt, die Glieder willkürlich bewegen zu können.

Ist eine Person einmal so weit zu solchen Versuchen geeignet, so gelingt es fast immer, mit derselben weiter noch frappantere Resultate zu erzielen. Man kann nämlich dieselbe vollkommen steif machen, sei es im bewußten Zustande, also vorzugsweise bei geöffneten Augen, sei es im Zustande der Bewußtlosigkeit. Hansen legt z. B. solche Leute, die er völlig starr gemacht, mit dem Kopfe und mit den Füßen auf zwei Stühle (Fig. 2), sodaß der ganze Körper frei in der Luft schwebt, und setzt oder

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: widerholen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_128.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)