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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 9.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Der Weg zum Herzen.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


Mit den skeptischen Schlußworten, denen nichts weiter folgte, stand auch das Bild, dem sie gewissermaßen als Unterschrift gedient, wieder lebendig vor der Seele der Baronin: ihr eigenes Bild, wie sie am Abend ihres Hochzeitstages mit gebanntem Fuße auf der Schwelle zu ihres Gatten Zimmer gestanden.

Dem rauschenden Festmahle vor Schluß entflohen, waren sie Seite an Seite der Heimath zugefahren, die er ihr damals im Frühling am Straßenrain angeboten, und mit einem herzlichen Kusse, so warm, wie sie noch keinen gefühlt, hatte er sie auf der Vortreppe, nachdem er sie mit kräftigem Arme aus dem Wagen und an seine Brust gehoben, willkommen geheißen.

Dem Wittwer stand ein großartiger Empfang nicht an; ohne Ansprache, ohne Böllerschüsse, ohne feierliche Vorstellung der Dienerschaft führte er sie ein durch die nur schlicht mit Epheu verzierte Pforte in das kleine Haus, in dem sie von nun an herrschen sollte, in ihre Gemächer, von denen sie über den Garten hinweg nach den blauen Bergen sah. Sie aber hatte alledem nur ein flüchtiges Auge geschenkt und sich darnach gesehnt, ihr Mutteramt anzutreten. Die Kleine auf dem Arme, war sie bald wieder die Treppe hinabgeeilt; mit seinem Kinde, frischrosig, wie es aus dem Schlafe erwacht, wollte sie den Vater überraschen und schlich sich sachte durch den Speisesaal und das anstoßende Bücherzimmer; kannte sie doch das ganze Haus nach seiner Zeichnung und Beschreibung längst so genau, daß sie sich darin heimisch fühlte, als hätte sie immer da gelebt.

Und jetzt stand sie an der Portière, das liebliche Krausköpfchen zärtlich an ihre rosig erglühende Wange gedrückt, damit kein Laut von des Kindes Lippen den geglückten Ueberfall vorzeitig verrathe. Der Ton einer ihr fremden Frauenstimme hatte sie stutzen gemacht. Die alternde Dame, welche sie durch den nur lose zugezogenen Vorhang deutlich sehen konnte, war wohl die Mutter von Witold's erster Frau, und das große Bild dort über dem Schreibtische, dessen Züge sich auf diese Entfernung und bei dem dämmerigen Abendlichte nicht mehr genau unterscheiden ließen, stellte ohne Zweifel diese Letztere selbst vor.

„O, daß sie Dein Haus nicht weiter beschützen konnte!“ sagte die Dame mit einem Seufzer zu dem Bilde hinaus, und auch Witold sah auf dasselbe hin.

„Sie war sein guter Engel, und ich werde sie nie vergessen,“ sagte er, fügte aber fast unmittelbar hinzu: „Nun aber, Mama, thu mir die Liebe und begrüße Lisa!“

„Es wird mir schwer fallen. Aber freilich, Du konntest nicht anders. Die Mitgift kommt Deinem Besitzthume zugute, dem Erbe Deines Kindes. Ohne diese Hülfe hättest Du nie vermocht, die politische Laufbahn einzuschlagen. Du hast ihr eben dafür Rang, Namen und Stellung gegeben. Es war ein Tausch.“

„Ein ungleicher, Mama. Es wäre besser gewesen, ich hätte ihr mein Herz gegeben.“

Er brach ab; denn er glaubte einen Laut wie Kindeslallen, ein leises Geräusch wie das Knittern eines Frauenkleides zu vernehmen; als sie nachsahen, war nichts zu finden, was die Störung hätte erklären können.

Steif und eisig kalt war darauf oben im Salon die Begegnung der beiden Frauen vor sich gegangen, die wegen vorgeschützter Kränklichkeit der Gräfin bis zu diesem Augenblicke verschoben worden war. Der Besuch hatte nur Minuten gewährt, und als unmittelbar darauf der Gatte bei seiner jungen Frau erschien, sie vor dem Thee noch zu einem kurzen Spaziergang durch den Park aufzufordern, erklärte sie sich zu müde dafür und sprach den Wunsch aus, allein zu bleiben.

„Zuvor jedoch wollen wir uns noch in Kürze klar zu einander stellen,“ sagte sie, und wies Witold, wie einem fremden Besucher, einen Platz gegenüber dem Sopha an, in dem sie selber saß. Ein böser Zauber schien sie in der kurzen Frist, seit sie sein war, vollkommen verwandelt zu haben. Dem kalten, apathisch klingenden Ton ihrer Stimme widersprachen die brennenden Flecke auf ihren Wangen unter den halbgeschlossenen Augen, die ihn für ihre Gesundheit erbangen machten; dennoch konnte er sich nur an ihre Aeußerungen halten.

„Mir scheint es nothwendig,“ begann sie nachdrücklich, „daß wir einander verstehen, damit keines von uns beiden späterhin Ursache habe, sich zu beklagen, daß unser gemeinsames Haus von allem Anfang an auf einer falschen Basis aufgebaut worden. Ich entbinde Dich meinerseits allen Zwanges, den Du Dir mir gegenüber vielleicht aufzuerlegen willens warst. Ich wüßte ihn nicht zu würdigen und Dich müßte er mit der Zeit bedrücken. Wir wollen uns als Compagnons betrachten, mit gleichwerthigen Einlagen, die sich ohne Zank in den Ertrag theilen, im Uebrigen aber sich so wenig wie möglich Störung verursachen. Es bedarf keiner Betheuerung der Freundschaft, wie sich jeder Zwiespalt von selber ausschließt. Wenn ich mich kaufmännischer Ausdrücke bediene, so geschieht das, weil sie die nöthige Klarheit geben und das Verhältniß, in das wir zu einander getreten sind, ja

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_137.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)