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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


eigentlich nichts weiter ist als ein – geschäftliches. Dir ist die politische Laufbahn eröffnet; ich habe dafür Rang, Namen und Stellung empfangen. Ich weiß es wohl, es war eben – ein Tausch.“

Sie hatte sich nicht enthalten können, mit scharfem ironischem Hervorheben dieselben Worte zu gebrauchen, die sie vor Kurzem erst mit angehört und die noch immer in ihrem Innern nachklangen.

Sie trafen auch ihn, denn daß sie nur seine eigenen Worte wiederhole, wollte ihm nicht zu Kopfe. Sprachlos, mit wachsender Bestürzung hatte er ihr zugehört. Er traute seinen Ohren nicht, und unenträthselbar erschien ihm, was vorgegangen und diese häßliche Veränderung hervorgebracht. Bei ihren letzten Worten aber war er aufgesprungen und hatte ihre Hand erfaßt, die Hand seiner Braut, des hülflosen armen Kindes, das vor wenigen Monaten noch weinend an seiner Schulter gelehnt. Halb zürnend, halb beschwörend wollte er sie umfassen.

„Aber Lisa,“ rief er, „so darf man nicht scherzen. Sprichst Du in Phantasien? Besinne Dich, komm zu Dir! Was hast Du?“

Vor dem eisigen Blick der sich steif und zurückweisend Aufrichtenden erstarrte jede Vertraulichkeit.

„Ich bin vollkommen bei Besinnung, Herr Baron. Es bleibt so.“

Und es war so geblieben von dem Moment an, Wochen, Monate, Jahre hindurch.

Fremd und kalt waren sie neben einander hergegangen, jedes seine eigenen Pläne und Ziele verfolgend, nur äußerlich mit einander verbunden, eine „durchaus glückliche Menage“ in den Augen der Menschen, indeß sie sich innerlich immer kälter und in ausgeprägter Gleichgültigkeit von einander abwandten.

Es war ein Tausch. Gut oder schlecht – er war geschlossen, und man mußte sich hineinfinden.

O nein, sie war auch diesmal nicht gestorben; sie hatte sich kein Leid angethan, und selbst ihre Gesundheit that ihr nicht, wie bei dem ersten Verlust, den Gefallen, in's Schwanken zu gerathen. Doch diesmal sperrte sie sich auch nicht ab. Im Gegentheil, sie nahm das Leben, wie es war. Nicht wieder in träumerischen Ueberschwänglichkeiten hatte sie sich verloren, sich nicht mit sentimentalen Tagebuchblättern abgefunden. Das waren die Kinderjahre des „zugeklappten Märchenbuches“.

Nicht eben glücklich, wie sie gehofft – wem war das wohl beschieden? – nur eine Weltdame war sie geworden.

Und eben darum, weil die Dinge so lagen, stand es ihr ja frei, spielend zurückzublättern in dem lange vergessenen, aus einem verstaubten Fache des Schreibtisches hervorgeholten abgeblaßten Maroquinband, Briefe und auch Besuche anzunehmen von dem, der einst zu jenem Bilde da gesessen. Was für ein thörichtes Bedenken hatte sich in ihr gesträubt? Durfte da nicht ein trotzig bitteres Lächeln ihre Lippen kräuseln?

Jawohl: was lag daran? Wem lag daran?




3.

Das wüthende Gebell, mit dem Frip plötzlich von dem Polster unter dem Schreibtische, auf welchem er bisher geschlafen hatte, emporfuhr, war nicht blos die Ankündigung eines Besuches, sondern galt vielmehr einem sich nahenden Gegner, und seine Herrin hätte einzig aus dem leidenschaftlichen Gebahren des streitbaren Thierchens auf die Person des demnächst vor ihr Erscheinenden rathen können, auch wenn das Säbelklirren, die raschen Schritte auf dem Parquette des Salons nebenan und die laut nach ihr fragende Stimme ihres Bruders eine solche Schlußfolgerung nicht unentbehrlich gemacht hätten.

Von seiner bevorrechteten Stellung in diesem Hause Gebrauch machend, wartete der junge Ulanenofficier nicht auf das Ergebniß einer langweiligen Anmeldung; in gewohnter Rücksichtslosigkeit erzwang er sich ohne Weiteres den Zutritt, zugleich aber auch für seinen Begleiter. Da stand dieser nun mit einem Male und, für diesen Moment wenigstens, unerwartet vor Lisa, die, so lebhaft sie sich auch eben in dieser Minute mit ihm beschäftigt hatte, nunmehr doch überrascht von ihrem Sitze auffuhr, das Tagebuch, als hätte es zum Verräther werden können, zuschlug, und im ersten Augenblicke kein Wort der Begrüßung fand, ja sogar den Blick unruhig und befangen von seinen fest auf sie gerichteten Augen abwandte.

Glücklicher Weise half ihr der Bruder mit seinem geräuschvollen Wesen plaudernd über diese seltsame stumme Begrüßung hinweg.

„Bin ich nicht ein guter Kerl, daß ich Dir Steinweg selber daher bringe, statt mich ein wenig auf's Ohr zu legen und den versäumten Schlaf nachzuholen?“ rief er munter, indem er sich in einen tiefen Lehnstuhl warf und seinen Begleiter ungenirt zum Sitzen einlud. Mit einem geschickten Griffe hatte er Frip beim Genicke erhascht, trotz allen Sträubens zu sich heraufgezogen und gezwungen, in dieser keineswegs ruhigen Kriegsgefangenschaft auszuharren und die zweifelhaften Zärtlichkeiten des frischen Soldaten entgegenzunehmen.

„Nun,“ fuhr er zur Schwester gewendet fort, „Du sagst einem nicht einmal Dank für so viel Aufopferung? So ist es, nichts wird anerkannt. Ruhig, Frip, kaffeebrauner Köter! Auch Dir steckt der Undank im Blute, und thue ich nicht mein Möglichstes, Dich aus einem verschlammten Wohlleben aufzurütteln? Pfui, schäme Dich! Wir müssen uns trainiren. Sieh, nimm Dir ein Beispiel! Die ganze Nacht tanzen, den Kopf in's Wasser und darauf den ganzen Morgen reiten, Nachmittags Pionierdienst, Taktik, Waffenlehre, Befestigungskunst. Hast Du Respect? Man ist nicht umsonst in die Centralschule commandirt. – Ja, was hast Du eigentlich zu der Toilette der Silberbach gesagt? Brillant, was? Sie sticht Euch alle aus. Aber wie sie tanzt! Wer es zuwege bringt, ihr nicht auf die Füße zu treten, der ist ein Meister in der Zauberei. Sie schiebt sie einem eigens unter nach einem nicht kunstvollen, aber bewährten Recepte. Die kleine Seltheim – ein netter Käfer, aber ein heillos böser Schlingel – meint, sie thue es nur, um ihr Gewissen zu beruhigen und an den unglücklichen Zehen ihre vielen kleinen Sünden abzubüßen, die sie bis zum großen Versöhnungstage vergessen würde. Für den behält sie aber wohl nur die großen auf – Festungsgeschützkaliber. Wahrhaftig, ich könnte für die kleine nette Kröte schwach werden, wenn ihre Mama nicht jeder Begeisterung im Wege stände. Himmel, solch eine Schwiegermutter! Wenn sie täglich decolletirt zu Tische käme, würde ich den ganzen Appetit verlieren. Apropos, hast Du nicht ein Schnäpschen und ein Stück Pastete oder dergleichen? Schade, daß man bei Dir keine Cigarre findet! Aber Witold könnte mir aushelfen. Schläft er noch, oder vernichtet er schon wieder irgend ein Ministerium?“

Die Antwort, daß derselbe nach Sternberg geeilt sei, ging in dem Gequieke des kleinen Märtyrers beinahe verloren, den Richard zur Abwechselung einmal bei dem Stummel seines der Mode zum Opfer gefallenen Appendixes kopfunterwärts emporhob. Zu den Klagelauten wie zu dem lebhaften Einspruche seiner Schwester lachte er nur.

„Schlechte Rasse! Da solltest Du einmal meinen Pinscher sehen und mit welch stoischer Ruhe er diese Prüfung über sich ergehen läßt. – Frip, nichtswürdige Bestie, versuche Deine Zähne nicht an dem kostbaren Rehleder meiner Handschuhe! Es sind ganz neue dreiknöpfige. Du hast es verscherzt, jemals die Bekanntschaft meines Pinschers zu machen. Nur einem Gentleman wird solche Ehre zu Theil. – So, nach Sternberg? Was will er denn bei Hilma? Was glaubst Du, wer von ihnen die Hagerere ist, sie oder die alte Seltheim? Man könnte an ihnen vergleichende Anatomie betreiben. Brrr! Da laß Dir von Steinweg einmal von den Polakinnen erzählen! Das muß ein Schlag sein, den man sich gefallen lassen könnte. Halt da, Frip, nicht ausgerissen! Wir haben noch ein Wörtchen mit einander zu sprechen. Gestatten Sie, mein Herr, daß ich mich Ihrer Erziehung noch weiter annehme! Sie ist sehr vernachlässigt. – Was soll ich damit?“

„Lesen!“

Es war die Depesche, welche Lisa aus ihrer Tasche gezogen und ihm gereicht hatte, da sie sich eben erst derselben erinnerte. Indem sie die Pause benutzte, suchte sie ein Gespräch mit Rittmeister Steinweg anzuknüpfen, aber noch war sie nicht über die ersten gezwungenen Worte hinaus gekommen, als sie ein Ausruf ihres Bruders wieder unterbrach.

„Oho! was ist da los?“ fragte er.

Seine Schwester zuckte mit den Achseln; sie nahm den gequälten Flüchtling auf, der den Moment der Ueberraschung benutzt hatte, seinem Peiniger zu entrinnen, und der nun bei seiner Herrin Schutz suchte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_138.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)