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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Knüpfen des Materials zu einem Schock Platten – zu jeder Platte sind 300 bis 400 Fäden nöthig – 60 Kreuzer, verdient per Tag 20 Kreuzer. Die Fäden können nun sofort gewebt werden, was zumeist durch weibliche Personen auf einem Webstuhle geschieht, der sich von den sonst üblichen Webstühlen wesentlich unterscheidet. Der Kürze des Materials halber kann dieses nicht aufgebäumt werden, sondern wird auf einen Rahmen gespannt; längere Fäden bilden die Kette, kürzere, 70 bis 80 Centimeter lang, den Einschuß. Das Einlegen des Einschusses geschieht unter Zuhülfenahme eines Stäbchens, das an einem Ende mit einem Oehr versehen ist; mit diesem Stäbchen zieht der Webende den Faden durch die Kette, während die übrige Manipulation der beim gewöhnlichen Weben in Anwendung gebrachten entspricht; nur werden etwaige Muster durch kleine Drahtstiftchen hervorgebracht, welche sich in der Lade befinden; die Verschiebung erzeugt das Muster.

Somit ist das, worin bis vor wenigen Jahren die Sparteriewaarenerzeugung Ehrenbergs bestand, der sogenannte Holzboden, fertig; allerdings wurden auch früher schon aus diesen Holzböden Mützen und Hüte erzeugt, diese aber waren so einfach wie möglich, in der Form ohne jeden Geschmack; ihre Ausführung war nichts weniger als sauber, und da sie geleimt waren, hatte es ihr Träger bei Regenwetter, oder wenn er schwitzte, mit sehr unangenehmen Folgen zu thun, und dies brachte es mit sich, daß die Hüte und Mützen, welche per Dutzend 75 Kreuzer, respective l Gulden 20 Kreuzer kosteten, nur unter den niedersten Volksclassen Abnehmer fanden.

Daß die Regierung einer Industrie, welche etwa 2500 Menschen Beschäftigung giebt, eine gewisse Aufmerksamkeit zuwendete, ist leicht erklärlich; es wurden von maßgebenden Persönlichkeiten Berichte eingefordert; leider konnten diese der Sachlage nach nichts weniger als erfreulich lauten. Es mußte gesagt werden, die Sparterie-Industrie befinde sich, Dank der Schlaffheit der Arbeiter, welche von Verbesserungen nichts wissen wollten, noch auf ihrer ursprünglichen Stufe; das Einzige, was die Regierung thun könne, sei, daß sie Modelle schaffe und Modistinnen anstelle, welche der Bevölkerung Geschmack beibrächten, wobei aber immer noch fraglich sei, ob hieraus wirklich ein Nutzen entspringen werde, denn die Bevölkerung besitze keinen Begriff davon, welcher Werth ihrem Erzeugnisse bei richtiger Benutzung und entsprechendem Vertrieb innewohne. Weiter wiesen die Berichte auf die Aussaugung der Arbeiter durch die Händler hin; diese wird auch in einer von Dr. Kleinwächter geschriebenen, in Prag 1873 erschienenen Broschüre, welche die Holzweberei behandelt, lebhaft beklagt: während die Händler, vier in Nachbarorten ansässige Firmen, welche sich mit dem Sparteriehandel abgaben, sämmtlich wohlhabende, ja reiche Leute geworden seien, könnten die Erzeuger der Waaren selbst sich kaum die allerdringendsten Lebensbedürfnisse beschaffen.

Ein Bericht an die Regierung schildert sehr drastisch die Manipulationen, deren jene Händler sich bedienten, um die Holzweber in voller Abhängigkeit von sich zu erhalten. Den Abnehmern, welche hauptsächlich Frankreich und England stellten, wurde der eigentliche Erzeugungsort thunlichst verheimlicht, dafür Schluckenau oder Nixdorf als solcher angegeben; dabei gerirten sich die Händler ihren Abnehmern gegenüber als Fabrikanten, während sie solche nie waren. Sie gingen so weit, daß französische und englische Einkäufer vom Besuche der wirklichen Arbeiter durch die Drohung zurückgehalten wurden, man würde ihnen keine Waare mehr liefern, während man die Arbeiter mit der Erklärung vom directen Verkaufe abschreckte, man würde ihnen, wenn sie diesen versuchten, keine Platte mehr abnehmen. Und die Leute erreichten ihren Zweck, denn die Bewohner Ehrenbergs, welche sich der Sparteriewaaren-Erzeugung widmeten, waren recht brave und arbeitsame Leute, denen jedoch jede für einen rationellen Geschäftsbetrieb unbedingt nöthige Weltkenntniß mangelte. Unter solchen seit mehr als hundert Jahren herrschenden Umständen mußten die Händler allmächtig sein; sie waren nur Wenige und konnten sich unter einander leicht verständigen; dictatorisch konnten sie die Preise machen, zu denen sie kauften und zu denen sie verkauften.

Die hieraus entspringende Bedrückung der Arbeiter, durch Herabdrücken der für ihr Erzeugniß bewilligten Preise, war wesentlich mit Ursache, daß die Sparteriewaaren-Industrie so lange auf ihrer ersten Stufe stehen bleiben konnte, ja zurückging; wandten doch Viele, welche sahen, sie könnten mit der Sparterie nicht mehr das erwerben, was sie zum nothdürftigsten Lebensunterhalt brauchten, sich der eigentlichen Weberei zu. Eine weitere Ursache des Stillstandes, beziehungsweise des Rückganges der Sparteriewaaren-Erzeugung aber ist die, daß den Arbeitern das Verständniß mangelte, ihr Rohmaterial, die Holzböden, in exportfähige, fertige Waare umzuwandeln, und die Händler es für zweckentsprechender fanden, mit dem Rohmaterial zu handeln, als dasselbe zu fertiger Waare zu gestalten; so wanderten denn die Ehrenberger Holzböden nach Paris und London, wo man elegante Damen- und Herrenhüte aus ihnen fertigte, welche längst schon dort von der feinen Welt mit Vorliebe getragen werden.

Auf der ursprünglichen Stufe der Rohmaterial-Erzeugung würde Ehrenberg wohl noch lange stehen geblieben sein, wenn nicht zwei tüchtige Geschäftsleute, ein Elsässer und ein Westfale, sich dort niedergelassen und die Firma A. Rueff u. Comp. begründet hätten. Diese Leute strebten von Anbeginn ihres Geschäfts an, die lebens- und entwickelungsfähige Industrie aus die höchstmögliche Stufe zu bringen, und trotz der Schwierigkeiten, welche Concurrenzneid von einer, Willensträgheit von anderer Seite ihrem Unternehmen anfänglich bereiteten, ist es ihrer Energie und Geschäftskenntniß doch gelungen, nach wenigen Jahren schon die erfreulichsten Erfolge zu erzielen. Heute expedirt Ehrenberg nicht nur das Rohmaterial, sondern die fertige Waare, bestehend in hocheleganten Damen- und Herrenhüten und Phantasie-Artikeln aus Holzgewebe kunstvoll gefertigt. Während früher die Holzböden nach Paris gingen und dort verarbeitet und appretirt wurden, importirt heute Paris die in Ehrenberg gefertigte Waare, deren Appretur die Pariser vollkommen erreicht.

Nicht allein für die Damenwelt, welche hier wahrhaft reizende Hüte, die zu tragen auch die feinste Dame sich nicht zu schämen braucht, vorfindet, sondern für Alle, welche Sinn für die Grundlage des Volkswohlstandes, die Industrie, haben, ist eine Besichtigung des Waarenlagers der Firma und eine Vergleichung der wahrhaft überraschenden Fortschritte, welche in dieser Industrie gemacht worden sind, hochinteressant.

Da sehen wir in großer Anzahl Damenhüte in den verschiedensten und modernsten Façons, ganz aus Holz in gelungenster Durchführung gefertigt, fragen wir aber nach dem Kostenpreis dieses Erzeugnisses, so werden wir durch die kaum glaubliche Billigkeit desselben überrascht; wir finden Hüte für Herren in allen nur denkbaren Formen, vom feinen Panamahut an, der hinter dem in Paris gefertigten um nichts zurücksteht, bis zu einem backschüsselartigen zum Export nach China bestimmten Hut und bis zu den massenhaft gefertigten Einlagen, durch welche die Fez des türkischen Militärs Steifheit erhalten. Der Export der Firma umfaßt heute schon ganz Europa von Spanien bis Rußland; in Asien erstreckt er sich über den Kaukasus, Indien und China; ebenso rege sind die Verbindungen mit Nord- und Südamerika und Australien; so hat sich das fertige Erzeugniß Ehrenbergs schon nach vier Welttheilen direct Bahn gebrochen, während dasselbe im fünften Welttheil, in Afrika, durch die Vermittelung französischer und englischer Zwischenhänder eingeführt wurde.

Der Besuch der Arbeitslocale verschafft uns die Ueberzeugung, es habe die Wiederbelebung und Hebung der nahezu völlig versumpften Industrie heute schon einem Theil der Bevölkerung Ehrenbergs wesentliche Vortheile gebracht und es könne nicht ausbleiben, daß dieser immer weitere Kreise theilhaftig werden. Die Hutformer, welche, beiläufig gesagt, die türkische Fezeinlage als gemeinsame Kopfbedeckung angenommen zu haben scheinen, verdienen heute schon mehr als das Dreifache dessen, was sie bei angestrengtester Arbeit mit der Erzeugung der Böden verdienen konnten; ebenso genießt eine Anzahl mit Fertigung von Damenhüten beschäftigter junger Mädchen einen sehr anständigen Verdienst. Diese Mädchen erfreuen sich aber auch des weiteren Vortheils, daß ihr Geschmack für schöne und elegante Formen unter Leitung einer jungen Dame, welche dieser Geschäftsabtheilung mit seltener Tüchtigkeit vorsteht, herangebildet wird.

Versuche, die Holzweberei auch anderwärts einzuführen, sind zu verschiedenen Malen schon gemacht worden; so ließ ein Dresdener Fabrikant vor Jahren einige dreißig Ehrenberger Sparterie-Arbeiter nach Dresden kommen; sein Unternehmen, die Sparteriewaaren-Erzeugung dort heimisch zu machen, scheiterte aber ebenso,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_150.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)