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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 10.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Alle Rechte vorbehalten.
Der Weg zum Herzen.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


Die Baronin hatte die Hände vor's Gesicht geschlagen; ein Sturm wogte in ihrem Innern.

Ja, er sprach die Wahrheit. Sie hatte von der Welt genug gesehen in diesen beiden Jahren: ihre Ehe war nicht die einzige dieser Art, wo Mann und Frau kälter und innerlich fremder neben einander dahinziehen als die nächstbesten Reisegefährten, die eine zufällige Fahrt im Eisenbahncoupé zusammenwürfelt. War es ihr zu verargen, wenn sie nach Rettung aus diesem ihrem verfehlten Dasein verlangte? Ein Druck, und die Pforten sprangen auf, der helle Tag lag vor ihr.

Wer erlitt dadurch eine Beeinträchtigung? Nicht einmal der Gatte, den sie verließ, um einem Andern zu folgen. Konnte jenem doch alles unverkürzt bleiben, was er im Ehecontracte zugesprochen erhalten und von dem sie ihm ja doch nur die zufällige und gleichgültige Trägerin war. Die Verbesserung seines Besitzthums wurde nicht rückgängig gemacht durch eine Scheidung, seine politische Laufbahn nicht in Frage gestellt, sein Erfolg nicht gehindert; der „Tausch“ blieb ungestört aufrecht – nur sie gewann ein ganzes Leben hinzu.

Und dennoch empfand sie mitten in den heftig wogenden Gedanken und Empfindungen eine seltsame Beängstigung, die ihre Brust zusammenschnürte und sie des Wortes beraubte. Der eben laut gewordene Spott über ihre Ehe hatte ihr ein unangenehmes Gefühl erregt; die Sicherheit, mit der man derselben das Glück absprach, verursachte ihr Pein, ohne daß sie sich einen Grund hierfür anzugeben wußte. In diesem Momente hätte sie Schätze dafür geben mögen, dem zuversichtlichen Fragesteller mit einem ehrlichen: „Ja, ich bin glücklich“ antworten und dieses Bewußtsein thatsächlich als stählernen Schild dem spöttischen Lächeln, dem Flammenblitz seines Auges entgegenhalten zu können.

„Sie antworten nicht, Elise, Sie sprechen nicht? Was hindert Sie?“ sagte in diesem Augenblicke seine drängende Stimme.

„Ich habe mein Wort gegeben,“ erwiderte sie beklommen.

„Ein Wort, das zurückgenommen werden kann, ein Versprechen, das sich lösen läßt,“ fiel er pathetisch ein. „Sie haben kein Kind, das Sie an den Vater fesseln könnte. Wollen Sie dem Glücke die Pflicht entgegenstellen, eine Pflicht, deren getreue Erfüllung vielleicht nicht einmal gewürdigt wird? Versteht denn dieser Mann Ihre Aufopferung? Weiß er auch nur, welchen Schatz er besitzt? In dem Ausdrucke Ihres Blickes, wie er gestern dem seinigen begegnete, habe ich es gelesen, wie ferne Sie Beide einander stehen. Nicht einmal danken wird er Ihnen dieses Opfer Ihrer selbst. Man kennt ja diese Männer, welche unter der Maske der Menschenfreunde, der Vorkämpfer für ihre Gesinnungsgenossen, der Staatsretter, nur sich selbst im Auge haben, ihren Ehrgeiz, ihren Vortheil. Jawohl, ihren Vortheil – dafür giebt's Beweise. Eine hohe Mitgift ist wohl des Trauungsactes werth, und die Sicherung liegt für diese Männer der Paragraphen nicht im Herzen, sondern im Gesetzbuche; sie pochen auf ihr brutales Recht und verurtheilen die Frau in ihrem politischen Hochmuthe zu häuslicher Sclaverei, während sie sich selbst die unbeschränkteste Freiheit bewahren wollen. Mit solchen Intriguanten und leeren Phrasenhelden ...“

„Halten Sie inne!“ fiel ihm hier die Baronin abwehrend in's Wort, indem sie eine Anstrengung machte, sich zu erheben. „Ich kann es nicht dulden, daß Sie einem Manne Unrecht thun, der Ihnen keinen Anlaß dazu gab.“

„Keinen Anlaß? Ist er nicht persönlich – mein Gegner? Uebrigens will ja diese Zunft die ganze Welt reformiren. Wir Soldaten haben keinen Grund, ihnen besonders grün zu sein.“

„Ich glaube, es fehlt Ihnen die rechte Würdigung für die edle und schöne Thätigkeit eines Volksvertreters,“ entgegnete die Baronin mit steigender Wärme. „Sie ahnen kaum, welche Entsagungen, Aufopferungen, welche Studien und Arbeiten solche Thätigkeit erfordert, welchen Muth diese Männer, die Sie Phrasenhelden nennen, beweisen müssen, welche Ehre und Selbstachtung in ihnen leben muß, wenn sie den mannigfachen Angriffen, den offenen und geheimen Verlockungen widerstehen sollen, denen sie ausgesetzt sind. Fürwahr, es giebt noch ein Höheres, als seine körperliche Kraft in kühnen Husarenstückchen einzusetzen. Den Geist mit allem Aufgebote des Willens, ja bis zur Erschöpfung seinem hohen uneigennützigen Ziele zu widmen, ist unendlich mehr, und die Achtung, Anerkennung, ja Bewunderung, die solches Streben in den weitesten Kreisen genießt, ist wohlverdient.“

„Bei Ihnen genießt?“

Erröthend schwieg die junge Frau, erschrocken über das, was sie gesagt. Wen hatte sie vertheidigt? Wie war so plötzlich und überwältigend der Vergleich, den sie zwischen den beiden Männern aufgestellt, über sie gekommen?

Verletzt schwieg auch Steinweg einen Augenblick.

„Sie setzen der geistigen Macht das 'Husarenstückchen' entgegen,“ sagte er dann mit unverkennbarer Ironie. „Wohl denn, ich gestehe aufrichtig, ich bin nichts weiter als ein simpler Soldat, ein Mann, der nur seine 'körperliche Kraft' einsetzt für die ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_153.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)